Geschlechtsstoffen. Diese Geschlechter vollziehen als solche den Akt einer geschechtlichen Zeugung.
Eine neue große Frage wächst dir dazu. Hat die Liebe im Sinne einer Zeugung, einer Fortpflanzung, eines Unsterb¬ lichkeitsprinzips über das Individuum hinaus von Beginn des Lebens auf Erden an mit einer Zweiheit der Geschlechter und einem echten Geschlechtsakt der beiden begonnen? Oder war selbst das schon eine Entwickelungsform, nicht nur allgemein der Liebe überhaupt, sondern innerhalb der noch erkennbaren Ur-Liebe der einfachsten Lebensformen auf der Erde?
Verstehe mich recht. Um dir ein Bild zu geben, -- denke an die biblische Schöpfungslegende. Gott erschafft durch eine Art mystischer Urzeugung den Adam aus einem anorganischen Erdenkloß. Adam wieder erzeugt ungeschlechtlich aus seiner Rippe mit Gottes Beistand die Eva. Mit Eva selbst vermischt er sich dann erst zu geschlechtlicher Zeugung und Eva gebiert regelrechte Kinder nach allgültigem Menschenbrauch.
In dieser Legende ist offenbar die geschlechtliche Zeugung erst eine letzte, dritte Stufe. Die Steigerung ist: Urzeugung, -- dann einfache Zeugung ohne Zweiheit der Eltern und durch eine Art Knospung direkt aus dem Leibe eines einzigen In¬ dividuums heraus -- endlich Geschlechtszeugung zwischen Mann und Weib. Die Legende deutet allerdings Eins und Zwei in ihrer mystischen Weise um. Aber das könnten wir ja beiseite lassen. Du hast gesehen, wie sich der Begriff Urzeugung auch ohne Mystik rein wissenschaftlich fassen läßt. Der echte Ge¬ schlechtsakt bleibt selbst in der Bibel ohne Mystik. Warum nicht einmal einen Moment überlegen, ob du nicht auch die Station Zwei ganz unmystisch als Symbol eines wirklichen Urvorgangs hinnehmen könntest? Wenn auch keinerlei modernes Wissen, so steckt in solcher alten Völkerlegende ja doch auf alle Fälle eine gewisse Logik des Grübelns. Unser Adam ist der Ur-Bazillus: irgend ein einzelliges Urwesen, in dem auch der Mensch schon gleich allen anderen späteren Lebewesen der Ur¬
Geſchlechtsſtoffen. Dieſe Geſchlechter vollziehen als ſolche den Akt einer geſchechtlichen Zeugung.
Eine neue große Frage wächſt dir dazu. Hat die Liebe im Sinne einer Zeugung, einer Fortpflanzung, eines Unſterb¬ lichkeitsprinzips über das Individuum hinaus von Beginn des Lebens auf Erden an mit einer Zweiheit der Geſchlechter und einem echten Geſchlechtsakt der beiden begonnen? Oder war ſelbſt das ſchon eine Entwickelungsform, nicht nur allgemein der Liebe überhaupt, ſondern innerhalb der noch erkennbaren Ur-Liebe der einfachſten Lebensformen auf der Erde?
Verſtehe mich recht. Um dir ein Bild zu geben, — denke an die bibliſche Schöpfungslegende. Gott erſchafft durch eine Art myſtiſcher Urzeugung den Adam aus einem anorganiſchen Erdenkloß. Adam wieder erzeugt ungeſchlechtlich aus ſeiner Rippe mit Gottes Beiſtand die Eva. Mit Eva ſelbſt vermiſcht er ſich dann erſt zu geſchlechtlicher Zeugung und Eva gebiert regelrechte Kinder nach allgültigem Menſchenbrauch.
In dieſer Legende iſt offenbar die geſchlechtliche Zeugung erſt eine letzte, dritte Stufe. Die Steigerung iſt: Urzeugung, — dann einfache Zeugung ohne Zweiheit der Eltern und durch eine Art Knoſpung direkt aus dem Leibe eines einzigen In¬ dividuums heraus — endlich Geſchlechtszeugung zwiſchen Mann und Weib. Die Legende deutet allerdings Eins und Zwei in ihrer myſtiſchen Weiſe um. Aber das könnten wir ja beiſeite laſſen. Du haſt geſehen, wie ſich der Begriff Urzeugung auch ohne Myſtik rein wiſſenſchaftlich faſſen läßt. Der echte Ge¬ ſchlechtsakt bleibt ſelbſt in der Bibel ohne Myſtik. Warum nicht einmal einen Moment überlegen, ob du nicht auch die Station Zwei ganz unmyſtiſch als Symbol eines wirklichen Urvorgangs hinnehmen könnteſt? Wenn auch keinerlei modernes Wiſſen, ſo ſteckt in ſolcher alten Völkerlegende ja doch auf alle Fälle eine gewiſſe Logik des Grübelns. Unſer Adam iſt der Ur-Bazillus: irgend ein einzelliges Urweſen, in dem auch der Menſch ſchon gleich allen anderen ſpäteren Lebeweſen der Ur¬
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Geſchlechtsſtoffen. Dieſe Geſchlechter vollziehen als ſolche den
Akt einer geſchechtlichen Zeugung.
Eine neue große Frage wächſt dir dazu. Hat die Liebe
im Sinne einer Zeugung, einer Fortpflanzung, eines Unſterb¬
lichkeitsprinzips über das Individuum hinaus von Beginn des
Lebens auf Erden an mit einer Zweiheit der Geſchlechter
und einem echten Geſchlechtsakt der beiden begonnen? Oder war
ſelbſt das ſchon eine Entwickelungsform, nicht nur allgemein
der Liebe überhaupt, ſondern innerhalb der noch erkennbaren
Ur-Liebe der einfachſten Lebensformen auf der Erde?
Verſtehe mich recht. Um dir ein Bild zu geben, — denke
an die bibliſche Schöpfungslegende. Gott erſchafft durch eine
Art myſtiſcher Urzeugung den Adam aus einem anorganiſchen
Erdenkloß. Adam wieder erzeugt ungeſchlechtlich aus ſeiner
Rippe mit Gottes Beiſtand die Eva. Mit Eva ſelbſt vermiſcht
er ſich dann erſt zu geſchlechtlicher Zeugung und Eva gebiert
regelrechte Kinder nach allgültigem Menſchenbrauch.
In dieſer Legende iſt offenbar die geſchlechtliche Zeugung
erſt eine letzte, dritte Stufe. Die Steigerung iſt: Urzeugung, —
dann einfache Zeugung ohne Zweiheit der Eltern und durch
eine Art Knoſpung direkt aus dem Leibe eines einzigen In¬
dividuums heraus — endlich Geſchlechtszeugung zwiſchen Mann
und Weib. Die Legende deutet allerdings Eins und Zwei in
ihrer myſtiſchen Weiſe um. Aber das könnten wir ja beiſeite
laſſen. Du haſt geſehen, wie ſich der Begriff Urzeugung auch
ohne Myſtik rein wiſſenſchaftlich faſſen läßt. Der echte Ge¬
ſchlechtsakt bleibt ſelbſt in der Bibel ohne Myſtik. Warum
nicht einmal einen Moment überlegen, ob du nicht auch die
Station Zwei ganz unmyſtiſch als Symbol eines wirklichen
Urvorgangs hinnehmen könnteſt? Wenn auch keinerlei modernes
Wiſſen, ſo ſteckt in ſolcher alten Völkerlegende ja doch auf alle
Fälle eine gewiſſe Logik des Grübelns. Unſer Adam iſt der
Ur-Bazillus: irgend ein einzelliges Urweſen, in dem auch der
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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898, S. 128. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben01_1898/144>, abgerufen am 23.11.2024.
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