[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 11. Zürich, 1743.Von Langnau Schreiben eben nicht so arg herausgekommen wäre, erwürde gewiß solche Schönheiten darinn gefun- den und angezeigt haben, die von keinem an- dern Menschen weder zuvor noch darnach würden wahrgenommen worden seyn. Wie sollte es aber möglich seyn, daß Hr. Gottsched selbst mit seinen eigenen Gedichten dergleichen Critische und regelmässige Operation sollte vornehmen können, da dieselben mehr durch einen glückli- chen Zufall, als nach einem überlegten Ent- wurff, wie zerflossenes Bley in einen Klumpen, zusammen geronnen sind? Was nach Regeln soll untersucht, zergliedert und beurtheilt wer- den, das muß nach einem vernünftigen Plan und gantz regelmässig eingerichtet seyn. Ein re- gelmässiger und vernünftiger Verfasser muß von allem Rechenschaft geben und zeigen können, in was vor Absichten er jeden Satz und Theil seiner Schrift an diesem Orte, in diesem Gra- de, in diesem Licht, in dieser Verbindung an- gebracht, wie eines in dem andern, und alles zusammen genommen in eben derselben Haupt- Absicht gegründet sey. Und es würde überaus nützlich seyn, wenn die Kunstrichter nicht nur andern Schriftverfassern auf die Spurgiengen, sondern auch jeder Verfasser, der nach Absich- ten und Regeln handelt, uns dieselben in seinen eignen Wercken verkundschaften und offenbah- ren würde, damit wir andere urtheilen könnten, wiefern er seine Absichten glücklich erreicht, und seinen Regeln eine Genüge geleistet habe. Die- ses kan ohne alle Prahlerey und Ruhmräthig- keit
Von Langnau Schreiben eben nicht ſo arg herausgekommen waͤre, erwuͤrde gewiß ſolche Schoͤnheiten darinn gefun- den und angezeigt haben, die von keinem an- dern Menſchen weder zuvor noch darnach wuͤrden wahrgenommen worden ſeyn. Wie ſollte es aber moͤglich ſeyn, daß Hr. Gottſched ſelbſt mit ſeinen eigenen Gedichten dergleichen Critiſche und regelmaͤſſige Operation ſollte vornehmen koͤnnen, da dieſelben mehr durch einen gluͤckli- chen Zufall, als nach einem uͤberlegten Ent- wurff, wie zerfloſſenes Bley in einen Klumpen, zuſammen geronnen ſind? Was nach Regeln ſoll unterſucht, zergliedert und beurtheilt wer- den, das muß nach einem vernuͤnftigen Plan und gantz regelmaͤſſig eingerichtet ſeyn. Ein re- gelmaͤſſiger und vernuͤnftiger Verfaſſer muß von allem Rechenſchaft geben und zeigen koͤnnen, in was vor Abſichten er jeden Satz und Theil ſeiner Schrift an dieſem Orte, in dieſem Gra- de, in dieſem Licht, in dieſer Verbindung an- gebracht, wie eines in dem andern, und alles zuſammen genommen in eben derſelben Haupt- Abſicht gegruͤndet ſey. Und es wuͤrde uͤberaus nuͤtzlich ſeyn, wenn die Kunſtrichter nicht nur andern Schriftverfaſſern auf die Spurgiengen, ſondern auch jeder Verfaſſer, der nach Abſich- ten und Regeln handelt, uns dieſelben in ſeinen eignen Wercken verkundſchaften und offenbah- ren wuͤrde, damit wir andere urtheilen koͤnnten, wiefern er ſeine Abſichten gluͤcklich erreicht, und ſeinen Regeln eine Genuͤge geleiſtet habe. Die- ſes kan ohne alle Prahlerey und Ruhmraͤthig- keit
