Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 8. Zürich, 1743.

Bild:
<< vorherige Seite
Von dem Mechanismo
Se vanger ou perir est un sort glorieux;

Nach Gottsched geht Cato viel fertiger zum sterben,

Der gröste Ruhm ist der sich rächen und erkalten.

Wenn Gottscheds Cato dem Portius den Rath
giebt, daß er sich auf sein Sabinum zur Ruhe be-
geben sollte, sagt dieser darauf:

Du giebst mir in der That ein solches Leben an,
Das ich auch von mir selbst unmöglich hassen kan.

Welches gantz was anders ist, als was Addi-
son seinen Portius auf einen gleichen Rath hat ant-
worten lassen: "Jch hoffe, sagt dieser, mein Va-
"ter werde dem Portius kein solches Leben anprei-
"sen, welches er selber vor niederträchtig und ver-
"ächtlich hält." Eben dieser Portius Addisons
hat in der lezten Scene, da Cato halbtodt herge-
tragen wird, nicht so viel Standhaftigkeit ein
Wort hervorzubringen, da hingegen Gottscheds
Portius in demselben Umstande in diese kräfftigen
Worte ausbricht, die sich vor ihn selbst, vor Cato,
und die gantze Tragödie so gut schicken:

. . . . Mein Vater stirb doch nicht.

Hätte ihm sein Vater gefolget, so hätten wir ein
Trauerspiel mit einem frölichen Ausgange be-
kommen.

Man wird kaum einen von den herrschenden.
Poeten finden, der mehr Scharfsinnigkeit im Oh-
re habe, als Hr. Gottsched; in seinem rechten
Ohre ligt ein Geschmack, der bey ihm die Wir-
kungen des Verstandes und des Geistes thut. Die-

ser
Von dem Mechaniſmo
Se vanger ou perir eſt un ſort glorieux;

Nach Gottſched geht Cato viel fertiger zum ſterben,

Der groͤſte Ruhm iſt der ſich raͤchen und erkalten.

Wenn Gottſcheds Cato dem Portius den Rath
giebt, daß er ſich auf ſein Sabinum zur Ruhe be-
geben ſollte, ſagt dieſer darauf:

Du giebſt mir in der That ein ſolches Leben an,
Das ich auch von mir ſelbſt unmoͤglich haſſen kan.

Welches gantz was anders iſt, als was Addi-
ſon ſeinen Portius auf einen gleichen Rath hat ant-
worten laſſen: „Jch hoffe, ſagt dieſer, mein Va-
„ter werde dem Portius kein ſolches Leben anprei-
„ſen, welches er ſelber vor niedertraͤchtig und ver-
„aͤchtlich haͤlt.„ Eben dieſer Portius Addiſons
hat in der lezten Scene, da Cato halbtodt herge-
tragen wird, nicht ſo viel Standhaftigkeit ein
Wort hervorzubringen, da hingegen Gottſcheds
Portius in demſelben Umſtande in dieſe kraͤfftigen
Worte ausbricht, die ſich vor ihn ſelbſt, vor Cato,
und die gantze Tragoͤdie ſo gut ſchicken:

. . . . Mein Vater ſtirb doch nicht.

Haͤtte ihm ſein Vater gefolget, ſo haͤtten wir ein
Trauerſpiel mit einem froͤlichen Ausgange be-
kommen.

Man wird kaum einen von den herrſchenden.
Poeten finden, der mehr Scharfſinnigkeit im Oh-
re habe, als Hr. Gottſched; in ſeinem rechten
Ohre ligt ein Geſchmack, der bey ihm die Wir-
kungen des Verſtandes und des Geiſtes thut. Die-

