[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 10. Zürich, 1743.Versuch eines Gedichtes Er führte so sein Volck gleich als er selbst sich führt,Er war des Willens Herr, drum ward auch wol regiert. Was säum ich aber noch, den Nahmen fürzutragen? Der David ist es, merckt, von dem ich wollen sagen, Ja V. 16. Er war des Willens Herr, drum ward auch wol regiert.)
[Spaltenumbruch] Dieser lange Lobspruch stühnde in einem Lob-Gedichte gut genug; aber in einem epischen Gedichte ist er fast an jedem Orte überflüs- sig, weil daselbst der Charaeter des Helden nicht durch Züge der Worte und Beschreibungen, son- dern durch Handlungen im Unter- nehmen und Ausführen berühm- ter Thaten vorgestellt werden muß. Der Poet muß uns frey- lich gleich Anfangs die Haupt- Person, mit welcher er unsern Geist beschäftigen, und unser Hertz einnehmen will, anzeigen, aber zu diesem Ende muß er die- selbe in eigner Person auftre- ten, und sich mit Empfindungen, Reden und Thaten bey uns in Gunst setzen lassen; sie muß von ihm bey Zeiten in wichtigen Um- ständen und einer hohen Ge- müths-Verfassung nicht beschrie- ben, sondern vor Augen gestellt werden. Jn dem Vortrage des Gedichtes ist darum ein characte- risierender Lobspruch unnützlich und unnöthig, weil wir diesen schon in den folgenden Handlun- gen mit lebendigen und redenden Farben antreffen werden. Da erfordert die Sache selbst nichts mehrers, als daß das Vorhaben des Poeten, nemlich die Haupt- Handlung, die er besingen will, nach ihrem vornehmsten Gesich- tespunct nachdrücklich und ein- fältig angezeiget werde. Homer hat mit grosser Einfalt gesagt: [Spaltenumbruch] Muse singe den verderblichen Un- willen des Achilles, welcher den Griechen so viel Schaden und Un- glück zugefüget, und so manchen dapfern Held vor der Zeit dem Pluto zugeschickt, und ihre Leiber den Hunden und den Vögeln des Himmels zur Speise vorgeworf- fen. Cowley der sich, wie unser Poet, vorgenommen hatte, den gantzen Lebenslauf Davids zu besingen, hat den Jnhalt seiner Davideis mit mehrern Worten, und mit viel untermischten Lob- reden folgendergestalt vorgetra- gen: Jch singe den Mann, der das Scepter von Juda in der rech- ten Hand getragen, welche zu- vor den Hirtenstab geführt hat- te, der aus dem besten Poeten der beste König geworden; welches die zwo vornehmsten Gaben des Himmels sind; Aber vorher hat- te er viel Gefährlichkeiten und viel Arbeit auszustehen; indem Saul und die Hölle seinem mächtigen Schicksal vergeblich den Weg ver- schräncketen. Auch seine Krone gab ihm eben so schwere Arbeit, übte seine Geduld und sein Schwerdt eben so sehr, so lange als die boßhafte Fortun ihren Be- zwinger verfolgete, biß daß er mit unermüdeter Tugend alle Boß- heit zu Hause und allen Trutz der Fremden besiegete; Jhre Stärcke bestuhnd auf Armeen, seine auf dem Herrn der Heerzeuge. Verſuch eines Gedichtes Er fuͤhrte ſo ſein Volck gleich als er ſelbſt ſich fuͤhrt,Er war des Willens Herr, drum ward auch wol regiert. Was ſaͤum ich aber noch, den Nahmen fuͤrzutragen? Der David iſt es, merckt, von dem ich wollen ſagen, Ja V. 16. Er war des Willens Herr, drum ward auch wol regiert.)
[Spaltenumbruch] Dieſer lange Lobſpruch ſtuͤhnde in einem Lob-Gedichte gut genug; aber in einem epiſchen Gedichte iſt er faſt an jedem Orte uͤberfluͤſ- ſig, weil daſelbſt der Charaeter des Helden nicht durch Zuͤge der Worte und Beſchreibungen, ſon- dern durch Handlungen im Unter- nehmen und Ausfuͤhren beruͤhm- ter Thaten vorgeſtellt werden muß. Der Poet muß uns frey- lich gleich Anfangs die Haupt- Perſon, mit welcher er unſern Geiſt beſchaͤftigen, und unſer Hertz einnehmen will, anzeigen, aber zu dieſem Ende muß er die- ſelbe in eigner Perſon auftre- ten, und ſich mit Empfindungen, Reden und Thaten bey uns in Gunſt ſetzen laſſen; ſie muß von ihm bey Zeiten in wichtigen Um- ſtaͤnden und einer hohen Ge- muͤths-Verfaſſung nicht beſchrie- ben, ſondern vor Augen geſtellt werden. Jn dem Vortrage des Gedichtes iſt darum ein characte- riſierender Lobſpruch unnuͤtzlich und unnoͤthig, weil wir dieſen ſchon in den folgenden Handlun- gen mit lebendigen und redenden Farben antreffen werden. Da erfordert die Sache ſelbſt nichts mehrers, als daß das Vorhaben des Poeten, nemlich die Haupt- Handlung, die er beſingen will, nach ihrem vornehmſten Geſich- tespunct nachdruͤcklich und ein- faͤltig angezeiget werde. Homer hat mit groſſer Einfalt geſagt: [Spaltenumbruch] Muſe ſinge den verderblichen Un- willen des Achilles, welcher den Griechen ſo viel Schaden und Un- gluͤck zugefuͤget, und ſo manchen dapfern Held vor der Zeit dem Pluto zugeſchickt, und ihre Leiber den Hunden und den Voͤgeln des Himmels zur Speiſe vorgeworf- fen. Cowley der ſich, wie unſer Poet, vorgenommen hatte, den gantzen Lebenslauf Davids zu beſingen, hat den Jnhalt ſeiner Davideis mit mehrern Worten, und mit viel untermiſchten Lob- reden folgendergeſtalt vorgetra- gen: Jch ſinge den Mann, der das Scepter von Juda in der rech- ten Hand getragen, welche zu- vor den Hirtenſtab gefuͤhrt hat- te, der aus dem beſten Poeten der beſte Koͤnig geworden; welches die zwo vornehmſten Gaben des Himmels ſind; Aber vorher hat- te er viel Gefaͤhrlichkeiten und viel Arbeit auszuſtehen; indem Saul und die Hoͤlle ſeinem maͤchtigen Schickſal vergeblich den Weg ver- ſchraͤncketen. Auch ſeine Krone gab ihm eben ſo ſchwere Arbeit, uͤbte ſeine Geduld und ſein Schwerdt eben ſo ſehr, ſo lange als die boßhafte Fortun ihren Be- zwinger verfolgete, biß daß er mit unermuͤdeter Tugend alle Boß- heit zu Hauſe und allen Trutz der Fremden beſiegete; Jhre Staͤrcke beſtuhnd auf Armeen, ſeine auf dem Herrn der Heerzeuge. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <lg type="poem"> <pb facs="#f0020" n="20"/> <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Verſuch eines Gedichtes</hi> </fw><lb/> <l>Er fuͤhrte ſo ſein Volck gleich als er ſelbſt ſich fuͤhrt,</l><lb/> <l>Er war des Willens Herr, drum ward auch wol regiert.<note place="foot">V. 16. Er war des Willens Herr, drum ward auch wol regiert.)<lb/><cb/> Dieſer lange Lobſpruch ſtuͤhnde<lb/> in einem Lob-Gedichte gut genug;<lb/> aber in einem epiſchen Gedichte<lb/> iſt er faſt an jedem Orte uͤberfluͤſ-<lb/> ſig, weil daſelbſt der Charaeter<lb/> des Helden nicht durch Zuͤge der<lb/> Worte und Beſchreibungen, ſon-<lb/> dern durch Handlungen im Unter-<lb/> nehmen und Ausfuͤhren beruͤhm-<lb/> ter Thaten vorgeſtellt werden<lb/> muß. Der Poet muß uns frey-<lb/> lich gleich Anfangs die Haupt-<lb/> Perſon, mit welcher er unſern<lb/> Geiſt beſchaͤftigen, und unſer<lb/> Hertz einnehmen will, anzeigen,<lb/> aber zu dieſem Ende muß er die-<lb/> ſelbe in eigner Perſon auftre-<lb/> ten, und ſich mit Empfindungen,<lb/> Reden und Thaten bey uns in<lb/> Gunſt ſetzen laſſen; ſie muß von<lb/> ihm bey Zeiten in wichtigen Um-<lb/> ſtaͤnden und einer hohen Ge-<lb/> muͤths-Verfaſſung nicht beſchrie-<lb/> ben, ſondern vor Augen geſtellt<lb/> werden. Jn dem Vortrage des<lb/> Gedichtes iſt darum ein characte-<lb/> riſierender Lobſpruch unnuͤtzlich<lb/> und unnoͤthig, weil wir dieſen<lb/> ſchon in den folgenden Handlun-<lb/> gen mit lebendigen und redenden<lb/> Farben antreffen werden. Da<lb/> erfordert die Sache ſelbſt nichts<lb/> mehrers, als daß das Vorhaben<lb/> des Poeten, nemlich die Haupt-<lb/> Handlung, die er beſingen will,<lb/> nach ihrem vornehmſten Geſich-<lb/> tespunct nachdruͤcklich und ein-<lb/> faͤltig angezeiget werde. Homer<lb/> hat mit groſſer Einfalt geſagt:<lb/><cb/> Muſe ſinge den verderblichen Un-<lb/> willen des Achilles, welcher den<lb/> Griechen ſo viel Schaden und Un-<lb/> gluͤck zugefuͤget, und ſo manchen<lb/> dapfern Held vor der Zeit dem<lb/> Pluto zugeſchickt, und ihre Leiber<lb/> den Hunden und den Voͤgeln des<lb/> Himmels zur Speiſe vorgeworf-<lb/> fen. Cowley der ſich, wie unſer<lb/> Poet, vorgenommen hatte, den<lb/> gantzen Lebenslauf Davids zu<lb/> beſingen, hat den Jnhalt ſeiner<lb/> Davideis mit mehrern Worten,<lb/> und mit viel untermiſchten Lob-<lb/> reden folgendergeſtalt vorgetra-<lb/> gen: Jch ſinge den Mann, der<lb/> das Scepter von Juda in der rech-<lb/> ten Hand getragen, welche zu-<lb/> vor den Hirtenſtab gefuͤhrt hat-<lb/> te, der aus dem beſten Poeten der<lb/> beſte Koͤnig geworden; welches<lb/> die zwo vornehmſten Gaben des<lb/> Himmels ſind; Aber vorher hat-<lb/> te er viel Gefaͤhrlichkeiten und viel<lb/> Arbeit auszuſtehen; indem Saul<lb/> und die Hoͤlle ſeinem maͤchtigen<lb/> Schickſal vergeblich den Weg ver-<lb/> ſchraͤncketen. Auch ſeine Krone<lb/> gab ihm eben ſo ſchwere Arbeit,<lb/> uͤbte ſeine Geduld und ſein<lb/> Schwerdt eben ſo ſehr, ſo lange<lb/> als die boßhafte Fortun ihren Be-<lb/> zwinger verfolgete, biß daß er mit<lb/> unermuͤdeter Tugend alle Boß-<lb/> heit zu Hauſe und allen Trutz der<lb/> Fremden beſiegete; Jhre Staͤrcke<lb/> beſtuhnd auf Armeen, ſeine auf<lb/> dem Herrn der Heerzeuge.</note></l><lb/> <l>Was ſaͤum ich aber noch, den Nahmen fuͤrzutragen?</l><lb/> <l>Der David iſt es, merckt, von dem ich wollen ſagen,</l><lb/> <fw place="bottom" type="catch">Ja</fw><lb/> <l/><lb/> </lg> </div> </body> </text> </TEI> [20/0020]
Verſuch eines Gedichtes
Er fuͤhrte ſo ſein Volck gleich als er ſelbſt ſich fuͤhrt,
Er war des Willens Herr, drum ward auch wol regiert.
Was ſaͤum ich aber noch, den Nahmen fuͤrzutragen?
Der David iſt es, merckt, von dem ich wollen ſagen,
Ja
V. 16. Er war des Willens Herr, drum ward auch wol regiert.)
Dieſer lange Lobſpruch ſtuͤhnde
in einem Lob-Gedichte gut genug;
aber in einem epiſchen Gedichte
iſt er faſt an jedem Orte uͤberfluͤſ-
ſig, weil daſelbſt der Charaeter
des Helden nicht durch Zuͤge der
Worte und Beſchreibungen, ſon-
dern durch Handlungen im Unter-
nehmen und Ausfuͤhren beruͤhm-
ter Thaten vorgeſtellt werden
muß. Der Poet muß uns frey-
lich gleich Anfangs die Haupt-
Perſon, mit welcher er unſern
Geiſt beſchaͤftigen, und unſer
Hertz einnehmen will, anzeigen,
aber zu dieſem Ende muß er die-
ſelbe in eigner Perſon auftre-
ten, und ſich mit Empfindungen,
Reden und Thaten bey uns in
Gunſt ſetzen laſſen; ſie muß von
ihm bey Zeiten in wichtigen Um-
ſtaͤnden und einer hohen Ge-
muͤths-Verfaſſung nicht beſchrie-
ben, ſondern vor Augen geſtellt
werden. Jn dem Vortrage des
Gedichtes iſt darum ein characte-
riſierender Lobſpruch unnuͤtzlich
und unnoͤthig, weil wir dieſen
ſchon in den folgenden Handlun-
gen mit lebendigen und redenden
Farben antreffen werden. Da
erfordert die Sache ſelbſt nichts
mehrers, als daß das Vorhaben
des Poeten, nemlich die Haupt-
Handlung, die er beſingen will,
nach ihrem vornehmſten Geſich-
tespunct nachdruͤcklich und ein-
faͤltig angezeiget werde. Homer
hat mit groſſer Einfalt geſagt:
Muſe ſinge den verderblichen Un-
willen des Achilles, welcher den
Griechen ſo viel Schaden und Un-
gluͤck zugefuͤget, und ſo manchen
dapfern Held vor der Zeit dem
Pluto zugeſchickt, und ihre Leiber
den Hunden und den Voͤgeln des
Himmels zur Speiſe vorgeworf-
fen. Cowley der ſich, wie unſer
Poet, vorgenommen hatte, den
gantzen Lebenslauf Davids zu
beſingen, hat den Jnhalt ſeiner
Davideis mit mehrern Worten,
und mit viel untermiſchten Lob-
reden folgendergeſtalt vorgetra-
gen: Jch ſinge den Mann, der
das Scepter von Juda in der rech-
ten Hand getragen, welche zu-
vor den Hirtenſtab gefuͤhrt hat-
te, der aus dem beſten Poeten der
beſte Koͤnig geworden; welches
die zwo vornehmſten Gaben des
Himmels ſind; Aber vorher hat-
te er viel Gefaͤhrlichkeiten und viel
Arbeit auszuſtehen; indem Saul
und die Hoͤlle ſeinem maͤchtigen
Schickſal vergeblich den Weg ver-
ſchraͤncketen. Auch ſeine Krone
gab ihm eben ſo ſchwere Arbeit,
uͤbte ſeine Geduld und ſein
Schwerdt eben ſo ſehr, ſo lange
als die boßhafte Fortun ihren Be-
zwinger verfolgete, biß daß er mit
unermuͤdeter Tugend alle Boß-
heit zu Hauſe und allen Trutz der
Fremden beſiegete; Jhre Staͤrcke
beſtuhnd auf Armeen, ſeine auf
dem Herrn der Heerzeuge.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |