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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898.

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gang dir in Sache wie Handlung eine uralte Station des
Liebesweges vor Augen stellt. Diese einfache Konjugation (wie
man es benannt hat) zweier gleichartiger, aber sehr kleiner und
einzeln sehr schwacher Jungzellwesen bezeichnet in scharfem
Sinne den ersten Ansatz zur Geschlechtsliebe und
damit zur Liebe im engeren Sinne überhaupt
.

Noch sind die Geschlechter nicht äußerlich, in der Form,
getrennt, -- die beiden verschmelzenden Wesen tragen ja ab¬
solut die gleiche Gestalt. Und solche Gleichartigkeit kannst du
in manchen Fällen heute noch bis über das Reich der Ein¬
zelligen hinaus verfolgen. Du weißt: Tiere wie Pflanzen
haben sich aus dem dritten, dem einzelligen Reiche geschichtlich
erst entwickelt. Nun: selbst bei niedrigsten echten Pflanzen
findest du noch solche Konjugation verwechselbar gleich geformter
kleiner Einzelwesen. Da hast du feine smaragdgrüne Algen¬
fädchen an Bachkieseln und Brunnentrögen. Algen sind niedrigste
Pflanzen. Jeder Faden besteht aus einer losen Kette von
Zellen. Um die rechte Zeit zerfällt jede dieser Zellen für sich
und innerlich in eine ganze Kolonie, ein ganzes Gewimmel
winziger Neuzellchen. Alsbald schwärmen diese Zellchen, leb¬
haft beweglich wie sie sind, ins Wasser hinaus. Begegnen sich
dort nun zwei, die zwar aus zwei verschiedenen Kolonien
stammen, im übrigen aber absolut gleich in der äußeren Ge¬
stalt sind, so weichen sie sich nicht aus, sondern stoßen vielmehr
direkt und wie von plötzlicher Sympathie erfaßt zusammen,
legen sich fest aneinander und verschmelzen endlich mit einem
letzten Ruck zu einem Körper. So noch bei echten Algenpflanzen
von heute! Warum soll, bei so außerordentlicher Logik der
Sache, dies nicht auch der Weg im ganzen in Urzeiten ge¬
wesen sein, der Weg, der überhaupt auf eine Verschmelzung
und damit geschichtlich in die Linie der Geschlechtszeugung führte?

Natürlich bleiben dabei gewisse Geheimnisse übrig. Aber
die bleiben eben überall im Herzen aller Lebenserscheinungen.
Wie ist es möglich, daß zwei in sich geschlossene Individuen,

gang dir in Sache wie Handlung eine uralte Station des
Liebesweges vor Augen ſtellt. Dieſe einfache Konjugation (wie
man es benannt hat) zweier gleichartiger, aber ſehr kleiner und
einzeln ſehr ſchwacher Jungzellweſen bezeichnet in ſcharfem
Sinne den erſten Anſatz zur Geſchlechtsliebe und
damit zur Liebe im engeren Sinne überhaupt
.

