Nun aber erkenne: mit diesem deinem "Gesetz" bist du geradezu auf den Schlüssel zu den ganzen Entwickelungs¬ thatsachen im Liebesleben der höheren lebenden Wesen auf Erden gelangt. Du hast gleichsam selbstthätig das große sogenannte "biogenetische Grundgesetz" gefunden. Es ist von Häckel zuerst als festes Gesetz entwickelt und benannt worden, -- nach Bios, griechisch: Leben und Genea, griechisch: Entwicke¬ lung, -- das Grundgesetz der Lebensentwickelung.
Zum so und so vielten Male muß ich dich bitten, zu der schlichten Menschengeschichte zwischen Samenzelle und Eizelle zurückzukehren, -- dieser famosen Geschichte, vor der unser Liebesspaziergang anhub und von der ich dir sagte, es fuße hier das eine Ende des ganzen großen Liebesregenbogens, der sich über unseren alten Planeten spannt. Diesmal bringst du aber endlich auch hier den letzten goldenen Zauberschlüssel mit.
Du selber mit all deinen Myriaden Zellen, mit deinen Organen, in denen diese Zellen Arbeitsteilung treiben, bist, du weißt es jetzt, nur eine herrlichste und höchste Fortsetzung jener Zellkugelentwickelung, die im Volvox und seinesgleichen angelegt ist. Was immer dich vom Volvox trennen mag an Geistes¬ höhe, an höchstem Menschentum: hier und weiterhin noch bei jener Gasträa etwa sind deine Grundfaktoren in gewissem Sinne alle gegeben; Zellen, zu einem sozialen Verbande fest aneinandergeschlossen; Arbeitsteilung, die zur Bildung von Or¬ ganen führt; unter diesen Organen vor allem auch Fort¬ pflanzungsorgane, und zwar bei dir männliche und bei deiner Liebsten weibliche.
Gewiß: zwischen dir und der Gasträa oder dem Volvox liegt eine ungeheure Kette weiterer historischer Entwickelung. Der erste Volvox und die erste Gasträa lebten wohl lange vor jener kambrischen Zeit, die selbst doch wohl viele Millionen von Jahren vor deiner Gegenwart lag. Aus der Gasträa mußte dann erst ein Wurm werden. Aus dem Wurm ein ältestes, einfachstes Wirbeltier etwa von der Sorte, wie es dir
13
Nun aber erkenne: mit dieſem deinem „Geſetz“ biſt du geradezu auf den Schlüſſel zu den ganzen Entwickelungs¬ thatſachen im Liebesleben der höheren lebenden Weſen auf Erden gelangt. Du haſt gleichſam ſelbſtthätig das große ſogenannte „biogenetiſche Grundgeſetz“ gefunden. Es iſt von Häckel zuerſt als feſtes Geſetz entwickelt und benannt worden, — nach Bios, griechiſch: Leben und Genea, griechiſch: Entwicke¬ lung, — das Grundgeſetz der Lebensentwickelung.
Zum ſo und ſo vielten Male muß ich dich bitten, zu der ſchlichten Menſchengeſchichte zwiſchen Samenzelle und Eizelle zurückzukehren, — dieſer famoſen Geſchichte, vor der unſer Liebesſpaziergang anhub und von der ich dir ſagte, es fuße hier das eine Ende des ganzen großen Liebesregenbogens, der ſich über unſeren alten Planeten ſpannt. Diesmal bringſt du aber endlich auch hier den letzten goldenen Zauberſchlüſſel mit.
Du ſelber mit all deinen Myriaden Zellen, mit deinen Organen, in denen dieſe Zellen Arbeitsteilung treiben, biſt, du weißt es jetzt, nur eine herrlichſte und höchſte Fortſetzung jener Zellkugelentwickelung, die im Volvox und ſeinesgleichen angelegt iſt. Was immer dich vom Volvox trennen mag an Geiſtes¬ höhe, an höchſtem Menſchentum: hier und weiterhin noch bei jener Gaſträa etwa ſind deine Grundfaktoren in gewiſſem Sinne alle gegeben; Zellen, zu einem ſozialen Verbande feſt aneinandergeſchloſſen; Arbeitsteilung, die zur Bildung von Or¬ ganen führt; unter dieſen Organen vor allem auch Fort¬ pflanzungsorgane, und zwar bei dir männliche und bei deiner Liebſten weibliche.
