[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 6. Zürich, 1742.des deutschen Witzes. selbst so begründet und gerecht seyn, als er im-mer wollte. Endlich schreiben sie der Critick in Ansehung des Ausdrucks und Vortrags, in die sie ihre Aussprüche einkleiden soll, so harte Ge- setze vor, daß sie bey aller ihrer Gerechtigkeit nothwendig unhöflich und unbescheiden werden muß. Sie können es nicht vertragen, daß man eine Abhandlung, die durchgehends voller Feh- ler ist, unglücklich nenne; oder über das, was lächerlich ist, das Maul verkrümme. Sie wol- len, daß man sie zuerst um Verzeihung bitte, und die Erlaubniß von ihnen erhalte, sie zu er- innern, daß sie nicht ohne Fehler sind; daß man die Fehler, die man tadelt, als Theile der Voll- kommenheit des Gantzen anpreise; daß man, auch wo es umgekehrt ist, Horatzens Ubi plura nitent in carmine, non ego paucis voraussetze. Allein ich habe in Vergleichung fodert, C 4
des deutſchen Witzes. ſelbſt ſo begruͤndet und gerecht ſeyn, als er im-mer wollte. Endlich ſchreiben ſie der Critick in Anſehung des Ausdrucks und Vortrags, in die ſie ihre Ausſpruͤche einkleiden ſoll, ſo harte Ge- ſetze vor, daß ſie bey aller ihrer Gerechtigkeit nothwendig unhoͤflich und unbeſcheiden werden muß. Sie koͤnnen es nicht vertragen, daß man eine Abhandlung, die durchgehends voller Feh- ler iſt, ungluͤcklich nenne; oder uͤber das, was laͤcherlich iſt, das Maul verkruͤmme. Sie wol- len, daß man ſie zuerſt um Verzeihung bitte, und die Erlaubniß von ihnen erhalte, ſie zu er- innern, daß ſie nicht ohne Fehler ſind; daß man die Fehler, die man tadelt, als Theile der Voll- kommenheit des Gantzen anpreiſe; daß man, auch wo es umgekehrt iſt, Horatzens Ubi plura nitent in carmine, non ego paucis vorausſetze. Allein ich habe in Vergleichung fodert, C 4
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des deutſchen Witzes.
ſelbſt ſo begruͤndet und gerecht ſeyn, als er im-
mer wollte. Endlich ſchreiben ſie der Critick in
Anſehung des Ausdrucks und Vortrags, in die
ſie ihre Ausſpruͤche einkleiden ſoll, ſo harte Ge-
ſetze vor, daß ſie bey aller ihrer Gerechtigkeit
nothwendig unhoͤflich und unbeſcheiden werden
muß. Sie koͤnnen es nicht vertragen, daß man
eine Abhandlung, die durchgehends voller Feh-
ler iſt, ungluͤcklich nenne; oder uͤber das, was
laͤcherlich iſt, das Maul verkruͤmme. Sie wol-
len, daß man ſie zuerſt um Verzeihung bitte,
und die Erlaubniß von ihnen erhalte, ſie zu er-
innern, daß ſie nicht ohne Fehler ſind; daß man
die Fehler, die man tadelt, als Theile der Voll-
kommenheit des Gantzen anpreiſe; daß man,
auch wo es umgekehrt iſt, Horatzens
Ubi plura nitent in carmine, non ego paucis
Offendar maculis.
vorausſetze. Allein ich habe in Vergleichung
mit dieſen Leuten gantz paradoxe Gedancken von
der Freyheit der Critick: Jch habe mich beredet,
daß die Critick niemahls unhoͤflich oder unbe-
ſcheiden ſeyn koͤnne, ſo lange ſie gerecht iſt; und
ich ſehe die critiſche Unhoͤflichkeit als eine Art der
Ungerechtigkeit an; denn wenn die getadelten
Fehler durch die Art des Vortrags vergroͤſſert
werden, ſo iſt dieſes eine Art der Verlaͤumdung;
und hiemit dieſe Unhoͤflichkeit eine offenbare Un-
gerechtigkeit. Die Hoͤflichkeit beſtehet in einer
Maͤſſigung der Affecten und des Willens nach
den Regeln oder Gewohnheiten des aͤuſſerlichen
Wohlſtands; und die Natur der Hoͤflichkeit er-
fodert,
C 4
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