[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 9. Zürich, 1749.von Horazens Dichtkunst. So wie es alle Jahr belaubten Wäldern geht; 75.Das welcke Laub fällt ab, das neue Blatt entsteht: So gehts den Sprachen auch. Ein altes Wort verschwindet, Jndem sich unvermerckt ein neuer Ausdruck findet. Dem Tode sind nicht nur wir Menschen unterthan, Sein Arm greift alles das, was menschlich heisset, an. 80. Hier läßt ein Julius den neuen Hafen bauen, Dem sich bey Sturm und Fluth die Flotten anvertrauen, Ein Der Hr. von Eckard hat dieses noch deutlicher gegeben: .... Die Reden sind wie Geld, Da neues altem gleich, wenns nur die Probe hält. V. 77. 78. Ein altes Wort verschwindet, indem sich unvermerckt ein neuer Ausdruck findet.) Man darff nur das Lateinische zu Rath ziehen, so wird man bald sehen, daß dieses eine elende Translatio puerilis sey: Ho- raz sagt auf eine recht poetische Art: ... Ita verborum vetus interit aetas, Jn diesem gantzen Stücke von dem 75. bis auf den 100. VersEt juvenum ritu florent modo nata, vigentque. hat sich Horaz als einen geschickten poetischen Mahler erwie- sen, und den Satz von der Unbeständigkeit und leichten Ver- änderung der Sprachen und Wörter mit prächtigen Bildern in Absicht auf den Unbestand aller menschlichen Dinge aus- geschmückt. Dieses poetische Stück hat er mit der Verglei- chung von dem Laube der Bäume, welches alle Jahre abfällt, eingeführt; und in dem Nachsaze dieser Vergleichung den Le- ser durch die kräftigsten Ausdrückungen zu der folgenden poe- tischen Erweiterung vorbereitet. Allein dieses sind lauter un- erkannte Schönheiten für unsern Ueberfetzer, angesehen er dieses gantze Stück so matt und nachläßig übersetzet hat, daß es zu erbarmen ist: welches um so viel sträfflicher ist, da sein G 4
von Horazens Dichtkunſt. So wie es alle Jahr belaubten Waͤldern geht; 75.Das welcke Laub faͤllt ab, das neue Blatt entſteht: So gehts den Sprachen auch. Ein altes Wort verſchwindet, Jndem ſich unvermerckt ein neuer Ausdruck findet. Dem Tode ſind nicht nur wir Menſchen unterthan, Sein Arm greift alles das, was menſchlich heiſſet, an. 80. Hier laͤßt ein Julius den neuen Hafen bauen, Dem ſich bey Sturm und Fluth die Flotten anvertrauen, Ein Der Hr. von Eckard hat dieſes noch deutlicher gegeben: .... Die Reden ſind wie Geld, Da neues altem gleich, wenns nur die Probe haͤlt. V. 77. 78. Ein altes Wort verſchwindet, indem ſich unvermerckt ein neuer Ausdruck findet.) Man darff nur das Lateiniſche zu Rath ziehen, ſo wird man bald ſehen, daß dieſes eine elende Translatio puerilis ſey: Ho- raz ſagt auf eine recht poetiſche Art: … Ita verborum vetus interit ætas, Jn dieſem gantzen Stuͤcke von dem 75. bis auf den 100. VersEt juvenum ritu florent modo nata, vigentque. hat ſich Horaz als einen geſchickten poetiſchen Mahler erwie- ſen, und den Satz von der Unbeſtaͤndigkeit und leichten Ver- aͤnderung der Sprachen und Woͤrter mit praͤchtigen Bildern in Abſicht auf den Unbeſtand aller menſchlichen Dinge aus- geſchmuͤckt. Dieſes poetiſche Stuͤck hat er mit der Verglei- chung von dem Laube der Baͤume, welches alle Jahre abfaͤllt, eingefuͤhrt; und in dem Nachſaze dieſer Vergleichung den Le- ſer durch die kraͤftigſten Ausdruͤckungen zu der folgenden poe- tiſchen Erweiterung vorbereitet. Allein dieſes ſind lauter un- erkannte Schoͤnheiten fuͤr unſern Ueberfetzer, angeſehen er dieſes gantze Stuͤck ſo matt und nachlaͤßig uͤberſetzet hat, daß es zu erbarmen iſt: welches um ſo viel ſtraͤfflicher iſt, da ſein G 4
