mälde von Tizian in der Galerie in Madrid dargestellt.*) Wir haben dabei kaum nötig, zu bemerken, dass diese Sitte nichts anderes als das Zurückgreifen in eine frühere Zeit ist, in welcher der Spiess als das Würdenzeichen der Höchsten erschien.
Eine eigenartige Spiesswaffe wird noch in den älteren Lands- knechtheeren geführt, der Wurfspiess, das "Schefflin", auch Archegaie, Zagaye. Das Schefflin besitzt ein langes, geripptes, aber innen hohl gebildetes, daher überaus leichtes Spiesseisen mit kurzer Dille, welches an einem dünnen, ca. 1.70 m. langen Schafte befestigt ist; letzterer wurde mit Leinwand oder auch mit feinem Leder überzogen und be- malt. Am hinteren Schaftende sieht man in Abbildungen Befiede- rungen ähnlich wie bei Pfeilen. (Fig. 375 und 376.)
Der Name leitet sich von javelin, javelot, auch gabelo ab, das vielleicht im germanischen "ger" seine Wurzel hat. Mit ihm begegnen wir einer weiteren Wurfspiessgattung, deren Gebrauch ins frühe Mittel- alter zurückreicht. Wir finden den javelin bereits im Rolandsliede, ebenso in der Dichtung: "La conquete de Jerusalem", wo es heisst: "Et cil as gavelos commencent a lanchir" VI, v. 5377 ff. Im Jahre 1320 werden die javelots unter den verbotenen Waffen angeführt. In London bildeten die "javelin-men" die Eskorte des Sheriffs, wenn er zu Hofe ritt. Die letzten javelots sollen nach Hewitt in einem Harleian-Manuskripte (4374) von ca. 1480 abgebildet sein; das ist, wie wir ersehen haben, irrig, da sie noch in den Zeugbüchern Maximilians I. vom Jahre 1514 figurieren und bis ca. 1520 noch von den deutschen Landsknechten geführt wurden.
Bei der allmählichen Umbildung der Landsknechtfähnlein in anders organisierte Fussknechtregimenter erlitt auch die Bewaffnung und da- mit auch die Gefechtsweise eine Änderung. Die Stosswaffe, der lange Spiess, blieb aber mit unwesentlichen Veränderungen in der Form nach wie vor die vorzüglichste Waffe des Fussknechtes; nur verliert sie ihren Namen und wird nun Pike genannt. Diese Bezeichnung, aus dem französischen "pique" von piquer, "stechen", erscheint schon in den spanischen Heeren Karls V. unter der Bezeichnung picas und kam durch die Niederländer in die übrigen Heere; sie erhält sich bis zu ihrem Verschwinden im letzten Jahrzehnt des 17. Jahrhunderts, der Zeit der Einführung des Spundbajonetts. In dem Absatze, welcher die Bewaffnung in ihrer Totalität behandelt, haben wir den Piqueur oder "Pikenier", wie er in deutschen Regimentern genannt wurde, vor Augen gestellt. In dieser Periode führt ähnlich wie in den Landsknechtheeren der Unteroffizier (Feldweibel, Profoss, Rott-
*) Derlei leichte Spiesse von der Form der Wurfspiesse wurden von den Herren meist auf der Jagd, sonst bei festlichen Anlässen, selten aber im vollen Harnische geführt. Auch Karl V. erscheint auf dem obenerwähnten Gemälde von 1548 nur im halben Harnisch.
II. Die Angriffswaffen.
mälde von Tizian in der Galerie in Madrid dargestellt.*) Wir haben dabei kaum nötig, zu bemerken, daſs diese Sitte nichts anderes als das Zurückgreifen in eine frühere Zeit ist, in welcher der Spieſs als das Würdenzeichen der Höchsten erschien.
Eine eigenartige Spieſswaffe wird noch in den älteren Lands- knechtheeren geführt, der Wurfspieſs, das „Schefflin“, auch Archegaie, Zagaye. Das Schefflin besitzt ein langes, geripptes, aber innen hohl gebildetes, daher überaus leichtes Spieſseisen mit kurzer Dille, welches an einem dünnen, ca. 1.70 m. langen Schafte befestigt ist; letzterer wurde mit Leinwand oder auch mit feinem Leder überzogen und be- malt. Am hinteren Schaftende sieht man in Abbildungen Befiede- rungen ähnlich wie bei Pfeilen. (Fig. 375 und 376.)
Der Name leitet sich von javelin, javelot, auch gabelo ab, das vielleicht im germanischen „ger“ seine Wurzel hat. Mit ihm begegnen wir einer weiteren Wurfspieſsgattung, deren Gebrauch ins frühe Mittel- alter zurückreicht. Wir finden den javelin bereits im Rolandsliede, ebenso in der Dichtung: „La conquête de Jerusalem“, wo es heiſst: „Et cil as gavelos commencent à lanchir“ VI, v. 5377 ff. Im Jahre 1320 werden die javelots unter den verbotenen Waffen angeführt. In London bildeten die „javelin-men“ die Eskorte des Sheriffs, wenn er zu Hofe ritt. Die letzten javelots sollen nach Hewitt in einem Harleian-Manuskripte (4374) von ca. 1480 abgebildet sein; das ist, wie wir ersehen haben, irrig, da sie noch in den Zeugbüchern Maximilians I. vom Jahre 1514 figurieren und bis ca. 1520 noch von den deutschen Landsknechten geführt wurden.
Bei der allmählichen Umbildung der Landsknechtfähnlein in anders organisierte Fuſsknechtregimenter erlitt auch die Bewaffnung und da- mit auch die Gefechtsweise eine Änderung. Die Stoſswaffe, der lange Spieſs, blieb aber mit unwesentlichen Veränderungen in der Form nach wie vor die vorzüglichste Waffe des Fuſsknechtes; nur verliert sie ihren Namen und wird nun Pike genannt. Diese Bezeichnung, aus dem französischen „pique“ von piquer, „stechen“, erscheint schon in den spanischen Heeren Karls V. unter der Bezeichnung picas und kam durch die Niederländer in die übrigen Heere; sie erhält sich bis zu ihrem Verschwinden im letzten Jahrzehnt des 17. Jahrhunderts, der Zeit der Einführung des Spundbajonetts. In dem Absatze, welcher die Bewaffnung in ihrer Totalität behandelt, haben wir den Piqueur oder „Pikenier“, wie er in deutschen Regimentern genannt wurde, vor Augen gestellt. In dieser Periode führt ähnlich wie in den Landsknechtheeren der Unteroffizier (Feldweibel, Profoſs, Rott-
*) Derlei leichte Spieſse von der Form der Wurfspieſse wurden von den Herren meist auf der Jagd, sonst bei festlichen Anlässen, selten aber im vollen Harnische geführt. Auch Karl V. erscheint auf dem obenerwähnten Gemälde von 1548 nur im halben Harnisch.
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mälde von Tizian in der Galerie in Madrid dargestellt. *) Wir haben
dabei kaum nötig, zu bemerken, daſs diese Sitte nichts anderes als
das Zurückgreifen in eine frühere Zeit ist, in welcher der Spieſs als
das Würdenzeichen der Höchsten erschien.
Eine eigenartige Spieſswaffe wird noch in den älteren Lands-
knechtheeren geführt, der Wurfspieſs, das „Schefflin“, auch Archegaie,
Zagaye. Das Schefflin besitzt ein langes, geripptes, aber innen hohl
gebildetes, daher überaus leichtes Spieſseisen mit kurzer Dille, welches
an einem dünnen, ca. 1.70 m. langen Schafte befestigt ist; letzterer
wurde mit Leinwand oder auch mit feinem Leder überzogen und be-
malt. Am hinteren Schaftende sieht man in Abbildungen Befiede-
rungen ähnlich wie bei Pfeilen. (Fig. 375 und 376.)
Der Name leitet sich von javelin, javelot, auch gabelo ab, das
vielleicht im germanischen „ger“ seine Wurzel hat. Mit ihm begegnen
wir einer weiteren Wurfspieſsgattung, deren Gebrauch ins frühe Mittel-
alter zurückreicht. Wir finden den javelin bereits im Rolandsliede,
ebenso in der Dichtung: „La conquête de Jerusalem“, wo es heiſst:
„Et cil as gavelos commencent à lanchir“ VI, v. 5377 ff.
Im Jahre 1320 werden die javelots unter den verbotenen Waffen
angeführt. In London bildeten die „javelin-men“ die Eskorte des
Sheriffs, wenn er zu Hofe ritt. Die letzten javelots sollen nach Hewitt
in einem Harleian-Manuskripte (4374) von ca. 1480 abgebildet sein; das
ist, wie wir ersehen haben, irrig, da sie noch in den Zeugbüchern
Maximilians I. vom Jahre 1514 figurieren und bis ca. 1520 noch von
den deutschen Landsknechten geführt wurden.
Bei der allmählichen Umbildung der Landsknechtfähnlein in anders
organisierte Fuſsknechtregimenter erlitt auch die Bewaffnung und da-
mit auch die Gefechtsweise eine Änderung. Die Stoſswaffe, der lange
Spieſs, blieb aber mit unwesentlichen Veränderungen in der Form
nach wie vor die vorzüglichste Waffe des Fuſsknechtes; nur verliert
sie ihren Namen und wird nun Pike genannt. Diese Bezeichnung,
aus dem französischen „pique“ von piquer, „stechen“, erscheint schon
in den spanischen Heeren Karls V. unter der Bezeichnung picas und
kam durch die Niederländer in die übrigen Heere; sie erhält sich bis
zu ihrem Verschwinden im letzten Jahrzehnt des 17. Jahrhunderts,
der Zeit der Einführung des Spundbajonetts. In dem Absatze,
welcher die Bewaffnung in ihrer Totalität behandelt, haben wir den
Piqueur oder „Pikenier“, wie er in deutschen Regimentern genannt
wurde, vor Augen gestellt. In dieser Periode führt ähnlich wie in
den Landsknechtheeren der Unteroffizier (Feldweibel, Profoſs, Rott-
*) Derlei leichte Spieſse von der Form der Wurfspieſse wurden von den
Herren meist auf der Jagd, sonst bei festlichen Anlässen, selten aber im vollen
Harnische geführt. Auch Karl V. erscheint auf dem obenerwähnten Gemälde von
1548 nur im halben Harnisch.
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Boeheim, Wendelin: Handbuch der Waffenkunde. Leipzig, 1890, S. 320. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boeheim_waffenkunde_1890/338>, abgerufen am 21.11.2024.
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