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[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 6. Zürich, 1742.

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des deutschen Witzes.

Erstlich machen diejenigen Deutschen, welche
dieses Gedichte in Miltons Sprache lesen kön-
nen, keine Zahl, daß man sie für die deutsche
Nation nehmen könnte. Derjenigen, welchen
Milton aus dem Französischen bekannt gewor-
den, mögen wohl mehrere seyn, aber von die-
sen kan man eigentlich nicht sagen, daß sie ihn
gelesen haben: Der Hr. Uebersetzer von St. Maur
hat sich allzu viele Freyheit damit herausgenom-
men. Doch wenn man dieses nichts achten will,
so ist dennoch auch die Anzahl dieser Leser gantz
klein. Das Französische ist den Deutschen über-
haupt noch gantz ungewöhnlich, wovon ich nur
dieses vor einen Beweis anziehen will, daß man
genöthiget worden, Baylens Lexicon ins Deut-
sche zu übersetzen, und daß es in dieser Uberse-
zung so viele Liebhaber findet: denn es ist gewiß,
daß niemand es im Deutschen lesen wird, der
es im Französischen lesen kan. Die Uebersetzung
des Hrn. Rolli ist gantz getreu und genau, aber
in Deutschland noch nirgend gesehen worden.
Mit der Holländischen wohlgerathenen und ziem-
lich nachdrücklichen Uebersetzung des Hrn. von
Zante will sich niemand gerne beladen, weil
man den Leuten eine Furcht beygebracht hat, daß
sie die reine hochdeutsche Sprache mit dieser ver-
dorbenen Mundart derselben beflecken mögten.
Jn der hochdeutschen Uebersetzung des von Berg
sieht Milton gantz verfinstert aus, er hat darin-
nen von seinem ursprünglichen Glantze nicht so
vieles behalten, als die Engel bey dem Poeten
nach ihrem tiefen Falle von den Zinnen des Him-

mels;
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des deutſchen Witzes.

Erſtlich machen diejenigen Deutſchen, welche
dieſes Gedichte in Miltons Sprache leſen koͤn-
nen, keine Zahl, daß man ſie fuͤr die deutſche
Nation nehmen koͤnnte. Derjenigen, welchen
Milton aus dem Franzoͤſiſchen bekannt gewor-
den, moͤgen wohl mehrere ſeyn, aber von die-
ſen kan man eigentlich nicht ſagen, daß ſie ihn
geleſen haben: Der Hr. Ueberſetzer von St. Maur
hat ſich allzu viele Freyheit damit herausgenom-
men. Doch wenn man dieſes nichts achten will,
ſo iſt dennoch auch die Anzahl dieſer Leſer gantz
klein. Das Franzoͤſiſche iſt den Deutſchen uͤber-
haupt noch gantz ungewoͤhnlich, wovon ich nur
dieſes vor einen Beweis anziehen will, daß man
genoͤthiget worden, Baylens Lexicon ins Deut-
ſche zu uͤberſetzen, und daß es in dieſer Uberſe-
zung ſo viele Liebhaber findet: denn es iſt gewiß,
daß niemand es im Deutſchen leſen wird, der
es im Franzoͤſiſchen leſen kan. Die Ueberſetzung
des Hrn. Rolli iſt gantz getreu und genau, aber
in Deutſchland noch nirgend geſehen worden.
Mit der Hollaͤndiſchen wohlgerathenen und ziem-
lich nachdruͤcklichen Ueberſetzung des Hrn. von
Zante will ſich niemand gerne beladen, weil
man den Leuten eine Furcht beygebracht hat, daß
ſie die reine hochdeutſche Sprache mit dieſer ver-
dorbenen Mundart derſelben beflecken moͤgten.
Jn der hochdeutſchen Ueberſetzung des von Berg
ſieht Milton gantz verfinſtert aus, er hat darin-
nen von ſeinem urſpruͤnglichen Glantze nicht ſo
vieles behalten, als die Engel bey dem Poeten
nach ihrem tiefen Falle von den Zinnen des Him-

mels;
D 4
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[55/0055] des deutſchen Witzes. Erſtlich machen diejenigen Deutſchen, welche dieſes Gedichte in Miltons Sprache leſen koͤn- nen, keine Zahl, daß man ſie fuͤr die deutſche Nation nehmen koͤnnte. Derjenigen, welchen Milton aus dem Franzoͤſiſchen bekannt gewor- den, moͤgen wohl mehrere ſeyn, aber von die- ſen kan man eigentlich nicht ſagen, daß ſie ihn geleſen haben: Der Hr. Ueberſetzer von St. Maur hat ſich allzu viele Freyheit damit herausgenom- men. Doch wenn man dieſes nichts achten will, ſo iſt dennoch auch die Anzahl dieſer Leſer gantz klein. Das Franzoͤſiſche iſt den Deutſchen uͤber- haupt noch gantz ungewoͤhnlich, wovon ich nur dieſes vor einen Beweis anziehen will, daß man genoͤthiget worden, Baylens Lexicon ins Deut- ſche zu uͤberſetzen, und daß es in dieſer Uberſe- zung ſo viele Liebhaber findet: denn es iſt gewiß, daß niemand es im Deutſchen leſen wird, der es im Franzoͤſiſchen leſen kan. Die Ueberſetzung des Hrn. Rolli iſt gantz getreu und genau, aber in Deutſchland noch nirgend geſehen worden. Mit der Hollaͤndiſchen wohlgerathenen und ziem- lich nachdruͤcklichen Ueberſetzung des Hrn. von Zante will ſich niemand gerne beladen, weil man den Leuten eine Furcht beygebracht hat, daß ſie die reine hochdeutſche Sprache mit dieſer ver- dorbenen Mundart derſelben beflecken moͤgten. Jn der hochdeutſchen Ueberſetzung des von Berg ſieht Milton gantz verfinſtert aus, er hat darin- nen von ſeinem urſpruͤnglichen Glantze nicht ſo vieles behalten, als die Engel bey dem Poeten nach ihrem tiefen Falle von den Zinnen des Him- mels; D 4

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Zitationshilfe: [Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 6. Zürich, 1742, S. 55. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung06_1742/55>, abgerufen am 23.11.2024.