Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 5. Zürich, 1742.

Bild:
<< vorherige Seite

von den deutschen Poeten.
nen Schöpfer (N) auf eurem Parnasse; ich
will sagen, zeiget mir einen deutschen Poeten,

der
(N) Hr. Magister Schwabe hat in der Vorrede zu sei-
nen Belustigungen Bl. 6. eine triftige Apologie der deut-
schen Poeten gegen diese Anklage miteinfliessen lassen. Sie
lautet also: "Was die so genannten Schöpfer unter den
"erfindsamen Franzosen betrifft, so werden ihrer, wenn man
"die Benennung in ihrem eigentlichen Verstande nimmt,
"wohl eben keine grössere Anzahl seyn, als unter unsren
"Landesleuten. Jhr berühmtester Satirenschreiber Boi-
"leau
hat die Gedancken des Horatz und Juvenals so gut
"zu übersetzen, und für seine eigene auszugeben gewußt,
"als es unser geschickte Satirenschreiber Rachel gekonnt hat;
"ihr bester Fabeldichter, la Fontaine, hat nicht mehr eige-
"nes, als unser Herr von Hagedorn; und ihr grosser
"Corneille hat noch weniger Antheil an seinem schönen
"Trauerspiele, Cid, als sich unser grosse Beförderer der
"deutschen Schaubühne von seinem sterbenden Cato aus
"Bescheidenheit zugeeignet. Was für eine Pralerey ist es
"denn nicht, wenn man sich mit seinem erfindungsreichen
"Geiste in der Dichtkunst so viel weiß? Man darf nur
"einmahl ein wenig untersuchen, was für eigenthümliche
"Früchte die französische Dichtkunst getragen hat, und
"was für Arten von Gedichten als eingebohrne bey ihnen
"anzusehen sind. Sollte es nicht gewissermassen der Ab-
"schaum des Witzes seyn? Denn was ist es wohl anders,
"das sie in der Poesie ersonnen haben, als Endreime,
"ein Rondeau, ein Virelay? Wahrhaftig dieses sind
"recht beneidenswürdige Erfindungen des französischen
"Witzes! Welcher vernünftige Deutsche wollte ihnen die-
"se Vorzüge nicht gern alleine lassen? Wer wollte ihnen
"nicht gern die Ehre gönnen, noch mehr dergleichen Schön-
"heiten und Seltsamkeiten auszusinnen?" Jch muß

über die seltsame Art dieser Vertheidigung unumganglich
zwo besondere Anmerckungen beyfügen, um zu zeigen, wie
geschickt

von den deutſchen Poeten.
nen Schoͤpfer (N) auf eurem Parnaſſe; ich
will ſagen, zeiget mir einen deutſchen Poeten,

der
(N) Hr. Magiſter Schwabe hat in der Vorrede zu ſei-
nen Beluſtigungen Bl. 6. eine triftige Apologie der deut-
ſchen Poeten gegen dieſe Anklage miteinflieſſen laſſen. Sie
lautet alſo: „Was die ſo genannten Schoͤpfer unter den
„erfindſamen Franzoſen betrifft, ſo werden ihrer, wenn man
„die Benennung in ihrem eigentlichen Verſtande nimmt,
„wohl eben keine groͤſſere Anzahl ſeyn, als unter unſren
„Landesleuten. Jhr beruͤhmteſter Satirenſchreiber Boi-
„leau
hat die Gedancken des Horatz und Juvenals ſo gut
„zu uͤberſetzen, und fuͤr ſeine eigene auszugeben gewußt,
„als es unſer geſchickte Satirenſchreiber Rachel gekonnt hat;
„ihr beſter Fabeldichter, la Fontaine, hat nicht mehr eige-
„nes, als unſer Herr von Hagedorn; und ihr groſſer
Corneille hat noch weniger Antheil an ſeinem ſchoͤnen
„Trauerſpiele, Cid, als ſich unſer groſſe Befoͤrderer der
„deutſchen Schaubuͤhne von ſeinem ſterbenden Cato aus
„Beſcheidenheit zugeeignet. Was fuͤr eine Pralerey iſt es
„denn nicht, wenn man ſich mit ſeinem erfindungsreichen
„Geiſte in der Dichtkunſt ſo viel weiß? Man darf nur
„einmahl ein wenig unterſuchen, was fuͤr eigenthuͤmliche
„Fruͤchte die franzoͤſiſche Dichtkunſt getragen hat, und
„was fuͤr Arten von Gedichten als eingebohrne bey ihnen
„anzuſehen ſind. Sollte es nicht gewiſſermaſſen der Ab-
„ſchaum des Witzes ſeyn? Denn was iſt es wohl anders,
„das ſie in der Poeſie erſonnen haben, als Endreime,
„ein Rondeau, ein Virelay? Wahrhaftig dieſes ſind
„recht beneidenswuͤrdige Erfindungen des franzoͤſiſchen
„Witzes! Welcher vernuͤnftige Deutſche wollte ihnen die-
„ſe Vorzuͤge nicht gern alleine laſſen? Wer wollte ihnen
„nicht gern die Ehre goͤnnen, noch mehr dergleichen Schoͤn-
„heiten und Seltſamkeiten auszuſinnen?„ Jch muß

