Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 8. Zürich, 1743.

Bild:
<< vorherige Seite
Von der Poesie
"ein Narre, und nichts werth. Es ist ein
"seltzames Ding auf Erden, daß mancher ein
"witziger Mann seyn will, der sich der Thor-
"heit annimmt, und daß ers vor einen Ruhm
"hält, wenn man spricht: Der kann Narr-
"heit wohl."

Er hat der Deutschen nicht vergessen; und
wir erkennen die Deutschen seines Weltalters
noch in ihren Jtztlebenden Nachkindern.

"Man-
"cher Narr hält sich vor hoch, daß er aus
"welschen Landen gekommen ist, als ob nicht
"auch in deutscher Art Vernunft, und zarte
"Häupter wären, welche Weisheit und Kunst
"lehren mögten, daß nicht noth wäre, so fern
"zu Schulen zu kehren. - - Man meinte ehe-
"dem es wäre keine Lehre, als zu Athen über
"Meer. Hernach fand man sie bey den Wel-
"schen, ietzo sieht man sie auch in Deutsch-
"land. Und gebräche uns nichts, wäre der
"Wein nicht, und daß wir Deutschen voll
"seyn wollen; und keine rechte Arbeit thun
"mögen.

Unter den allegorisch-moralischen Bildern,
an welchen man um die Zeiten der Glaubens-
Reformation viel Geschmackes gefunden, dün-
ken mich folgende sehr natürlich: Wenn er
z. Ex. von dem gedrückten Narren sagt, daß
ihm der Esel auf dem Rücken sitze. Er
führt denselben ein, wie er sich selbst derge-
stalt schildert:

"Jch bin der, den alle Dinge
"drücken, ich will mich in einen Winkel schmie-
"gen, ob der Esel mich verlassen, und nicht
"stets
Von der Poeſie
„ein Narre, und nichts werth. Es iſt ein
„ſeltzames Ding auf Erden, daß mancher ein
„witziger Mann ſeyn will, der ſich der Thor-
„heit annimmt, und daß ers vor einen Ruhm
„haͤlt, wenn man ſpricht: Der kann Narr-
„heit wohl.„

Er hat der Deutſchen nicht vergeſſen; und
wir erkennen die Deutſchen ſeines Weltalters
noch in ihren Jtztlebenden Nachkindern.

„Man-
„cher Narr haͤlt ſich vor hoch, daß er aus
„welſchen Landen gekommen iſt, als ob nicht
„auch in deutſcher Art Vernunft, und zarte
„Haͤupter waͤren, welche Weisheit und Kunſt
„lehren moͤgten, daß nicht noth waͤre, ſo fern
„zu Schulen zu kehren. ‒ ‒ Man meinte ehe-
„dem es waͤre keine Lehre, als zu Athen uͤber
„Meer. Hernach fand man ſie bey den Wel-
„ſchen, ietzo ſieht man ſie auch in Deutſch-
„land. Und gebraͤche uns nichts, waͤre der
„Wein nicht, und daß wir Deutſchen voll
„ſeyn wollen; und keine rechte Arbeit thun
„moͤgen.

Unter den allegoriſch-moraliſchen Bildern,
an welchen man um die Zeiten der Glaubens-
Reformation viel Geſchmackes gefunden, duͤn-
ken mich folgende ſehr natuͤrlich: Wenn er
z. Ex. von dem gedruͤckten Narren ſagt, daß
ihm der Eſel auf dem Ruͤcken ſitze. Er
fuͤhrt denſelben ein, wie er ſich ſelbſt derge-
ſtalt ſchildert:

