[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 8. Zürich, 1743.Von dem Mechanismo den ist, vor Uebersetzungen auszugeben, die Bilderund Begriffe nicht in dem Originale, oder der Na- tur der Sachen selbst, sondern aus seiner Kennt- niß der deutschen Sprache hernimmt, und bestän- dig auf das sieht, was sich dem Gebrauche und der Gewohnheit in dieser Sprache gemäß mit An- nehmlichkeit geben läßt; er vergißt niemahls, daß er ein deutscher Schriftsteller ist, und für den Ge- schmack deutscher Ohren schreibt, dergleichen an seinem eigenen Kopfe, und nicht an aller Leute, si- zen; dergestalt kan er mit einer halben und gantz seichten Kenntniß der Sprache seines Originales, und des bestimmten Nachdruckes in derselben in zierliches Deutsch übersetzen, und wenn er dieses thut, so kömmt meistens ein Ausdruck seiner eige- nen Gedancken an den Tag. Die Erfahrung hat gezeiget, daß es Hrn. Gott- men,
Von dem Mechaniſmo den iſt, vor Ueberſetzungen auszugeben, die Bilderund Begriffe nicht in dem Originale, oder der Na- tur der Sachen ſelbſt, ſondern aus ſeiner Kennt- niß der deutſchen Sprache hernimmt, und beſtaͤn- dig auf das ſieht, was ſich dem Gebrauche und der Gewohnheit in dieſer Sprache gemaͤß mit An- nehmlichkeit geben laͤßt; er vergißt niemahls, daß er ein deutſcher Schriftſteller iſt, und fuͤr den Ge- ſchmack deutſcher Ohren ſchreibt, dergleichen an ſeinem eigenen Kopfe, und nicht an aller Leute, ſi- zen; dergeſtalt kan er mit einer halben und gantz ſeichten Kenntniß der Sprache ſeines Originales, und des beſtimmten Nachdruckes in derſelben in zierliches Deutſch uͤberſetzen, und wenn er dieſes thut, ſo koͤmmt meiſtens ein Ausdruck ſeiner eige- nen Gedancken an den Tag. Die Erfahrung hat gezeiget, daß es Hrn. Gott- men,
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Von dem Mechaniſmo
den iſt, vor Ueberſetzungen auszugeben, die Bilder
und Begriffe nicht in dem Originale, oder der Na-
tur der Sachen ſelbſt, ſondern aus ſeiner Kennt-
niß der deutſchen Sprache hernimmt, und beſtaͤn-
dig auf das ſieht, was ſich dem Gebrauche und
der Gewohnheit in dieſer Sprache gemaͤß mit An-
nehmlichkeit geben laͤßt; er vergißt niemahls, daß
er ein deutſcher Schriftſteller iſt, und fuͤr den Ge-
ſchmack deutſcher Ohren ſchreibt, dergleichen an
ſeinem eigenen Kopfe, und nicht an aller Leute, ſi-
zen; dergeſtalt kan er mit einer halben und gantz
ſeichten Kenntniß der Sprache ſeines Originales,
und des beſtimmten Nachdruckes in derſelben in
zierliches Deutſch uͤberſetzen, und wenn er dieſes
thut, ſo koͤmmt meiſtens ein Ausdruck ſeiner eige-
nen Gedancken an den Tag.
Die Erfahrung hat gezeiget, daß es Hrn. Gott-
ſcheden vollkommen gegluͤcket, ſeinen neugeſtalte-
ten Cato vor ein Originalſtuͤcke zu verkaufen; ge-
ſtalt der geſchickte Hr. Riccoboni ſelbſt den Cato
des Hrn. Deschamps unter den deutſchen Origi-
nalgedancken keinesweges erkannt, und einen lan-
gen Auszug daraus als aus einem deutſchen Ori-
ginale gemachet hat. Und wahrhafftig, wenn
Addiſon oder Deschamps einige Anforderung auf
den deutſchen Cato machen wuͤrden, muͤßten ſie
weder ihre eigene, noch die deutſche Sprache ver-
ſtehen. Jemand nehme nur die leichte Muͤhe und
uͤberſetze dieſen ins Frantzoͤſiſche oder ins Engliſche
zuruͤcke, ſo werden alle Zeilen im Maſſe, Grade,
Art, Kraft, und Verbindung der Gedancken, der
Bilder, und des Ausdruckes, anderſt herauskom-
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