Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898.

Bild:
<< vorherige Seite

Tage -- und alles darin -- Erde, Weltlicht, Gewürm, Blumen,
Vögel unter dem Himmel, Adam und, aus seiner Rippe, Eva --
alles göttlicher Schöpferakt, alles durch einen Ruck aus dem
mystisch Unfaßbaren in die Realität geschleudert, wie auf
dem Bilde Michel Angelos. Dann langsam die Wissenschaft.
Saugend, Kraft raubend wie ein böser Meerpolyp. Ein gut
Teil Geologie mit den enormen Zeiträumen, mit den endlosen
Erdepochen, die sich folgten wie Akte eines gigantischen Dramas
neuerer Ästhetik, die alle Aristotelischen Einheiten lachend ver¬
wirft, konnte denn doch nicht mehr einfach abgeleugnet werden.
Ein Stück darwinistischer Entwickelung wurde auch allzu plausibel.
Die "Schöpfung", dieses schöne Gedicht, das sich im Banne
enger Dogmatik in die Welt des "Wissens" verirrt, flatterte
hoffnungslos über den dröhnenden Wassern der geologischen
Unterwelt. Da auf einmal doch noch ein trockener Punkt!
Der dunkle Moment der ersten Entstehung von "Leben". Hier
mindestens schien ein absoluter Anfang ohne Entwickelung.
Und der müde geflatterte metaphysische Gedanke sank auf die
weiße Stelle der Weltenkarte wie einer jener armen Schmetter¬
linge, die der Seefahrer im Ozean ins Takelwerk taumeln
sieht -- taumeln sieht mit dem wehmütigen Mitleid, wie leicht
auch er durch irgend eine Ungunst des Elements solch fern
verscheuchter Fremdling werden könnte ..... Hatte Gott
sonst nichts gethan in den Wehen der Erdgeschichte: hier war
denn doch seine Hand im Spiel -- vor dem Ur-Bazillus .....

Jetzt aber war es die Urzeugungslehre, die auch diese
letzte Position dem mystischen Schaffensbegriffe energisch bestritt.
Auch hier forderte sie schlechtweg ein mechanisches Geschehen.
Du kennst aus der mystischen Gedankenwelt selbst die schöne
Legende von den Steinen, die redeten, als die Menschen¬
thorheit schwieg. So, wo die Stimme des Lebens ganz zu
versagen schien, rief der unentwegte Forschersinn die tote
Materie wach: Urzeugung -- Entstehung des ersten Lebens
ohne mystischen Eingriff einfach aus dem unbelebten, aber

Tage — und alles darin — Erde, Weltlicht, Gewürm, Blumen,
Vögel unter dem Himmel, Adam und, aus ſeiner Rippe, Eva —
alles göttlicher Schöpferakt, alles durch einen Ruck aus dem
myſtiſch Unfaßbaren in die Realität geſchleudert, wie auf
dem Bilde Michel Angelos. Dann langſam die Wiſſenſchaft.
Saugend, Kraft raubend wie ein böſer Meerpolyp. Ein gut
Teil Geologie mit den enormen Zeiträumen, mit den endloſen
Erdepochen, die ſich folgten wie Akte eines gigantiſchen Dramas
neuerer Äſthetik, die alle Ariſtoteliſchen Einheiten lachend ver¬
wirft, konnte denn doch nicht mehr einfach abgeleugnet werden.
Ein Stück darwiniſtiſcher Entwickelung wurde auch allzu plauſibel.
Die „Schöpfung“, dieſes ſchöne Gedicht, das ſich im Banne
enger Dogmatik in die Welt des „Wiſſens“ verirrt, flatterte
hoffnungslos über den dröhnenden Waſſern der geologiſchen
Unterwelt. Da auf einmal doch noch ein trockener Punkt!
Der dunkle Moment der erſten Entſtehung von „Leben“. Hier
mindeſtens ſchien ein abſoluter Anfang ohne Entwickelung.
Und der müde geflatterte metaphyſiſche Gedanke ſank auf die
weiße Stelle der Weltenkarte wie einer jener armen Schmetter¬
linge, die der Seefahrer im Ozean ins Takelwerk taumeln
ſieht — taumeln ſieht mit dem wehmütigen Mitleid, wie leicht
auch er durch irgend eine Ungunſt des Elements ſolch fern
verſcheuchter Fremdling werden könnte ..... Hatte Gott
ſonſt nichts gethan in den Wehen der Erdgeſchichte: hier war
denn doch ſeine Hand im Spiel — vor dem Ur-Bazillus .....

