ist die charakteristische Form des sogenannten Reisspiesses, d. i. der Spiess des Reisigen, des Reiters, im Gegensatze zum knech- tischen Spiess, d. i. der Spiess des Fussknechtes, später des Lands- knechts und Pikeniers.
Im 15. Jahrhundert, in dessen Laufe die Stärke der Reisspiesse stetig zugenommen hatte, trat, veranlasst durch die Zunahme ihres Gewichtes, eine Reaktion ein; der Spiessschaft wird zwar am Durch- messer nicht geringer gebildet, er erhält aber Kanälierungen (Fig. 384) von zuweilen bedeutender Tiefe; dadurch wurde er auch für das Auge gefälliger. Am Ende des 15. Jahrhunderts wurde es Sitte, das Spiesseisen an seinem unteren Ende mit einem Fuchsschweife zu ver- zieren. Wir sehen diese Mode in A. Dürers schönem Stiche: "Ritter,
[Abbildung]
Fig. 388.
Spanischer Reiter, aus Springstecken gebildet. 18. Jahrhundert. Landeszeughaus in Graz.
Tod und Teufel", wie auch in den für die Kunde des Waffenwesens jener Zeit ausserordentlich wichtigen Zeugbüchern Maximilians I. (Fig. 385.)
Die Reisspiesse, in deutschen Ländern auch "Schürzer" genannt, welche eine durchschnittliche Länge von 3.5 m. besassen, wurden beim Angriffe in horizontale Lage gebracht und derart auf den Rüst- haken des Harnisches gelegt, dass dieser in den schwächeren Teil des Schaftes, der Handlage, zunächst hinter der Hand des Reiters zu stehen kam. Diese Position hatte ihre Nachteile darin, dass bei
B. Die Stangenwaffen. 1. Der Spieſs.
ist die charakteristische Form des sogenannten Reisspieſses, d. i. der Spieſs des Reisigen, des Reiters, im Gegensatze zum knech- tischen Spieſs, d. i. der Spieſs des Fuſsknechtes, später des Lands- knechts und Pikeniers.
Im 15. Jahrhundert, in dessen Laufe die Stärke der Reisspieſse stetig zugenommen hatte, trat, veranlaſst durch die Zunahme ihres Gewichtes, eine Reaktion ein; der Spieſsschaft wird zwar am Durch- messer nicht geringer gebildet, er erhält aber Kanälierungen (Fig. 384) von zuweilen bedeutender Tiefe; dadurch wurde er auch für das Auge gefälliger. Am Ende des 15. Jahrhunderts wurde es Sitte, das Spieſseisen an seinem unteren Ende mit einem Fuchsschweife zu ver- zieren. Wir sehen diese Mode in A. Dürers schönem Stiche: „Ritter,
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Fig. 388.
Spanischer Reiter, aus Springstecken gebildet. 18. Jahrhundert. Landeszeughaus in Graz.
Tod und Teufel“, wie auch in den für die Kunde des Waffenwesens jener Zeit auſserordentlich wichtigen Zeugbüchern Maximilians I. (Fig. 385.)
Die Reisspieſse, in deutschen Ländern auch „Schürzer“ genannt, welche eine durchschnittliche Länge von 3.5 m. besaſsen, wurden beim Angriffe in horizontale Lage gebracht und derart auf den Rüst- haken des Harnisches gelegt, daſs dieser in den schwächeren Teil des Schaftes, der Handlage, zunächst hinter der Hand des Reiters zu stehen kam. Diese Position hatte ihre Nachteile darin, daſs bei
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B. Die Stangenwaffen. 1. Der Spieſs.
ist die charakteristische Form des sogenannten Reisspieſses, d. i.
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tischen Spieſs, d. i. der Spieſs des Fuſsknechtes, später des Lands-
knechts und Pikeniers.
Im 15. Jahrhundert, in dessen Laufe die Stärke der Reisspieſse
stetig zugenommen hatte, trat, veranlaſst durch die Zunahme ihres
Gewichtes, eine Reaktion ein; der Spieſsschaft wird zwar am Durch-
messer nicht geringer gebildet, er erhält aber Kanälierungen (Fig. 384)
von zuweilen bedeutender Tiefe; dadurch wurde er auch für das
Auge gefälliger. Am Ende des 15. Jahrhunderts wurde es Sitte, das
Spieſseisen an seinem unteren Ende mit einem Fuchsschweife zu ver-
zieren. Wir sehen diese Mode in A. Dürers schönem Stiche: „Ritter,
[Abbildung Fig. 388. Spanischer Reiter, aus Springstecken gebildet.
18. Jahrhundert. Landeszeughaus in Graz.]
Tod und Teufel“, wie auch in den für die Kunde des Waffenwesens
jener Zeit auſserordentlich wichtigen Zeugbüchern Maximilians I.
(Fig. 385.)
Die Reisspieſse, in deutschen Ländern auch „Schürzer“ genannt,
welche eine durchschnittliche Länge von 3.5 m. besaſsen, wurden
beim Angriffe in horizontale Lage gebracht und derart auf den Rüst-
haken des Harnisches gelegt, daſs dieser in den schwächeren Teil
des Schaftes, der Handlage, zunächst hinter der Hand des Reiters
zu stehen kam. Diese Position hatte ihre Nachteile darin, daſs bei
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Boeheim, Wendelin: Handbuch der Waffenkunde. Leipzig, 1890, S. 327. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boeheim_waffenkunde_1890/345>, abgerufen am 21.11.2024.
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