Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 7. Zürich, 1743.

Bild:
<< vorherige Seite

Von den poetischen Zeiten
tigen Herrschaften, und so vieler Städte, die
auf einander eiferten, mußten eine reiche und
nachdrükliche Sprache mit sich gebracht haben.
Der politische Stylus wächßt mit der Verfas-
sung eines Staats, und steigt auf seine Höhe,
wenn man am meisten dergleichen Geschäfte hat,
an welchen uns sehr viel gelegen ist, daß wir sie
geschikt vollführen. Die Rathsversammlungen
eines freyen Staats werden durch das Mittel
der Rede geführt, wohin man will, dieses bringt
die Beredtsamkeit ins Aufnehmen, und die
Kunst andere auf seine Meinung zu führen, in
Werth. Wo die Gedanken stark, und ehr-
liebend sind, fehlt es nicht, daß sie nicht be-
queme Worte an die Hand geben; womit man
sie ohne Abbruch ausdrüken könne.

Jndessen war diese Sprache noch nicht so
sehr auspoliert, daß sie dadurch wäre abge-
schliffen und geschwächet worden. Durch die
Ausputzung wird manches Wort weggeworf-
fen, sie stekt den Menschen gleichsam in einen
Sack, gestattet ihm nur eine gewisse Zahl von
üblichen Redensarten, und beraubet ihn vieler
nachdrucksreichen Wörter, und starker schöner
Ausdrüke, welche er wagen und dabey in Ge-
fahr stehen muß, daß sie veraltert und platt
scheinen.

Die Poesie beruhet insonderheit auf den Sit-
ten der Menschen, die dann sind, da man schreibt;
die besten Poeten copieren die Natur, und lie-
fern sie uns so, wie sie solche finden. Ein Scri-
bent von Friedrichs des I. oder II. Zeiten habe

nur

Von den poetiſchen Zeiten
tigen Herrſchaften, und ſo vieler Staͤdte, die
auf einander eiferten, mußten eine reiche und
nachdruͤkliche Sprache mit ſich gebracht haben.
Der politiſche Stylus waͤchßt mit der Verfaſ-
ſung eines Staats, und ſteigt auf ſeine Hoͤhe,
wenn man am meiſten dergleichen Geſchaͤfte hat,
an welchen uns ſehr viel gelegen iſt, daß wir ſie
geſchikt vollfuͤhren. Die Rathsverſammlungen
eines freyen Staats werden durch das Mittel
der Rede gefuͤhrt, wohin man will, dieſes bringt
die Beredtſamkeit ins Aufnehmen, und die
Kunſt andere auf ſeine Meinung zu fuͤhren, in
Werth. Wo die Gedanken ſtark, und ehr-
liebend ſind, fehlt es nicht, daß ſie nicht be-
queme Worte an die Hand geben; womit man
ſie ohne Abbruch ausdruͤken koͤnne.

Jndeſſen war dieſe Sprache noch nicht ſo
ſehr auspoliert, daß ſie dadurch waͤre abge-
ſchliffen und geſchwaͤchet worden. Durch die
Ausputzung wird manches Wort weggeworf-
fen, ſie ſtekt den Menſchen gleichſam in einen
Sack, geſtattet ihm nur eine gewiſſe Zahl von
uͤblichen Redensarten, und beraubet ihn vieler
nachdrucksreichen Woͤrter, und ſtarker ſchoͤner
Ausdruͤke, welche er wagen und dabey in Ge-
fahr ſtehen muß, daß ſie veraltert und platt
ſcheinen.

Die Poeſie beruhet inſonderheit auf den Sit-
ten der Menſchen, die dann ſind, da man ſchreibt;
die beſten Poeten copieren die Natur, und lie-
fern ſie uns ſo, wie ſie ſolche finden. Ein Scri-
bent von Friedrichs des I. oder II. Zeiten habe

nur
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0028" n="28"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Von den poeti&#x017F;chen Zeiten</hi></fw><lb/>
tigen Herr&#x017F;chaften, und &#x017F;o vieler Sta&#x0364;dte, die<lb/>
auf einander eiferten, mußten eine reiche und<lb/>
nachdru&#x0364;kliche Sprache mit &#x017F;ich gebracht haben.<lb/>
Der politi&#x017F;che <hi rendition="#aq">Stylus</hi> wa&#x0364;chßt mit der Verfa&#x017F;-<lb/>
&#x017F;ung eines Staats, und &#x017F;teigt auf &#x017F;eine Ho&#x0364;he,<lb/>
wenn man am mei&#x017F;ten dergleichen Ge&#x017F;cha&#x0364;fte hat,<lb/>
an welchen uns &#x017F;ehr viel gelegen i&#x017F;t, daß wir &#x017F;ie<lb/>
ge&#x017F;chikt vollfu&#x0364;hren. Die Rathsver&#x017F;ammlungen<lb/>
eines freyen Staats werden durch das Mittel<lb/>
der Rede gefu&#x0364;hrt, wohin man will, die&#x017F;es bringt<lb/>
die Beredt&#x017F;amkeit ins Aufnehmen, und die<lb/>
Kun&#x017F;t andere auf &#x017F;eine Meinung zu fu&#x0364;hren, in<lb/>
Werth. Wo die Gedanken &#x017F;tark, und ehr-<lb/>
liebend &#x017F;ind, fehlt es nicht, daß &#x017F;ie nicht be-<lb/>
queme Worte an die Hand geben; womit man<lb/>
&#x017F;ie ohne Abbruch ausdru&#x0364;ken ko&#x0364;nne.</p><lb/>
        <p>Jnde&#x017F;&#x017F;en war die&#x017F;e Sprache noch nicht &#x017F;o<lb/>
&#x017F;ehr auspoliert, daß &#x017F;ie dadurch wa&#x0364;re abge-<lb/>
&#x017F;chliffen und ge&#x017F;chwa&#x0364;chet worden. Durch die<lb/>
Ausputzung wird manches Wort weggeworf-<lb/>
fen, &#x017F;ie &#x017F;tekt den Men&#x017F;chen gleich&#x017F;am in einen<lb/>
Sack, ge&#x017F;tattet ihm nur eine gewi&#x017F;&#x017F;e Zahl von<lb/>
u&#x0364;blichen Redensarten, und beraubet ihn vieler<lb/>
nachdrucksreichen Wo&#x0364;rter, und &#x017F;tarker &#x017F;cho&#x0364;ner<lb/>
Ausdru&#x0364;ke, welche er wagen und dabey in Ge-<lb/>
fahr &#x017F;tehen muß, daß &#x017F;ie veraltert und platt<lb/>
&#x017F;cheinen.</p><lb/>
        <p>Die Poe&#x017F;ie beruhet in&#x017F;onderheit auf den Sit-<lb/>
ten der Men&#x017F;chen, die dann &#x017F;ind, da man &#x017F;chreibt;<lb/>
die be&#x017F;ten Poeten copieren die Natur, und lie-<lb/>
fern &#x017F;ie uns &#x017F;o, wie &#x017F;ie &#x017F;olche finden. Ein Scri-<lb/>
bent von Friedrichs des <hi rendition="#aq">I.</hi> oder <hi rendition="#aq">II.</hi> Zeiten habe<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">nur</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[28/0028] Von den poetiſchen Zeiten tigen Herrſchaften, und ſo vieler Staͤdte, die auf einander eiferten, mußten eine reiche und nachdruͤkliche Sprache mit ſich gebracht haben. Der politiſche Stylus waͤchßt mit der Verfaſ- ſung eines Staats, und ſteigt auf ſeine Hoͤhe, wenn man am meiſten dergleichen Geſchaͤfte hat, an welchen uns ſehr viel gelegen iſt, daß wir ſie geſchikt vollfuͤhren. Die Rathsverſammlungen eines freyen Staats werden durch das Mittel der Rede gefuͤhrt, wohin man will, dieſes bringt die Beredtſamkeit ins Aufnehmen, und die Kunſt andere auf ſeine Meinung zu fuͤhren, in Werth. Wo die Gedanken ſtark, und ehr- liebend ſind, fehlt es nicht, daß ſie nicht be- queme Worte an die Hand geben; womit man ſie ohne Abbruch ausdruͤken koͤnne. Jndeſſen war dieſe Sprache noch nicht ſo ſehr auspoliert, daß ſie dadurch waͤre abge- ſchliffen und geſchwaͤchet worden. Durch die Ausputzung wird manches Wort weggeworf- fen, ſie ſtekt den Menſchen gleichſam in einen Sack, geſtattet ihm nur eine gewiſſe Zahl von uͤblichen Redensarten, und beraubet ihn vieler nachdrucksreichen Woͤrter, und ſtarker ſchoͤner Ausdruͤke, welche er wagen und dabey in Ge- fahr ſtehen muß, daß ſie veraltert und platt ſcheinen. Die Poeſie beruhet inſonderheit auf den Sit- ten der Menſchen, die dann ſind, da man ſchreibt; die beſten Poeten copieren die Natur, und lie- fern ſie uns ſo, wie ſie ſolche finden. Ein Scri- bent von Friedrichs des I. oder II. Zeiten habe nur

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung07_1743
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung07_1743/28
Zitationshilfe: [Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 7. Zürich, 1743, S. 28. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung07_1743/28>, abgerufen am 23.11.2024.