Jetzt aber war es die Urzeugungslehre, die auch dieſe
letzte Poſition dem myſtiſchen Schaffensbegriffe energiſch beſtritt.
Auch hier forderte ſie ſchlechtweg ein mechaniſches Geſchehen.
Du kennſt aus der myſtiſchen Gedankenwelt ſelbſt die ſchöne
Legende von den Steinen, die redeten, als die Menſchen¬
thorheit ſchwieg. So, wo die Stimme des Lebens ganz zu
verſagen ſchien, rief der unentwegte Forſcherſinn die tote
Materie wach: Urzeugung — Entſtehung des erſten Lebens
ohne myſtiſchen Eingriff einfach aus dem unbelebten, aber

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0124" n="108"/>
Tage &#x2014; und alles darin &#x2014; Erde, Weltlicht, Gewürm, Blumen,<lb/>
Vögel unter dem Himmel, Adam und, aus &#x017F;einer Rippe, Eva &#x2014;<lb/>
alles göttlicher Schöpferakt, alles durch einen Ruck aus dem<lb/>
my&#x017F;ti&#x017F;ch Unfaßbaren in die Realität ge&#x017F;chleudert, wie auf<lb/>
dem Bilde Michel Angelos. Dann lang&#x017F;am die Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft.<lb/>
Saugend, Kraft raubend wie ein bö&#x017F;er Meerpolyp. Ein gut<lb/>
Teil Geologie mit den enormen Zeiträumen, mit den endlo&#x017F;en<lb/>
Erdepochen, die &#x017F;ich folgten wie Akte eines giganti&#x017F;chen Dramas<lb/>
neuerer Ä&#x017F;thetik, die alle Ari&#x017F;toteli&#x017F;chen Einheiten lachend ver¬<lb/>
wirft, konnte denn doch nicht mehr einfach abgeleugnet werden.<lb/>
Ein Stück darwini&#x017F;ti&#x017F;cher Entwickelung wurde auch allzu plau&#x017F;ibel.<lb/>
Die &#x201E;Schöpfung&#x201C;, die&#x017F;es &#x017F;chöne Gedicht, das &#x017F;ich im Banne<lb/>
enger Dogmatik in die Welt des &#x201E;Wi&#x017F;&#x017F;ens&#x201C; verirrt, flatterte<lb/>
hoffnungslos über den dröhnenden Wa&#x017F;&#x017F;ern der geologi&#x017F;chen<lb/>
Unterwelt. Da auf einmal doch noch ein trockener Punkt!<lb/>
Der dunkle Moment der er&#x017F;ten Ent&#x017F;tehung von &#x201E;Leben&#x201C;. Hier<lb/>
minde&#x017F;tens &#x017F;chien ein ab&#x017F;oluter Anfang ohne Entwickelung.<lb/>
Und der müde geflatterte metaphy&#x017F;i&#x017F;che Gedanke &#x017F;ank auf die<lb/>
weiße Stelle der Weltenkarte wie einer jener armen Schmetter¬<lb/>
linge, die der Seefahrer im Ozean ins Takelwerk taumeln<lb/>
&#x017F;ieht &#x2014; taumeln &#x017F;ieht mit dem wehmütigen Mitleid, wie leicht<lb/>
auch er durch irgend eine Ungun&#x017F;t des Elements &#x017F;olch fern<lb/>
ver&#x017F;cheuchter Fremdling werden könnte ..... Hatte Gott<lb/>
&#x017F;on&#x017F;t nichts gethan in den Wehen der Erdge&#x017F;chichte: hier war<lb/>
denn doch &#x017F;eine Hand im Spiel &#x2014; vor dem Ur-Bazillus .....</p><lb/>
        <p>Jetzt aber war es die Urzeugungslehre, die auch die&#x017F;e<lb/>
letzte Po&#x017F;ition dem my&#x017F;ti&#x017F;chen Schaffensbegriffe energi&#x017F;ch be&#x017F;tritt.<lb/>
Auch hier forderte &#x017F;ie &#x017F;chlechtweg ein mechani&#x017F;ches Ge&#x017F;chehen.<lb/>
