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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898.

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gebannt. Und hier, am guten Orte, heißt es, redeten wir --
von Gott. Laß uns so von der Liebe reden.

Auch durch unsere Tage geht der Sturm. Alles wirbelt,
jede schlichteste Frage steht im Kampf. Weltanschauungen zer¬
brechen, ein ungeheurer Staub erfüllt die Zeit. Wer fühlte
nicht die Sehnsucht, auch jene geheime Mauer um sich zu ziehen,
wenn er sich besinnen will, -- besinnen auf ein großes Problem
der Welt ....?

Vielerlei möchte ich mit dir bereden. Vom Heraufgang
der Liebe durch die Zeiten. Von ihrem Werden im Tier.
Und wie sie Mensch wurde. Mensch in seiner Roheit -- und
Mensch im Geist. Rohes und Süßes muß ich dir erzählen.
Aber sieh hinaus in den uferlosen Glast dieses Meeres dort.
Aus dieser fleckenlosen Bläue ist das Leben gestiegen, in tausend
und tausend Formen sich regend und verwandelnd bis zu dir
selber hinauf. Sieh in den Himmel empor, in seine unend¬
liche, blendende Reinheit. Aus diesem Blau der Raumesewig¬
keit sind die Welten herabgeronnen wie silberner Staub. Wie
viel Banges, Schauriges, Wildes bargen und bergen die Ab¬
gründe dieser Flut. Und doch im ganzen dieses wunderbare
Blau, in das die Seele taucht wie in ein Friedensbad. Soll
es nicht ein Bild sein? Ein Bild, wie all das Rohe des
Einzelnen schließlich doch fleckenlos verfließen muß in einheitlich
reinem Licht? Und der Himmel darüber. Dieser Himmel, in
dem so viel Sehnsucht, Verzweiflung und Irren der ringenden
Menschheit liegt, als müßte jeder Stern ein Grabkreuz sein, --
dieser Himmel, der uns eigentlich alle umklammert wie ein
Sarg, uns dunklen Gäste auf der dunklen Erde .... löst nicht
auch er sich zu derselben Bläue fleckenlos reiner Herrlichkeit?

Ich denke mir, an solchem Orte läßt sich nicht nur
einsam reden, als schweige aller Sturm der Welt und als
spielten zwei Menschenkinder mit den heiligsten Fragen so
schlicht wie mit flachen Steinen, die man auf der Welle hüpfen
läßt. Es läßt sich auch von allem Rohen und Wilden so reden,

gebannt. Und hier, am guten Orte, heißt es, redeten wir —
von Gott. Laß uns ſo von der Liebe reden.

Auch durch unſere Tage geht der Sturm. Alles wirbelt,
jede ſchlichteſte Frage ſteht im Kampf. Weltanſchauungen zer¬
brechen, ein ungeheurer Staub erfüllt die Zeit. Wer fühlte
nicht die Sehnſucht, auch jene geheime Mauer um ſich zu ziehen,
wenn er ſich beſinnen will, — beſinnen auf ein großes Problem
der Welt ....?

Vielerlei möchte ich mit dir bereden. Vom Heraufgang
der Liebe durch die Zeiten. Von ihrem Werden im Tier.
Und wie ſie Menſch wurde. Menſch in ſeiner Roheit — und
Menſch im Geiſt. Rohes und Süßes muß ich dir erzählen.
Aber ſieh hinaus in den uferloſen Glaſt dieſes Meeres dort.
Aus dieſer fleckenloſen Bläue iſt das Leben geſtiegen, in tauſend
und tauſend Formen ſich regend und verwandelnd bis zu dir
ſelber hinauf. Sieh in den Himmel empor, in ſeine unend¬
liche, blendende Reinheit. Aus dieſem Blau der Raumesewig¬
keit ſind die Welten herabgeronnen wie ſilberner Staub. Wie
viel Banges, Schauriges, Wildes bargen und bergen die Ab¬
gründe dieſer Flut. Und doch im ganzen dieſes wunderbare
Blau, in das die Seele taucht wie in ein Friedensbad. Soll
es nicht ein Bild ſein? Ein Bild, wie all das Rohe des
Einzelnen ſchließlich doch fleckenlos verfließen muß in einheitlich
reinem Licht? Und der Himmel darüber. Dieſer Himmel, in
dem ſo viel Sehnſucht, Verzweiflung und Irren der ringenden
Menſchheit liegt, als müßte jeder Stern ein Grabkreuz ſein, —
dieſer Himmel, der uns eigentlich alle umklammert wie ein
Sarg, uns dunklen Gäſte auf der dunklen Erde .... löſt nicht
auch er ſich zu derſelben Bläue fleckenlos reiner Herrlichkeit?

Ich denke mir, an ſolchem Orte läßt ſich nicht nur
einſam reden, als ſchweige aller Sturm der Welt und als
ſpielten zwei Menſchenkinder mit den heiligſten Fragen ſo
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läßt. Es läßt ſich auch von allem Rohen und Wilden ſo reden,

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[4/0020] gebannt. Und hier, am guten Orte, heißt es, redeten wir — von Gott. Laß uns ſo von der Liebe reden. Auch durch unſere Tage geht der Sturm. Alles wirbelt, jede ſchlichteſte Frage ſteht im Kampf. Weltanſchauungen zer¬ brechen, ein ungeheurer Staub erfüllt die Zeit. Wer fühlte nicht die Sehnſucht, auch jene geheime Mauer um ſich zu ziehen, wenn er ſich beſinnen will, — beſinnen auf ein großes Problem der Welt ....? Vielerlei möchte ich mit dir bereden. Vom Heraufgang der Liebe durch die Zeiten. Von ihrem Werden im Tier. Und wie ſie Menſch wurde. Menſch in ſeiner Roheit — und Menſch im Geiſt. Rohes und Süßes muß ich dir erzählen. Aber ſieh hinaus in den uferloſen Glaſt dieſes Meeres dort. Aus dieſer fleckenloſen Bläue iſt das Leben geſtiegen, in tauſend und tauſend Formen ſich regend und verwandelnd bis zu dir ſelber hinauf. Sieh in den Himmel empor, in ſeine unend¬ liche, blendende Reinheit. Aus dieſem Blau der Raumesewig¬ keit ſind die Welten herabgeronnen wie ſilberner Staub. Wie viel Banges, Schauriges, Wildes bargen und bergen die Ab¬ gründe dieſer Flut. Und doch im ganzen dieſes wunderbare Blau, in das die Seele taucht wie in ein Friedensbad. Soll es nicht ein Bild ſein? Ein Bild, wie all das Rohe des Einzelnen ſchließlich doch fleckenlos verfließen muß in einheitlich reinem Licht? Und der Himmel darüber. Dieſer Himmel, in dem ſo viel Sehnſucht, Verzweiflung und Irren der ringenden Menſchheit liegt, als müßte jeder Stern ein Grabkreuz ſein, — dieſer Himmel, der uns eigentlich alle umklammert wie ein Sarg, uns dunklen Gäſte auf der dunklen Erde .... löſt nicht auch er ſich zu derſelben Bläue fleckenlos reiner Herrlichkeit? Ich denke mir, an ſolchem Orte läßt ſich nicht nur einſam reden, als ſchweige aller Sturm der Welt und als ſpielten zwei Menſchenkinder mit den heiligſten Fragen ſo ſchlicht wie mit flachen Steinen, die man auf der Welle hüpfen läßt. Es läßt ſich auch von allem Rohen und Wilden ſo reden,

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898, S. 4. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben01_1898/20>, abgerufen am 24.11.2024.