[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 8. Zürich, 1743.des vierzehnten Jahrhunderts. III. Der krancke Löwe. EJn Löwe war an Jahren alt, An Tugenden und Kräften kalt, Als ihm von Feinden weh geschah. Da ihn ein Eber liegen sah, Dacht er an seinen alten Schaden, Und biß den Löwen in die Waden. Der Ochs kam auch daher gerannt, Wo er den alten Löwen fand Er übt an ihm auch seine Rach', Jndem er ihn mit beyden Hörnern stach. Mit andern Thieren kam zugleich Der Esel auch hinzu, und gab ihm manchen Streich An seine krancke Stirn. Das ist für die Untugend, Die du mir vor der Zeit erzeigt in deiner Jugend; Sprach er. Der Löwe fieng mit einem Seufzer an: "Jch litt es, schlüge mich ein Mann, "Daß mich ein Esel schlägt, schmerzt mehr als alle (Noth, "So weh thut nicht der bittre Tod. Der D 5
des vierzehnten Jahrhunderts. III. Der krancke Loͤwe. EJn Loͤwe war an Jahren alt, An Tugenden und Kraͤften kalt, Als ihm von Feinden weh geſchah. Da ihn ein Eber liegen ſah, Dacht er an ſeinen alten Schaden, Und biß den Loͤwen in die Waden. Der Ochs kam auch daher gerannt, Wo er den alten Loͤwen fand Er uͤbt an ihm auch ſeine Rach’, Jndem er ihn mit beyden Hoͤrnern ſtach. Mit andern Thieren kam zugleich Der Eſel auch hinzu, und gab ihm manchen Streich An ſeine krancke Stirn. Das iſt fuͤr die Untugend, Die du mir vor der Zeit erzeigt in deiner Jugend; Sprach er. Der Loͤwe fieng mit einem Seufzer an: „Jch litt es, ſchluͤge mich ein Mann, „Daß mich ein Eſel ſchlaͤgt, ſchmerzt mehr als alle (Noth, „So weh thut nicht der bittre Tod. Der D 5
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0057" n="57"/> <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">des vierzehnten Jahrhunderts.</hi> </fw><lb/> <div n="3"> <head> <hi rendition="#aq"> <hi rendition="#b"> <hi rendition="#g">III.</hi> </hi> </hi> </head><lb/> <head> <hi rendition="#b">Der krancke Loͤwe.</hi> </head><lb/> <lg type="poem"> <l><hi rendition="#in">E</hi>Jn Loͤwe war an Jahren alt,</l><lb/> <l>An Tugenden und Kraͤften kalt,</l><lb/> <l>Als ihm von Feinden weh geſchah.</l><lb/> <l>Da ihn ein Eber liegen ſah,</l><lb/> <l>Dacht er an ſeinen alten Schaden,</l><lb/> <l>Und biß den Loͤwen in die Waden.</l><lb/> <l>Der Ochs kam auch daher gerannt,</l><lb/> <l>Wo er den alten Loͤwen fand</l><lb/> <l>Er uͤbt an ihm auch ſeine Rach’,</l><lb/> <l>Jndem er ihn mit beyden Hoͤrnern ſtach.</l><lb/> <l>Mit andern Thieren kam zugleich</l><lb/> <l>Der Eſel auch hinzu, und gab ihm manchen Streich</l><lb/> <l>An ſeine krancke Stirn. Das iſt fuͤr die Untugend,</l><lb/> <l>Die du mir vor der Zeit erzeigt in deiner Jugend;</l><lb/> <l>Sprach er. Der Loͤwe fieng mit einem Seufzer an:</l><lb/> <l>„Jch litt es, ſchluͤge mich ein Mann,</l><lb/> <l>„Daß mich ein Eſel ſchlaͤgt, ſchmerzt mehr als alle</l><lb/> <l> <hi rendition="#et">(Noth,</hi> </l><lb/> <l>„So weh thut nicht der bittre Tod.</l> </lg> </div><lb/> <fw place="bottom" type="sig"> <hi rendition="#b">D 5</hi> </fw> <fw place="bottom" type="catch"> <hi rendition="#b">Der</hi> </fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [57/0057]
des vierzehnten Jahrhunderts.
III.
Der krancke Loͤwe.
EJn Loͤwe war an Jahren alt,
An Tugenden und Kraͤften kalt,
Als ihm von Feinden weh geſchah.
Da ihn ein Eber liegen ſah,
Dacht er an ſeinen alten Schaden,
Und biß den Loͤwen in die Waden.
Der Ochs kam auch daher gerannt,
Wo er den alten Loͤwen fand
Er uͤbt an ihm auch ſeine Rach’,
Jndem er ihn mit beyden Hoͤrnern ſtach.
Mit andern Thieren kam zugleich
Der Eſel auch hinzu, und gab ihm manchen Streich
An ſeine krancke Stirn. Das iſt fuͤr die Untugend,
Die du mir vor der Zeit erzeigt in deiner Jugend;
Sprach er. Der Loͤwe fieng mit einem Seufzer an:
„Jch litt es, ſchluͤge mich ein Mann,
„Daß mich ein Eſel ſchlaͤgt, ſchmerzt mehr als alle
(Noth,
„So weh thut nicht der bittre Tod.
Der
D 5
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |