Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 11. Zürich, 1743.

Bild:
<< vorherige Seite
Von Langnau Schreiben

"geln vernünfftig prüffet, und richtig beurtheilet."
Urtheile über Sachen, die wir von andern em-
pfangen und angenommen haben, gehören nicht zu
der critischen, sondern zu der historischen Erkennt-
niß. Diesem zufolge sodere ich billig von euch, um
euer Urtheil, und zugleich die Benennung der Gott-
schedischen Dichtkunst als einer Critischen zu recht-
fertigen, daß ihr mir diejenigen Meisterstücke anzei-
get, deren Schönheiten und Fehler Herr Gottsched
in seiner Dichtkunst zuerst nach vernünftigen Regeln
geprüfet und richtig beurtheilet hat. Sonst werde
ich diese Dichtkunst immer nur für eine so-genannte
Critische Dichtkunst ansehen, und behaupten,
daß das Beywort Critisch auf dem Titel der
Gottschedischen Dichtkunst eben so wenig einen zu-
reichenden Grund habe, als der Zusatz für die
Deutschen.
Da hingegen der Schweitzerschen
Dichtkunst dieses Beywort kaum ein deutscher Poet
streitig machen wird. Siehe das VI.te Stück der
Schweitzerisch-critischen Sammlung Bl. 102. An-
merck. Q.

C. Auf der 424. Seite des VI.ten Artickels
stellet ihr die Schweitzersche und die Gottschedische
Dichtkunst in eine Vergleichung:

"So gleich-
"lautend der Titel auf beyden war, so unterschie-
"den waren sie gleichwohl ihrem Jnnhalte nach.
"Jn einem jeden Wercke war eine besondere Ord-
"nung und Einrichtung. Man fand in dem er-
"sten nothwendige Hauptstücke, die man in dem
"letzten vergebens suchte; und in dem letzten wur-
"den dagegen wiederum vortreffliche Materien
"ausgeführet, die in dem erstern entweder gar
"nicht,
Von Langnau Schreiben

„geln vernuͤnfftig pruͤffet, und richtig beurtheilet.„
Urtheile uͤber Sachen, die wir von andern em-
pfangen und angenommen haben, gehoͤren nicht zu
der critiſchen, ſondern zu der hiſtoriſchen Erkennt-
niß. Dieſem zufolge ſodere ich billig von euch, um
euer Urtheil, und zugleich die Benennung der Gott-
ſchediſchen Dichtkunſt als einer Critiſchen zu recht-
fertigen, daß ihr mir diejenigen Meiſterſtuͤcke anzei-
get, deren Schoͤnheiten und Fehler Herr Gottſched
in ſeiner Dichtkunſt zuerſt nach vernuͤnftigen Regeln
gepruͤfet und richtig beurtheilet hat. Sonſt werde
ich dieſe Dichtkunſt immer nur fuͤr eine ſo-genannte
Critiſche Dichtkunſt anſehen, und behaupten,
daß das Beywort Critiſch auf dem Titel der
Gottſchediſchen Dichtkunſt eben ſo wenig einen zu-
reichenden Grund habe, als der Zuſatz fuͤr die
Deutſchen.
Da hingegen der Schweitzerſchen
Dichtkunſt dieſes Beywort kaum ein deutſcher Poet
ſtreitig machen wird. Siehe das VI.te Stuͤck der
Schweitzeriſch-critiſchen Sammlung Bl. 102. An-
merck. Q.

C. Auf der 424. Seite des VI.ten Artickels
ſtellet ihr die Schweitzerſche und die Gottſchediſche
Dichtkunſt in eine Vergleichung:

„So gleich-
„lautend der Titel auf beyden war, ſo unterſchie-
„den waren ſie gleichwohl ihrem Jnnhalte nach.
„Jn einem jeden Wercke war eine beſondere Ord-
„nung und Einrichtung. Man fand in dem er-
„ſten nothwendige Hauptſtuͤcke, die man in dem
„letzten vergebens ſuchte; und in dem letzten wur-
„den dagegen wiederum vortreffliche Materien
„ausgefuͤhret, die in dem erſtern entweder gar
„nicht,
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0044" n="42"/>
          <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Von Langnau Schreiben</hi> </fw><lb/>
          <p>&#x201E;geln vernu&#x0364;nfftig pru&#x0364;ffet, und richtig beurtheilet.&#x201E;<lb/>
Urtheile u&#x0364;ber Sachen, die wir von andern em-<lb/>
pfangen und angenommen haben, geho&#x0364;ren nicht zu<lb/>
der criti&#x017F;chen, &#x017F;ondern zu der hi&#x017F;tori&#x017F;chen Erkennt-<lb/>
niß. Die&#x017F;em zufolge &#x017F;odere ich billig von euch, um<lb/>
euer Urtheil, und zugleich die Benennung der Gott-<lb/>
&#x017F;chedi&#x017F;chen Dichtkun&#x017F;t als einer <hi rendition="#fr">Criti&#x017F;chen</hi> zu recht-<lb/>
fertigen, daß ihr mir diejenigen Mei&#x017F;ter&#x017F;tu&#x0364;cke anzei-<lb/>
get, deren Scho&#x0364;nheiten und Fehler Herr Gott&#x017F;ched<lb/>
in &#x017F;einer Dichtkun&#x017F;t zuer&#x017F;t nach vernu&#x0364;nftigen Regeln<lb/>
gepru&#x0364;fet und richtig beurtheilet hat. Son&#x017F;t werde<lb/>
ich die&#x017F;e Dichtkun&#x017F;t immer nur fu&#x0364;r eine &#x017F;o-genannte<lb/><hi rendition="#fr">Criti&#x017F;che</hi> Dichtkun&#x017F;t an&#x017F;ehen, und behaupten,<lb/>
daß das Beywort <hi rendition="#fr">Criti&#x017F;ch</hi> auf dem Titel der<lb/>
Gott&#x017F;chedi&#x017F;chen Dichtkun&#x017F;t eben &#x017F;o wenig einen zu-<lb/>
reichenden Grund habe, als der Zu&#x017F;atz <hi rendition="#fr">fu&#x0364;r die<lb/>
Deut&#x017F;chen.</hi> Da hingegen der Schweitzer&#x017F;chen<lb/>
Dichtkun&#x017F;t die&#x017F;es Beywort kaum ein deut&#x017F;cher Poet<lb/>
&#x017F;treitig machen wird. Siehe das <hi rendition="#aq">VI.</hi>te Stu&#x0364;ck der<lb/>
Schweitzeri&#x017F;ch-criti&#x017F;chen Sammlung Bl. 102. An-<lb/>
merck. <hi rendition="#aq">Q.</hi></p><lb/>
          <p><hi rendition="#aq">C.</hi> Auf der 424. Seite des <hi rendition="#aq">VI.</hi>ten Artickels<lb/>
&#x017F;tellet ihr die Schweitzer&#x017F;che und die Gott&#x017F;chedi&#x017F;che<lb/>
Dichtkun&#x017F;t in eine Vergleichung:</p>
          <cit>
            <quote>&#x201E;So gleich-<lb/>
&#x201E;lautend der Titel auf beyden war, &#x017F;o unter&#x017F;chie-<lb/>
&#x201E;den waren &#x017F;ie gleichwohl ihrem Jnnhalte nach.<lb/>
&#x201E;Jn einem jeden Wercke war eine be&#x017F;ondere Ord-<lb/>
&#x201E;nung und Einrichtung. Man fand in dem er-<lb/>
&#x201E;&#x017F;ten nothwendige Haupt&#x017F;tu&#x0364;cke, die man in dem<lb/>
&#x201E;letzten vergebens &#x017F;uchte; und in dem letzten wur-<lb/>
&#x201E;den dagegen wiederum vortreffliche Materien<lb/>
&#x201E;ausgefu&#x0364;hret, die in dem er&#x017F;tern entweder gar<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">&#x201E;nicht,</fw><lb/></quote>
          </cit>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[42/0044] Von Langnau Schreiben „geln vernuͤnfftig pruͤffet, und richtig beurtheilet.„ Urtheile uͤber Sachen, die wir von andern em- pfangen und angenommen haben, gehoͤren nicht zu der critiſchen, ſondern zu der hiſtoriſchen Erkennt- niß. Dieſem zufolge ſodere ich billig von euch, um euer Urtheil, und zugleich die Benennung der Gott- ſchediſchen Dichtkunſt als einer Critiſchen zu recht- fertigen, daß ihr mir diejenigen Meiſterſtuͤcke anzei- get, deren Schoͤnheiten und Fehler Herr Gottſched in ſeiner Dichtkunſt zuerſt nach vernuͤnftigen Regeln gepruͤfet und richtig beurtheilet hat. Sonſt werde ich dieſe Dichtkunſt immer nur fuͤr eine ſo-genannte Critiſche Dichtkunſt anſehen, und behaupten, daß das Beywort Critiſch auf dem Titel der Gottſchediſchen Dichtkunſt eben ſo wenig einen zu- reichenden Grund habe, als der Zuſatz fuͤr die Deutſchen. Da hingegen der Schweitzerſchen Dichtkunſt dieſes Beywort kaum ein deutſcher Poet ſtreitig machen wird. Siehe das VI.te Stuͤck der Schweitzeriſch-critiſchen Sammlung Bl. 102. An- merck. Q. C. Auf der 424. Seite des VI.ten Artickels ſtellet ihr die Schweitzerſche und die Gottſchediſche Dichtkunſt in eine Vergleichung: „So gleich- „lautend der Titel auf beyden war, ſo unterſchie- „den waren ſie gleichwohl ihrem Jnnhalte nach. „Jn einem jeden Wercke war eine beſondere Ord- „nung und Einrichtung. Man fand in dem er- „ſten nothwendige Hauptſtuͤcke, die man in dem „letzten vergebens ſuchte; und in dem letzten wur- „den dagegen wiederum vortreffliche Materien „ausgefuͤhret, die in dem erſtern entweder gar „nicht,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung11_1743
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung11_1743/44
Zitationshilfe: [Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 11. Zürich, 1743, S. 42. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung11_1743/44>, abgerufen am 18.12.2024.