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0068" n="66"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Von Langnau Schreiben</hi></fw><lb/> eben nicht ſo arg herausgekommen waͤre, er<lb/> wuͤrde gewiß ſolche Schoͤnheiten darinn gefun-<lb/> den und angezeigt haben, die von keinem an-<lb/> dern Menſchen weder zuvor noch darnach wuͤrden<lb/> wahrgenommen worden ſeyn. Wie ſollte es<lb/> aber moͤglich ſeyn, daß Hr. Gottſched ſelbſt mit<lb/> ſeinen eigenen Gedichten dergleichen Critiſche<lb/> und regelmaͤſſige Operation ſollte vornehmen<lb/> koͤnnen, da dieſelben mehr durch einen gluͤckli-<lb/> chen Zufall, als nach einem uͤberlegten Ent-<lb/> wurff, wie zerfloſſenes Bley in einen Klumpen,<lb/> zuſammen geronnen ſind? Was nach Regeln<lb/> ſoll unterſucht, zergliedert und beurtheilt wer-<lb/> den, das muß nach einem vernuͤnftigen Plan<lb/> und gantz regelmaͤſſig eingerichtet ſeyn. Ein re-<lb/> gelmaͤſſiger und vernuͤnftiger Verfaſſer muß von<lb/> allem Rechenſchaft geben und zeigen koͤnnen,<lb/> in was vor Abſichten er jeden Satz und Theil<lb/> ſeiner Schrift an dieſem Orte, in dieſem Gra-<lb/> de, in dieſem Licht, in dieſer Verbindung an-<lb/> gebracht, wie eines in dem andern, und alles<lb/> zuſammen genommen in eben derſelben Haupt-<lb/> Abſicht gegruͤndet ſey. Und es wuͤrde uͤberaus<lb/> nuͤtzlich ſeyn, wenn die Kunſtrichter nicht nur<lb/> andern Schriftverfaſſern auf die Spurgiengen,<lb/> ſondern auch jeder Verfaſſer, der nach Abſich-<lb/> ten und Regeln handelt, uns dieſelben in ſeinen<lb/> eignen Wercken verkundſchaften und offenbah-<lb/> ren wuͤrde, damit wir andere urtheilen koͤnnten,<lb/> wiefern er ſeine Abſichten gluͤcklich erreicht, und<lb/> ſeinen Regeln eine Genuͤge geleiſtet habe. Die-<lb/> ſes kan ohne alle Prahlerey und Ruhmraͤthig-<lb/> <fw place="bottom" type="catch">keit</fw><lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [66/0068]
Von Langnau Schreiben
eben nicht ſo arg herausgekommen waͤre, er
wuͤrde gewiß ſolche Schoͤnheiten darinn gefun-
den und angezeigt haben, die von keinem an-
dern Menſchen weder zuvor noch darnach wuͤrden
wahrgenommen worden ſeyn. Wie ſollte es
aber moͤglich ſeyn, daß Hr. Gottſched ſelbſt mit
ſeinen eigenen Gedichten dergleichen Critiſche
und regelmaͤſſige Operation ſollte vornehmen
koͤnnen, da dieſelben mehr durch einen gluͤckli-
chen Zufall, als nach einem uͤberlegten Ent-
wurff, wie zerfloſſenes Bley in einen Klumpen,
zuſammen geronnen ſind? Was nach Regeln
ſoll unterſucht, zergliedert und beurtheilt wer-
den, das muß nach einem vernuͤnftigen Plan
und gantz regelmaͤſſig eingerichtet ſeyn. Ein re-
gelmaͤſſiger und vernuͤnftiger Verfaſſer muß von
allem Rechenſchaft geben und zeigen koͤnnen,
in was vor Abſichten er jeden Satz und Theil
ſeiner Schrift an dieſem Orte, in dieſem Gra-
de, in dieſem Licht, in dieſer Verbindung an-
gebracht, wie eines in dem andern, und alles
zuſammen genommen in eben derſelben Haupt-
Abſicht gegruͤndet ſey. Und es wuͤrde uͤberaus
nuͤtzlich ſeyn, wenn die Kunſtrichter nicht nur
andern Schriftverfaſſern auf die Spurgiengen,
ſondern auch jeder Verfaſſer, der nach Abſich-
ten und Regeln handelt, uns dieſelben in ſeinen
eignen Wercken verkundſchaften und offenbah-
ren wuͤrde, damit wir andere urtheilen koͤnnten,
wiefern er ſeine Abſichten gluͤcklich erreicht, und
ſeinen Regeln eine Genuͤge geleiſtet habe. Die-
ſes kan ohne alle Prahlerey und Ruhmraͤthig-
keit
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |