[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 5. Zürich, 1742.Mauvillons Brief Man wird vielleicht glauben, weil eure Poe- get "An- "sten Gipfel der Vollkommenheit gebracht worden: So Mauvillons Brief Man wird vielleicht glauben, weil eure Poe- get „An- „ſten Gipfel der Vollkommenheit gebracht worden: So <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0062" n="62"/> <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Mauvillons Brief</hi> </fw><lb/> <p>Man wird vielleicht glauben, weil eure Poe-<lb/> ten ſind gantz und gar auf das Ueberſetzen gele-<lb/> <fw place="bottom" type="catch">get</fw><lb/><note xml:id="a024d" prev="#a024c" place="foot" next="#a024e"><cit><quote>„ſten Gipfel der Vollkommenheit gebracht worden: So<lb/> „wenig kan man dieſes glauben, wenn man dieſelben ſtuͤck-<lb/> „weiſe durchgehet, und die vermeinten Meiſterſtuͤcke,<lb/> „die daſſelbe hervorgebracht, mit critiſchen Augen betrach-<lb/> „tet. Wer ſollte es z. Ex. nicht dencken, daß wir in<lb/> „der Poeſie, nach einer ſolchen Menge von Poeten, als<lb/> „Deutſchland aufweiſen kan, einen groſſen Vorrath ſchoͤ-<lb/> „ner Muſter haͤtten, die wir in allen Gattungen der<lb/> „Gedichte zeigen koͤnnten? Gleichwohl fehlt es uns in<lb/> „den allerwichtigſten Theilen derſelben, ich will nicht ſa-<lb/> „gen an vollkommenen, ſondern nur an ertraͤglichen<lb/> „Proben. Jn <hi rendition="#fr">Heldengedichten</hi> haben wir noch nichts,<lb/> „als den <hi rendition="#fr">Wittekind;</hi> wieviel aber von demſelben zu hal-<lb/> „ten ſey, wollen wir mit eheſtem in einem eigenen Ar-<lb/> „tickel anzeigen. Jn Tragoͤdien haben wir noch nichts<lb/> „in oͤffentlichem Drucke, als <hi rendition="#fr">Lohenſteins</hi> und des aͤltern<lb/> „<hi rendition="#fr">Gryphii</hi> Stuͤcke: die wir auch bey Gelegenheit nach<lb/> „den Regeln unterſuchen wollen. Jn <hi rendition="#fr">Comoͤdien</hi> haben<lb/> „wir auſſer ein Par Stuͤcken von gedachtem <hi rendition="#fr">Gryphius,</hi><lb/> „nichts als <hi rendition="#fr">Riemers</hi> und <hi rendition="#fr">Weiſens</hi> Comoͤdien, ſo in eini-<lb/> „gen Ruhm gekommen ſind. Gleichwohl ſind auch dieſe<lb/> „ſo ſchlecht nach den <hi rendition="#fr">theatraliſchen</hi> Regeln eingerichtet,<lb/> „daß man ſich wundern muß, wie ſie ſich ſo lange in der ein-<lb/> „mahl erlangten Hochachtung erhalten koͤnnen. Alle<lb/> „dieſe Stuͤcke aber ſind in dem vorigen Jahrhundert ver-<lb/> „fertiget worden, und da wir in den 30. Jahren des<lb/> „itzigen, anſtatt dieſer unvollkommenen Verſuche was beſ-<lb/> „ſers ſollten geliefert haben; ſo haben wir nichts als etliche<lb/> „Schocke Opern aufzuweiſen; eine poetiſche Mißgeburt ꝛc.„<lb/> Will aber jemand ein neueres Zeugniß, ſo kan ich aus<lb/> dem <hi rendition="#aq">XXII.</hi> St. der <hi rendition="#fr">Beytraͤge</hi> eins anfuͤhren: Es heißt<lb/> daſelbſt auf der 466ſten Seite: „Jch weiß es nicht zu<lb/> „ſagen, wie mir meine Landsleute, die Deutſchen, in<lb/> <fw place="bottom" type="catch">„An-</fw></quote></cit></note><lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [62/0062]
Mauvillons Brief
Man wird vielleicht glauben, weil eure Poe-
ten ſind gantz und gar auf das Ueberſetzen gele-
get
„ſten Gipfel der Vollkommenheit gebracht worden: So
„wenig kan man dieſes glauben, wenn man dieſelben ſtuͤck-
„weiſe durchgehet, und die vermeinten Meiſterſtuͤcke,
„die daſſelbe hervorgebracht, mit critiſchen Augen betrach-
„tet. Wer ſollte es z. Ex. nicht dencken, daß wir in
„der Poeſie, nach einer ſolchen Menge von Poeten, als
„Deutſchland aufweiſen kan, einen groſſen Vorrath ſchoͤ-
„ner Muſter haͤtten, die wir in allen Gattungen der
„Gedichte zeigen koͤnnten? Gleichwohl fehlt es uns in
„den allerwichtigſten Theilen derſelben, ich will nicht ſa-
„gen an vollkommenen, ſondern nur an ertraͤglichen
„Proben. Jn Heldengedichten haben wir noch nichts,
„als den Wittekind; wieviel aber von demſelben zu hal-
„ten ſey, wollen wir mit eheſtem in einem eigenen Ar-
„tickel anzeigen. Jn Tragoͤdien haben wir noch nichts
„in oͤffentlichem Drucke, als Lohenſteins und des aͤltern
„Gryphii Stuͤcke: die wir auch bey Gelegenheit nach
„den Regeln unterſuchen wollen. Jn Comoͤdien haben
„wir auſſer ein Par Stuͤcken von gedachtem Gryphius,
„nichts als Riemers und Weiſens Comoͤdien, ſo in eini-
„gen Ruhm gekommen ſind. Gleichwohl ſind auch dieſe
„ſo ſchlecht nach den theatraliſchen Regeln eingerichtet,
„daß man ſich wundern muß, wie ſie ſich ſo lange in der ein-
„mahl erlangten Hochachtung erhalten koͤnnen. Alle
„dieſe Stuͤcke aber ſind in dem vorigen Jahrhundert ver-
„fertiget worden, und da wir in den 30. Jahren des
„itzigen, anſtatt dieſer unvollkommenen Verſuche was beſ-
„ſers ſollten geliefert haben; ſo haben wir nichts als etliche
„Schocke Opern aufzuweiſen; eine poetiſche Mißgeburt ꝛc.„
Will aber jemand ein neueres Zeugniß, ſo kan ich aus
dem XXII. St. der Beytraͤge eins anfuͤhren: Es heißt
daſelbſt auf der 466ſten Seite: „Jch weiß es nicht zu
„ſagen, wie mir meine Landsleute, die Deutſchen, in
„An-
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