„Jch bin der, den alle Dinge
„druͤcken, ich will mich in einen Winkel ſchmie-
„gen, ob der Eſel mich verlaſſen, und nicht
„ſtets
<TEI>
  <text>
    <front>
      <div n="1">
        <cit>
          <quote><pb facs="#f0012" n="12"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Von der Poe&#x017F;ie</hi></fw><lb/>
&#x201E;ein Narre, und nichts werth. Es i&#x017F;t ein<lb/>
&#x201E;&#x017F;eltzames Ding auf Erden, daß mancher ein<lb/>
&#x201E;witziger Mann &#x017F;eyn will, der &#x017F;ich der Thor-<lb/>
&#x201E;heit annimmt, und daß ers vor einen Ruhm<lb/>
&#x201E;ha&#x0364;lt, wenn man &#x017F;pricht: Der kann Narr-<lb/>
&#x201E;heit wohl.&#x201E;</quote>
        </cit><lb/>
        <p>Er hat der Deut&#x017F;chen nicht verge&#x017F;&#x017F;en; und<lb/>
wir erkennen die Deut&#x017F;chen &#x017F;eines Weltalters<lb/>
noch in ihren Jtztlebenden Nachkindern.</p>
        <cit>
          <quote>&#x201E;Man-<lb/>
&#x201E;cher Narr ha&#x0364;lt &#x017F;ich vor hoch, daß er aus<lb/>
&#x201E;wel&#x017F;chen Landen gekommen i&#x017F;t, als ob nicht<lb/>
&#x201E;auch in deut&#x017F;cher Art Vernunft, und zarte<lb/>
&#x201E;Ha&#x0364;upter wa&#x0364;ren, welche Weisheit und Kun&#x017F;t<lb/>
&#x201E;lehren mo&#x0364;gten, daß nicht noth wa&#x0364;re, &#x017F;o fern<lb/>
&#x201E;zu Schulen zu kehren. &#x2012; &#x2012; Man meinte ehe-<lb/>
&#x201E;dem es wa&#x0364;re keine Lehre, als zu Athen u&#x0364;ber<lb/>
&#x201E;Meer. Hernach fand man &#x017F;ie bey den Wel-<lb/>
&#x201E;&#x017F;chen, ietzo &#x017F;ieht man &#x017F;ie auch in Deut&#x017F;ch-<lb/>
&#x201E;land. Und gebra&#x0364;che uns nichts, wa&#x0364;re der<lb/>
&#x201E;Wein nicht, und daß wir Deut&#x017F;chen voll<lb/>
&#x201E;&#x017F;eyn wollen; und keine rechte Arbeit thun<lb/>
&#x201E;mo&#x0364;gen.</quote>
        </cit><lb/>
        <p>Unter den allegori&#x017F;ch-morali&#x017F;chen Bildern,<lb/>
an welchen man um die Zeiten der Glaubens-<lb/>
Reformation viel Ge&#x017F;chmackes gefunden, du&#x0364;n-<lb/>
ken mich folgende &#x017F;ehr natu&#x0364;rlich: Wenn er<lb/>
z. Ex. von dem gedru&#x0364;ckten Narren &#x017F;agt, daß<lb/>
ihm der <hi rendition="#fr">E&#x017F;el auf dem Ru&#x0364;cken &#x017F;itze.</hi> Er<lb/>
fu&#x0364;hrt den&#x017F;elben ein, wie er &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t derge-<lb/>
&#x017F;talt &#x017F;childert:</p>
        <cit>
          <quote>&#x201E;Jch bin der, den alle Dinge<lb/>
&#x201E;dru&#x0364;cken, ich will mich in einen Winkel &#x017F;chmie-<lb/>
&#x201E;gen, ob <hi rendition="#fr">der E&#x017F;el</hi> mich verla&#x017F;&#x017F;en, und nicht<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">&#x201E;&#x017F;tets</fw><lb/></quote>
        </cit>
      </div>
    </front>
  </text>
</TEI>
[12/0012] Von der Poeſie „ein Narre, und nichts werth. Es iſt ein „ſeltzames Ding auf Erden, daß mancher ein „witziger Mann ſeyn will, der ſich der Thor- „heit annimmt, und daß ers vor einen Ruhm „haͤlt, wenn man ſpricht: Der kann Narr- „heit wohl.„ Er hat der Deutſchen nicht vergeſſen; und wir erkennen die Deutſchen ſeines Weltalters noch in ihren Jtztlebenden Nachkindern. „Man- „cher Narr haͤlt ſich vor hoch, daß er aus „welſchen Landen gekommen iſt, als ob nicht „auch in deutſcher Art Vernunft, und zarte „Haͤupter waͤren, welche Weisheit und Kunſt „lehren moͤgten, daß nicht noth waͤre, ſo fern „zu Schulen zu kehren. ‒ ‒ Man meinte ehe- „dem es waͤre keine Lehre, als zu Athen uͤber „Meer. Hernach fand man ſie bey den Wel- „ſchen, ietzo ſieht man ſie auch in Deutſch- „land. Und gebraͤche uns nichts, waͤre der „Wein nicht, und daß wir Deutſchen voll „ſeyn wollen; und keine rechte Arbeit thun „moͤgen. Unter den allegoriſch-moraliſchen Bildern, an welchen man um die Zeiten der Glaubens- Reformation viel Geſchmackes gefunden, duͤn- ken mich folgende ſehr natuͤrlich: Wenn er z. Ex. von dem gedruͤckten Narren ſagt, daß ihm der Eſel auf dem Ruͤcken ſitze. Er fuͤhrt denſelben ein, wie er ſich ſelbſt derge- ſtalt ſchildert: „Jch bin der, den alle Dinge „druͤcken, ich will mich in einen Winkel ſchmie- „gen, ob der Eſel mich verlaſſen, und nicht „ſtets

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung08_1743
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung08_1743/12
Zitationshilfe: [Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 8. Zürich, 1743, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung08_1743/12>, abgerufen am 18.12.2024.