Du kenn&#x017F;t aus der my&#x017F;ti&#x017F;chen Gedankenwelt &#x017F;elb&#x017F;t die &#x017F;chöne<lb/>
Legende von den Steinen, die redeten, als die Men&#x017F;chen¬<lb/>
thorheit &#x017F;chwieg. So, wo die Stimme des Lebens ganz zu<lb/>
ver&#x017F;agen &#x017F;chien, rief der unentwegte For&#x017F;cher&#x017F;inn die tote<lb/>
Materie wach: Urzeugung &#x2014; Ent&#x017F;tehung des er&#x017F;ten Lebens<lb/>
ohne my&#x017F;ti&#x017F;chen Eingriff einfach aus dem unbelebten, aber<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[108/0124] Tage — und alles darin — Erde, Weltlicht, Gewürm, Blumen, Vögel unter dem Himmel, Adam und, aus ſeiner Rippe, Eva — alles göttlicher Schöpferakt, alles durch einen Ruck aus dem myſtiſch Unfaßbaren in die Realität geſchleudert, wie auf dem Bilde Michel Angelos. Dann langſam die Wiſſenſchaft. Saugend, Kraft raubend wie ein böſer Meerpolyp. Ein gut Teil Geologie mit den enormen Zeiträumen, mit den endloſen Erdepochen, die ſich folgten wie Akte eines gigantiſchen Dramas neuerer Äſthetik, die alle Ariſtoteliſchen Einheiten lachend ver¬ wirft, konnte denn doch nicht mehr einfach abgeleugnet werden. Ein Stück darwiniſtiſcher Entwickelung wurde auch allzu plauſibel. Die „Schöpfung“, dieſes ſchöne Gedicht, das ſich im Banne enger Dogmatik in die Welt des „Wiſſens“ verirrt, flatterte hoffnungslos über den dröhnenden Waſſern der geologiſchen Unterwelt. Da auf einmal doch noch ein trockener Punkt! Der dunkle Moment der erſten Entſtehung von „Leben“. Hier mindeſtens ſchien ein abſoluter Anfang ohne Entwickelung. Und der müde geflatterte metaphyſiſche Gedanke ſank auf die weiße Stelle der Weltenkarte wie einer jener armen Schmetter¬ linge, die der Seefahrer im Ozean ins Takelwerk taumeln ſieht — taumeln ſieht mit dem wehmütigen Mitleid, wie leicht auch er durch irgend eine Ungunſt des Elements ſolch fern verſcheuchter Fremdling werden könnte ..... Hatte Gott ſonſt nichts gethan in den Wehen der Erdgeſchichte: hier war denn doch ſeine Hand im Spiel — vor dem Ur-Bazillus ..... Jetzt aber war es die Urzeugungslehre, die auch dieſe letzte Poſition dem myſtiſchen Schaffensbegriffe energiſch beſtritt. Auch hier forderte ſie ſchlechtweg ein mechaniſches Geſchehen. Du kennſt aus der myſtiſchen Gedankenwelt ſelbſt die ſchöne Legende von den Steinen, die redeten, als die Menſchen¬ thorheit ſchwieg. So, wo die Stimme des Lebens ganz zu verſagen ſchien, rief der unentwegte Forſcherſinn die tote Materie wach: Urzeugung — Entſtehung des erſten Lebens ohne myſtiſchen Eingriff einfach aus dem unbelebten, aber

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben01_1898
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben01_1898/124
Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898, S. 108. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben01_1898/124>, abgerufen am 02.05.2024.