Noch ſind die Geſchlechter nicht äußerlich, in der Form,
getrennt, — die beiden verſchmelzenden Weſen tragen ja ab¬
ſolut die gleiche Geſtalt. Und ſolche Gleichartigkeit kannſt du
in manchen Fällen heute noch bis über das Reich der Ein¬
zelligen hinaus verfolgen. Du weißt: Tiere wie Pflanzen
haben ſich aus dem dritten, dem einzelligen Reiche geſchichtlich
erſt entwickelt. Nun: ſelbſt bei niedrigſten echten Pflanzen
findeſt du noch ſolche Konjugation verwechſelbar gleich geformter
kleiner Einzelweſen. Da haſt du feine ſmaragdgrüne Algen¬
fädchen an Bachkieſeln und Brunnentrögen. Algen ſind niedrigſte
Pflanzen. Jeder Faden beſteht aus einer loſen Kette von
Zellen. Um die rechte Zeit zerfällt jede dieſer Zellen für ſich
und innerlich in eine ganze Kolonie, ein ganzes Gewimmel
winziger Neuzellchen. Alsbald ſchwärmen dieſe Zellchen, leb¬
haft beweglich wie ſie ſind, ins Waſſer hinaus. Begegnen ſich
dort nun zwei, die zwar aus zwei verſchiedenen Kolonien
ſtammen, im übrigen aber abſolut gleich in der äußeren Ge¬
ſtalt ſind, ſo weichen ſie ſich nicht aus, ſondern ſtoßen vielmehr
direkt und wie von plötzlicher Sympathie erfaßt zuſammen,
legen ſich feſt aneinander und verſchmelzen endlich mit einem
letzten Ruck zu einem Körper. So noch bei echten Algenpflanzen
von heute! Warum ſoll, bei ſo außerordentlicher Logik der
Sache, dies nicht auch der Weg im ganzen in Urzeiten ge¬
weſen ſein, der Weg, der überhaupt auf eine Verſchmelzung
und damit geſchichtlich in die Linie der Geſchlechtszeugung führte?

Natürlich bleiben dabei gewiſſe Geheimniſſe übrig. Aber
die bleiben eben überall im Herzen aller Lebenserſcheinungen.
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[149/0165] gang dir in Sache wie Handlung eine uralte Station des Liebesweges vor Augen ſtellt. Dieſe einfache Konjugation (wie man es benannt hat) zweier gleichartiger, aber ſehr kleiner und einzeln ſehr ſchwacher Jungzellweſen bezeichnet in ſcharfem Sinne den erſten Anſatz zur Geſchlechtsliebe und damit zur Liebe im engeren Sinne überhaupt. Noch ſind die Geſchlechter nicht äußerlich, in der Form, getrennt, — die beiden verſchmelzenden Weſen tragen ja ab¬ ſolut die gleiche Geſtalt. Und ſolche Gleichartigkeit kannſt du in manchen Fällen heute noch bis über das Reich der Ein¬ zelligen hinaus verfolgen. Du weißt: Tiere wie Pflanzen haben ſich aus dem dritten, dem einzelligen Reiche geſchichtlich erſt entwickelt. Nun: ſelbſt bei niedrigſten echten Pflanzen findeſt du noch ſolche Konjugation verwechſelbar gleich geformter kleiner Einzelweſen. Da haſt du feine ſmaragdgrüne Algen¬ fädchen an Bachkieſeln und Brunnentrögen. Algen ſind niedrigſte Pflanzen. Jeder Faden beſteht aus einer loſen Kette von Zellen. Um die rechte Zeit zerfällt jede dieſer Zellen für ſich und innerlich in eine ganze Kolonie, ein ganzes Gewimmel winziger Neuzellchen. Alsbald ſchwärmen dieſe Zellchen, leb¬ haft beweglich wie ſie ſind, ins Waſſer hinaus. Begegnen ſich dort nun zwei, die zwar aus zwei verſchiedenen Kolonien ſtammen, im übrigen aber abſolut gleich in der äußeren Ge¬ ſtalt ſind, ſo weichen ſie ſich nicht aus, ſondern ſtoßen vielmehr direkt und wie von plötzlicher Sympathie erfaßt zuſammen, legen ſich feſt aneinander und verſchmelzen endlich mit einem letzten Ruck zu einem Körper. So noch bei echten Algenpflanzen von heute! Warum ſoll, bei ſo außerordentlicher Logik der Sache, dies nicht auch der Weg im ganzen in Urzeiten ge¬ weſen ſein, der Weg, der überhaupt auf eine Verſchmelzung und damit geſchichtlich in die Linie der Geſchlechtszeugung führte? Natürlich bleiben dabei gewiſſe Geheimniſſe übrig. Aber die bleiben eben überall im Herzen aller Lebenserſcheinungen. Wie iſt es möglich, daß zwei in ſich geſchloſſene Individuen,

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898, S. 149. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben01_1898/165>, abgerufen am 28.04.2024.