ſer
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0092" n="92"/>
        <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Von dem Mechani&#x017F;mo</hi> </fw><lb/>
        <cit>
          <quote> <hi rendition="#aq">Se vanger ou perir e&#x017F;t un &#x017F;ort glorieux;</hi> </quote>
        </cit><lb/>
        <p>Nach Gott&#x017F;ched geht Cato viel fertiger zum &#x017F;terben,</p><lb/>
        <cit>
          <quote>Der gro&#x0364;&#x017F;te Ruhm i&#x017F;t der &#x017F;ich ra&#x0364;chen und erkalten.</quote>
        </cit><lb/>
        <p>Wenn Gott&#x017F;cheds Cato dem Portius den Rath<lb/>
giebt, daß er &#x017F;ich auf &#x017F;ein Sabinum zur Ruhe be-<lb/>
geben &#x017F;ollte, &#x017F;agt die&#x017F;er darauf:</p><lb/>
        <cit>
          <quote>Du gieb&#x017F;t mir in der That ein &#x017F;olches Leben an,<lb/>
Das ich auch von mir &#x017F;elb&#x017F;t unmo&#x0364;glich ha&#x017F;&#x017F;en kan.</quote>
        </cit><lb/>
        <p>Welches gantz was anders i&#x017F;t, als was Addi-<lb/>
&#x017F;on &#x017F;einen Portius auf einen gleichen Rath hat ant-<lb/>
worten la&#x017F;&#x017F;en: &#x201E;Jch hoffe, &#x017F;agt die&#x017F;er, mein Va-<lb/>
&#x201E;ter werde dem Portius kein &#x017F;olches Leben anprei-<lb/>
&#x201E;&#x017F;en, welches er &#x017F;elber vor niedertra&#x0364;chtig und ver-<lb/>
&#x201E;a&#x0364;chtlich ha&#x0364;lt.&#x201E; Eben die&#x017F;er Portius Addi&#x017F;ons<lb/>
hat in der lezten Scene, da Cato halbtodt herge-<lb/>
tragen wird, nicht &#x017F;o viel Standhaftigkeit ein<lb/>
Wort hervorzubringen, da hingegen Gott&#x017F;cheds<lb/>
Portius in dem&#x017F;elben Um&#x017F;tande in die&#x017F;e kra&#x0364;fftigen<lb/>
Worte ausbricht, die &#x017F;ich vor ihn &#x017F;elb&#x017F;t, vor Cato,<lb/>
und die gantze Trago&#x0364;die &#x017F;o gut &#x017F;chicken:</p><lb/>
        <cit>
          <quote>. . . . Mein Vater &#x017F;tirb doch nicht.</quote>
        </cit><lb/>
        <p>Ha&#x0364;tte ihm &#x017F;ein Vater gefolget, &#x017F;o ha&#x0364;tten wir ein<lb/>
Trauer&#x017F;piel mit einem fro&#x0364;lichen Ausgange be-<lb/>
kommen.</p><lb/>
        <p>Man wird kaum einen von den herr&#x017F;chenden.<lb/>
Poeten finden, der mehr Scharf&#x017F;innigkeit im Oh-<lb/>
re habe, als Hr. Gott&#x017F;ched; in &#x017F;einem rechten<lb/>
Ohre ligt ein Ge&#x017F;chmack, der bey ihm die Wir-<lb/>
kungen des Ver&#x017F;tandes und des Gei&#x017F;tes thut. Die-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">&#x017F;er</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[92/0092] Von dem Mechaniſmo Se vanger ou perir eſt un ſort glorieux; Nach Gottſched geht Cato viel fertiger zum ſterben, Der groͤſte Ruhm iſt der ſich raͤchen und erkalten. Wenn Gottſcheds Cato dem Portius den Rath giebt, daß er ſich auf ſein Sabinum zur Ruhe be- geben ſollte, ſagt dieſer darauf: Du giebſt mir in der That ein ſolches Leben an, Das ich auch von mir ſelbſt unmoͤglich haſſen kan. Welches gantz was anders iſt, als was Addi- ſon ſeinen Portius auf einen gleichen Rath hat ant- worten laſſen: „Jch hoffe, ſagt dieſer, mein Va- „ter werde dem Portius kein ſolches Leben anprei- „ſen, welches er ſelber vor niedertraͤchtig und ver- „aͤchtlich haͤlt.„ Eben dieſer Portius Addiſons hat in der lezten Scene, da Cato halbtodt herge- tragen wird, nicht ſo viel Standhaftigkeit ein Wort hervorzubringen, da hingegen Gottſcheds Portius in demſelben Umſtande in dieſe kraͤfftigen Worte ausbricht, die ſich vor ihn ſelbſt, vor Cato, und die gantze Tragoͤdie ſo gut ſchicken: . . . . Mein Vater ſtirb doch nicht. Haͤtte ihm ſein Vater gefolget, ſo haͤtten wir ein Trauerſpiel mit einem froͤlichen Ausgange be- kommen. Man wird kaum einen von den herrſchenden. Poeten finden, der mehr Scharfſinnigkeit im Oh- re habe, als Hr. Gottſched; in ſeinem rechten Ohre ligt ein Geſchmack, der bey ihm die Wir- kungen des Verſtandes und des Geiſtes thut. Die- ſer

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung08_1743
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung08_1743/92
Zitationshilfe: [Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 8. Zürich, 1743, S. 92. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung08_1743/92>, abgerufen am 05.05.2024.