[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 9. Zürich, 1749.Von dem Zustande der Poesie Seuftzen, Schmätz, Bitten, Klag und Lob,Schimpff, Ernst, und Schertz, züchtig und grob, Du mit einander solt vermählen. Also durch der Lieb rechte Kunst Wird sie ihr artige Ungunst Artiger nach und nach verkehren, Und endlich frey von Forcht und Zorn Mit Gilgen, Rosen, ohne Dorn, Dein Leib durch ihren Leibe ehren. Dazumahl auf ein neue Art Must du mit küssen lang und hart Jhre Seel aus ihr in dich ziehen: Und sie wird auch auf gleiche Weiß Sich und dich mit lieblichem Fleiß Zu sättigen, sich sehr bemühen. Dazumahl frecher dann zuvor Erheb du das Panier empor, Und fange weiter an zu streiten: Ueb aller süssen Schalckheit Stück, Ueb aller süssen Boßheit Tück, Und greiff sie an auf allen Seiten. Gebrauch List auf List, Schmach auf Schmach, Biß sie froh ist, daß sie zu schwach, Und zu verlieren scharmützieret, Gebrauch Kunst, Stärck, Betrug und Macht, Zwing sie zu einer freyen Schlacht, Da ihr beyd sieget und verlieret. Also euer stets frischer Muth Soll dieses süssen Kampfs ohn Blut Euch wieder und wieder gewähren, Und, so offt Phöbe ihren Glantz Macht neunmahl halb und neunmahl gantz, Euer Geschlecht durch euch vermehren. So
Von dem Zuſtande der Poeſie Seuftzen, Schmaͤtz, Bitten, Klag und Lob,Schimpff, Ernſt, und Schertz, zuͤchtig und grob, Du mit einander ſolt vermaͤhlen. Alſo durch der Lieb rechte Kunſt Wird ſie ihr artige Ungunſt Artiger nach und nach verkehren, Und endlich frey von Forcht und Zorn Mit Gilgen, Roſen, ohne Dorn, Dein Leib durch ihren Leibe ehren. Dazumahl auf ein neue Art Muſt du mit kuͤſſen lang und hart Jhre Seel aus ihr in dich ziehen: Und ſie wird auch auf gleiche Weiß Sich und dich mit lieblichem Fleiß Zu ſaͤttigen, ſich ſehr bemuͤhen. Dazumahl frecher dann zuvor Erheb du das Panier empor, Und fange weiter an zu ſtreiten: Ueb aller ſuͤſſen Schalckheit Stuͤck, Ueb aller ſuͤſſen Boßheit Tuͤck, Und greiff ſie an auf allen Seiten. Gebrauch Liſt auf Liſt, Schmach auf Schmach, Biß ſie froh iſt, daß ſie zu ſchwach, Und zu verlieren ſcharmuͤtzieret, Gebrauch Kunſt, Staͤrck, Betrug und Macht, Zwing ſie zu einer freyen Schlacht, Da ihr beyd ſieget und verlieret. Alſo euer ſtets friſcher Muth Soll dieſes ſuͤſſen Kampfs ohn Blut Euch wieder und wieder gewaͤhren, Und, ſo offt Phoͤbe ihren Glantz Macht neunmahl halb und neunmahl gantz, Euer Geſchlecht durch euch vermehren. So
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Von dem Zuſtande der Poeſie
Seuftzen, Schmaͤtz, Bitten, Klag und Lob,
Schimpff, Ernſt, und Schertz, zuͤchtig und grob,
Du mit einander ſolt vermaͤhlen.
Alſo durch der Lieb rechte Kunſt
Wird ſie ihr artige Ungunſt
Artiger nach und nach verkehren,
Und endlich frey von Forcht und Zorn
Mit Gilgen, Roſen, ohne Dorn,
Dein Leib durch ihren Leibe ehren.
Dazumahl auf ein neue Art
Muſt du mit kuͤſſen lang und hart
Jhre Seel aus ihr in dich ziehen:
Und ſie wird auch auf gleiche Weiß
Sich und dich mit lieblichem Fleiß
Zu ſaͤttigen, ſich ſehr bemuͤhen.
Dazumahl frecher dann zuvor
Erheb du das Panier empor,
Und fange weiter an zu ſtreiten:
Ueb aller ſuͤſſen Schalckheit Stuͤck,
Ueb aller ſuͤſſen Boßheit Tuͤck,
Und greiff ſie an auf allen Seiten.
Gebrauch Liſt auf Liſt, Schmach auf Schmach,
Biß ſie froh iſt, daß ſie zu ſchwach,
Und zu verlieren ſcharmuͤtzieret,
Gebrauch Kunſt, Staͤrck, Betrug und Macht,
Zwing ſie zu einer freyen Schlacht,
Da ihr beyd ſieget und verlieret.
Alſo euer ſtets friſcher Muth
Soll dieſes ſuͤſſen Kampfs ohn Blut
Euch wieder und wieder gewaͤhren,
Und, ſo offt Phoͤbe ihren Glantz
Macht neunmahl halb und neunmahl gantz,
Euer Geſchlecht durch euch vermehren.
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