Gewiß: zwiſchen dir und der Gaſträa oder dem Volvox liegt eine ungeheure Kette weiterer hiſtoriſcher Entwickelung. Der erſte Volvox und die erſte Gaſträa lebten wohl lange vor jener kambriſchen Zeit, die ſelbſt doch wohl viele Millionen von Jahren vor deiner Gegenwart lag. Aus der Gaſträa mußte dann erſt ein Wurm werden. Aus dem Wurm ein älteſtes, einfachſtes Wirbeltier etwa von der Sorte, wie es dir
13
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0209"n="193"/><p>Nun aber erkenne: mit dieſem deinem „Geſetz“ biſt du<lb/>
geradezu auf <hirendition="#g">den Schlüſſel zu den ganzen Entwickelungs¬<lb/>
thatſachen im Liebesleben der höheren lebenden Weſen<lb/>
auf Erden</hi> gelangt. Du haſt gleichſam ſelbſtthätig das große<lb/>ſogenannte „biogenetiſche Grundgeſetz“ gefunden. Es iſt von<lb/>
Häckel zuerſt als feſtes Geſetz entwickelt und benannt worden, —<lb/>
nach Bios, griechiſch: Leben und Genea, griechiſch: Entwicke¬<lb/>
lung, — das Grundgeſetz der Lebensentwickelung.</p><lb/><p>Zum ſo und ſo vielten Male muß ich dich bitten, zu der<lb/>ſchlichten Menſchengeſchichte zwiſchen Samenzelle und Eizelle<lb/>
zurückzukehren, — dieſer famoſen Geſchichte, vor der unſer<lb/>
Liebesſpaziergang anhub und von der ich dir ſagte, es fuße<lb/>
hier das eine Ende des ganzen großen Liebesregenbogens, der<lb/>ſich über unſeren alten Planeten ſpannt. Diesmal bringſt du<lb/>
aber endlich auch hier den letzten goldenen Zauberſchlüſſel mit.</p><lb/><p>Du ſelber mit all deinen Myriaden Zellen, mit deinen<lb/>
Organen, in denen dieſe Zellen Arbeitsteilung treiben, biſt, du<lb/>
weißt es jetzt, nur eine herrlichſte <choice><sic>uud</sic><corr>und</corr></choice> höchſte Fortſetzung jener<lb/>
Zellkugelentwickelung, die im Volvox und ſeinesgleichen angelegt<lb/>
iſt. Was immer dich vom Volvox trennen mag an Geiſtes¬<lb/>
höhe, an höchſtem Menſchentum: hier und weiterhin noch bei<lb/>
jener Gaſträa etwa ſind deine Grundfaktoren in gewiſſem<lb/>
Sinne alle gegeben; Zellen, zu einem ſozialen Verbande feſt<lb/>
aneinandergeſchloſſen; Arbeitsteilung, die zur Bildung von Or¬<lb/>
ganen führt; unter dieſen Organen vor allem auch Fort¬<lb/>
pflanzungsorgane, und zwar bei dir männliche und bei deiner<lb/>
Liebſten weibliche.</p><lb/><p>Gewiß: zwiſchen dir und der Gaſträa oder dem Volvox<lb/>
liegt eine ungeheure Kette weiterer hiſtoriſcher Entwickelung.<lb/>
Der erſte Volvox und die erſte Gaſträa lebten wohl lange vor<lb/>
jener kambriſchen Zeit, die ſelbſt doch wohl viele Millionen<lb/>
von Jahren vor deiner Gegenwart lag. Aus der Gaſträa<lb/>
mußte dann erſt ein Wurm werden. Aus dem Wurm ein<lb/>
älteſtes, einfachſtes Wirbeltier etwa von der Sorte, wie es dir<lb/><fwplace="bottom"type="sig">13<lb/></fw></p></div></body></text></TEI>
[193/0209]
Nun aber erkenne: mit dieſem deinem „Geſetz“ biſt du
geradezu auf den Schlüſſel zu den ganzen Entwickelungs¬
thatſachen im Liebesleben der höheren lebenden Weſen
auf Erden gelangt. Du haſt gleichſam ſelbſtthätig das große
ſogenannte „biogenetiſche Grundgeſetz“ gefunden. Es iſt von
Häckel zuerſt als feſtes Geſetz entwickelt und benannt worden, —
nach Bios, griechiſch: Leben und Genea, griechiſch: Entwicke¬
lung, — das Grundgeſetz der Lebensentwickelung.
Zum ſo und ſo vielten Male muß ich dich bitten, zu der
ſchlichten Menſchengeſchichte zwiſchen Samenzelle und Eizelle
zurückzukehren, — dieſer famoſen Geſchichte, vor der unſer
Liebesſpaziergang anhub und von der ich dir ſagte, es fuße
hier das eine Ende des ganzen großen Liebesregenbogens, der
ſich über unſeren alten Planeten ſpannt. Diesmal bringſt du
aber endlich auch hier den letzten goldenen Zauberſchlüſſel mit.
Du ſelber mit all deinen Myriaden Zellen, mit deinen
Organen, in denen dieſe Zellen Arbeitsteilung treiben, biſt, du
weißt es jetzt, nur eine herrlichſte und höchſte Fortſetzung jener
Zellkugelentwickelung, die im Volvox und ſeinesgleichen angelegt
iſt. Was immer dich vom Volvox trennen mag an Geiſtes¬
höhe, an höchſtem Menſchentum: hier und weiterhin noch bei
jener Gaſträa etwa ſind deine Grundfaktoren in gewiſſem
Sinne alle gegeben; Zellen, zu einem ſozialen Verbande feſt
aneinandergeſchloſſen; Arbeitsteilung, die zur Bildung von Or¬
ganen führt; unter dieſen Organen vor allem auch Fort¬
pflanzungsorgane, und zwar bei dir männliche und bei deiner
Liebſten weibliche.
Gewiß: zwiſchen dir und der Gaſträa oder dem Volvox
liegt eine ungeheure Kette weiterer hiſtoriſcher Entwickelung.
Der erſte Volvox und die erſte Gaſträa lebten wohl lange vor
jener kambriſchen Zeit, die ſelbſt doch wohl viele Millionen
von Jahren vor deiner Gegenwart lag. Aus der Gaſträa
mußte dann erſt ein Wurm werden. Aus dem Wurm ein
älteſtes, einfachſtes Wirbeltier etwa von der Sorte, wie es dir
13
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898, S. 193. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben01_1898/209>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.