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <lg type="poem"> <pb facs="#f0103" n="103"/> <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">von Horazens Dichtkunſt.</hi> </fw><lb/> <l>So wie es alle Jahr belaubten Waͤldern geht; <note place="right">75.</note></l><lb/> <l>Das welcke Laub faͤllt ab, das neue Blatt entſteht:</l><lb/> <l>So gehts den Sprachen auch. Ein altes Wort verſchwindet,</l><lb/> <l>Jndem ſich unvermerckt ein neuer Ausdruck findet.<note xml:id="a021" place="foot" next="#a021b"><hi rendition="#fr">V. 77. 78. Ein altes Wort verſchwindet, indem ſich<lb/> unvermerckt ein neuer Ausdruck findet.)</hi><lb/> Man darff nur das Lateiniſche zu Rath ziehen, ſo wird man<lb/> bald ſehen, daß dieſes eine elende <hi rendition="#aq">Translatio puerilis</hi> ſey: Ho-<lb/> raz ſagt auf eine recht poetiſche Art:<lb/><lg type="poem"><l>… <hi rendition="#aq">Ita verborum vetus interit ætas,</hi></l><lb/><l><hi rendition="#aq">Et juvenum ritu florent modo nata, vigentque.</hi></l></lg><lb/> Jn dieſem gantzen Stuͤcke von dem 75. bis auf den 100. Vers<lb/> hat ſich Horaz als einen geſchickten poetiſchen Mahler erwie-<lb/> ſen, und den Satz von der Unbeſtaͤndigkeit und leichten Ver-<lb/> aͤnderung der Sprachen und Woͤrter mit praͤchtigen Bildern<lb/> in Abſicht auf den Unbeſtand aller menſchlichen Dinge aus-<lb/> geſchmuͤckt. Dieſes poetiſche Stuͤck hat er mit der Verglei-<lb/> chung von dem Laube der Baͤume, welches alle Jahre abfaͤllt,<lb/> eingefuͤhrt; und in dem Nachſaze dieſer Vergleichung den Le-<lb/> ſer durch die kraͤftigſten Ausdruͤckungen zu der folgenden poe-<lb/> tiſchen Erweiterung vorbereitet. Allein dieſes ſind lauter un-<lb/> erkannte Schoͤnheiten fuͤr unſern Ueberfetzer, angeſehen er<lb/> dieſes gantze Stuͤck ſo matt und nachlaͤßig uͤberſetzet hat, daß<lb/> es zu erbarmen iſt: welches um ſo viel ſtraͤfflicher iſt, da ſein</note></l><lb/> <l>Dem Tode ſind nicht nur wir Menſchen unterthan,</l><lb/> <l>Sein Arm greift alles das, was menſchlich heiſſet, an. <note place="right">80.</note></l><lb/> <l>Hier laͤßt ein Julius den neuen Hafen bauen,</l><lb/> <l>Dem ſich bey Sturm und Fluth die Flotten anvertrauen,</l><lb/> <fw place="bottom" type="catch">Ein</fw><lb/> <note xml:id="a020b" prev="#a020" place="foot">Der Hr. von Eckard hat dieſes noch deutlicher gegeben:<lb/><lg type="poem"><l>.... <hi rendition="#fr">Die Reden ſind wie Geld,</hi></l><lb/><l><hi rendition="#fr">Da neues altem gleich, wenns nur die Probe haͤlt.</hi></l></lg></note><lb/><lb/> <fw place="bottom" type="sig">G 4</fw><lb/> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [103/0103]
von Horazens Dichtkunſt.
So wie es alle Jahr belaubten Waͤldern geht;
Das welcke Laub faͤllt ab, das neue Blatt entſteht:
So gehts den Sprachen auch. Ein altes Wort verſchwindet,
Jndem ſich unvermerckt ein neuer Ausdruck findet.
Dem Tode ſind nicht nur wir Menſchen unterthan,
Sein Arm greift alles das, was menſchlich heiſſet, an.
Hier laͤßt ein Julius den neuen Hafen bauen,
Dem ſich bey Sturm und Fluth die Flotten anvertrauen,
Ein
V. 77. 78. Ein altes Wort verſchwindet, indem ſich
unvermerckt ein neuer Ausdruck findet.)
Man darff nur das Lateiniſche zu Rath ziehen, ſo wird man
bald ſehen, daß dieſes eine elende Translatio puerilis ſey: Ho-
raz ſagt auf eine recht poetiſche Art:
… Ita verborum vetus interit ætas,
Et juvenum ritu florent modo nata, vigentque.
Jn dieſem gantzen Stuͤcke von dem 75. bis auf den 100. Vers
hat ſich Horaz als einen geſchickten poetiſchen Mahler erwie-
ſen, und den Satz von der Unbeſtaͤndigkeit und leichten Ver-
aͤnderung der Sprachen und Woͤrter mit praͤchtigen Bildern
in Abſicht auf den Unbeſtand aller menſchlichen Dinge aus-
geſchmuͤckt. Dieſes poetiſche Stuͤck hat er mit der Verglei-
chung von dem Laube der Baͤume, welches alle Jahre abfaͤllt,
eingefuͤhrt; und in dem Nachſaze dieſer Vergleichung den Le-
ſer durch die kraͤftigſten Ausdruͤckungen zu der folgenden poe-
tiſchen Erweiterung vorbereitet. Allein dieſes ſind lauter un-
erkannte Schoͤnheiten fuͤr unſern Ueberfetzer, angeſehen er
dieſes gantze Stuͤck ſo matt und nachlaͤßig uͤberſetzet hat, daß
es zu erbarmen iſt: welches um ſo viel ſtraͤfflicher iſt, da ſein
Der Hr. von Eckard hat dieſes noch deutlicher gegeben:
.... Die Reden ſind wie Geld,
Da neues altem gleich, wenns nur die Probe haͤlt.
G 4
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |