mit der kleinen Kuppel hängt eine Glocke, grün von Alter: sie klingt von der Liebe, die nicht von dieser Welt. Aber sieh schärfer hin.
Das Kreuz, das von der Kuppel ins uferlose Wunderblau sich reckt, läuft oben in eine lange, verdächtige Spitze aus. Ein Blitzableiter. Die doppelte Versicherung der neuen Zeit: über dem Kreuz der Mystik der metallene Schaft, der den Himmelsstrahl bändigt mit der Erkenntnis der Physik, der Wissenschaft ..... mag die alte grüne Glocke rufen, wenn die schwarze Wetterwolke sich wie ein Raubvogel auf diese freie Höhe wirft und mit glühenden Fängen krallt ..... der Blitz¬ ableiter ist stärker, -- er ist das Kreuz unserer Zeit.
Eine andere Rede muß es in diesen anderen Tagen sein, wenn wir von der Liebe reden sollen. Schau dem schönen Segelfalter dort nach, wie er majestätisch sich zu dem Thymian niedersenkt. Aus Tieren, niedriger als dieser schwebende Schmetterling, bist du, Mensch, geworden, du als Mensch der modernen Erkenntnis. Von Urwesen ging dein Stamm aus, unvollkommener noch als dieser stumme, reglos in der glühenden Sonne sich badende Thymian. Groteske Geschöpfe ohne eine Spur deiner Gestalt waren "du". Sie krochen am Meeres¬ strand, als dieser Strand noch der weiche Schlamm war, der heute jene messerharten Felsgräten bildet, an denen sich da unten am Kap die blaue Welle zu Schaum zermalmt. Und mit allen diesen Wesen, die du waren und doch nicht du vor Äonen der Zeit, hängst du zusammen durch die ungeheure Weltenkraft der Liebe, der Zeugung, des ewigen Gebärens und Werdens. Tausend- und tausend-, millionen- und millionemal hast du da unten geliebt, gelitten und geblutet, bist gekreuzigt worden und gestorben und bist doch wieder auferstanden am dritten Tag. Dort, in der Vergangenheit, in der unerme߬ lichen Kette aller dieser Vor-Ichs deines eigenen Ich, das heute hier auf Capo Verde seinen stillen Karfreitag in Naturschöne lebt, liegen die Lösungen all deiner Rätsel, deiner tiefen Ge¬
mit der kleinen Kuppel hängt eine Glocke, grün von Alter: ſie klingt von der Liebe, die nicht von dieſer Welt. Aber ſieh ſchärfer hin.
Das Kreuz, das von der Kuppel ins uferloſe Wunderblau ſich reckt, läuft oben in eine lange, verdächtige Spitze aus. Ein Blitzableiter. Die doppelte Verſicherung der neuen Zeit: über dem Kreuz der Myſtik der metallene Schaft, der den Himmelsſtrahl bändigt mit der Erkenntnis der Phyſik, der Wiſſenſchaft ..... mag die alte grüne Glocke rufen, wenn die ſchwarze Wetterwolke ſich wie ein Raubvogel auf dieſe freie Höhe wirft und mit glühenden Fängen krallt ..... der Blitz¬ ableiter iſt ſtärker, — er iſt das Kreuz unſerer Zeit.
Eine andere Rede muß es in dieſen anderen Tagen ſein, wenn wir von der Liebe reden ſollen. Schau dem ſchönen Segelfalter dort nach, wie er majeſtätiſch ſich zu dem Thymian niederſenkt. Aus Tieren, niedriger als dieſer ſchwebende Schmetterling, biſt du, Menſch, geworden, du als Menſch der modernen Erkenntnis. Von Urweſen ging dein Stamm aus, unvollkommener noch als dieſer ſtumme, reglos in der glühenden Sonne ſich badende Thymian. Groteske Geſchöpfe ohne eine Spur deiner Geſtalt waren „du“. Sie krochen am Meeres¬ ſtrand, als dieſer Strand noch der weiche Schlamm war, der heute jene meſſerharten Felsgräten bildet, an denen ſich da unten am Kap die blaue Welle zu Schaum zermalmt. Und mit allen dieſen Weſen, die du waren und doch nicht du vor Äonen der Zeit, hängſt du zuſammen durch die ungeheure Weltenkraft der Liebe, der Zeugung, des ewigen Gebärens und Werdens. Tauſend- und tauſend-, millionen- und millionemal haſt du da unten geliebt, gelitten und geblutet, biſt gekreuzigt worden und geſtorben und biſt doch wieder auferſtanden am dritten Tag. Dort, in der Vergangenheit, in der unerme߬ lichen Kette aller dieſer Vor-Ichs deines eigenen Ich, das heute hier auf Capo Verde ſeinen ſtillen Karfreitag in Naturſchöne lebt, liegen die Löſungen all deiner Rätſel, deiner tiefen Ge¬
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mit der kleinen Kuppel hängt eine Glocke, grün von Alter: ſie
klingt von der Liebe, die nicht von dieſer Welt. Aber ſieh
ſchärfer hin.
Das Kreuz, das von der Kuppel ins uferloſe Wunderblau
ſich reckt, läuft oben in eine lange, verdächtige Spitze aus.
Ein Blitzableiter. Die doppelte Verſicherung der neuen Zeit:
über dem Kreuz der Myſtik der metallene Schaft, der den
Himmelsſtrahl bändigt mit der Erkenntnis der Phyſik, der
Wiſſenſchaft ..... mag die alte grüne Glocke rufen, wenn
die ſchwarze Wetterwolke ſich wie ein Raubvogel auf dieſe freie
Höhe wirft und mit glühenden Fängen krallt ..... der Blitz¬
ableiter iſt ſtärker, — er iſt das Kreuz unſerer Zeit.
Eine andere Rede muß es in dieſen anderen Tagen ſein,
wenn wir von der Liebe reden ſollen. Schau dem ſchönen
Segelfalter dort nach, wie er majeſtätiſch ſich zu dem Thymian
niederſenkt. Aus Tieren, niedriger als dieſer ſchwebende
Schmetterling, biſt du, Menſch, geworden, du als Menſch der
modernen Erkenntnis. Von Urweſen ging dein Stamm aus,
unvollkommener noch als dieſer ſtumme, reglos in der glühenden
Sonne ſich badende Thymian. Groteske Geſchöpfe ohne eine
Spur deiner Geſtalt waren „du“. Sie krochen am Meeres¬
ſtrand, als dieſer Strand noch der weiche Schlamm war,
der heute jene meſſerharten Felsgräten bildet, an denen ſich
da unten am Kap die blaue Welle zu Schaum zermalmt.
Und mit allen dieſen Weſen, die du waren und doch nicht du
vor Äonen der Zeit, hängſt du zuſammen durch die ungeheure
Weltenkraft der Liebe, der Zeugung, des ewigen Gebärens und
Werdens. Tauſend- und tauſend-, millionen- und millionemal
haſt du da unten geliebt, gelitten und geblutet, biſt gekreuzigt
worden und geſtorben und biſt doch wieder auferſtanden am
dritten Tag. Dort, in der Vergangenheit, in der unerme߬
lichen Kette aller dieſer Vor-Ichs deines eigenen Ich, das heute
hier auf Capo Verde ſeinen ſtillen Karfreitag in Naturſchöne
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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898, S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben01_1898/22>, abgerufen am 24.11.2024.
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