uͤber die ſeltſame Art dieſer Vertheidigung unumganglich
zwo beſondere Anmerckungen beyfuͤgen, um zu zeigen, wie
geſchickt
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0059" n="59"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">von den deut&#x017F;chen Poeten.</hi></fw><lb/>
nen Scho&#x0364;pfer <note xml:id="a024" next="#a024b" place="foot" n="(N)">Hr. Magi&#x017F;ter <hi rendition="#fr">Schwabe</hi> hat in der Vorrede zu &#x017F;ei-<lb/>
nen Belu&#x017F;tigungen Bl. 6. eine triftige Apologie der deut-<lb/>
&#x017F;chen Poeten gegen die&#x017F;e Anklage miteinflie&#x017F;&#x017F;en la&#x017F;&#x017F;en. Sie<lb/>
lautet al&#x017F;o: &#x201E;Was die &#x017F;o genannten Scho&#x0364;pfer unter den<lb/><cit><quote>&#x201E;erfind&#x017F;amen Franzo&#x017F;en betrifft, &#x017F;o werden ihrer, wenn man<lb/>
&#x201E;die Benennung in ihrem eigentlichen Ver&#x017F;tande nimmt,<lb/>
&#x201E;wohl eben keine gro&#x0364;&#x017F;&#x017F;ere Anzahl &#x017F;eyn, als unter un&#x017F;ren<lb/>
&#x201E;Landesleuten. Jhr beru&#x0364;hmte&#x017F;ter Satiren&#x017F;chreiber <hi rendition="#fr">Boi-<lb/>
&#x201E;leau</hi> hat die Gedancken des Horatz und Juvenals &#x017F;o gut<lb/>
&#x201E;zu u&#x0364;ber&#x017F;etzen, und fu&#x0364;r &#x017F;eine eigene auszugeben gewußt,<lb/>
&#x201E;als es un&#x017F;er ge&#x017F;chickte Satiren&#x017F;chreiber <hi rendition="#fr">Rachel</hi> gekonnt hat;<lb/>
&#x201E;ihr be&#x017F;ter Fabeldichter, <hi rendition="#fr">la Fontaine,</hi> hat nicht mehr eige-<lb/>
&#x201E;nes, als un&#x017F;er Herr <hi rendition="#fr">von Hagedorn;</hi> und ihr gro&#x017F;&#x017F;er<lb/>
&#x201E;<hi rendition="#fr">Corneille</hi> hat noch weniger Antheil an &#x017F;einem &#x017F;cho&#x0364;nen<lb/>
&#x201E;Trauer&#x017F;piele, Cid, als &#x017F;ich un&#x017F;er gro&#x017F;&#x017F;e Befo&#x0364;rderer der<lb/>
&#x201E;deut&#x017F;chen Schaubu&#x0364;hne von &#x017F;einem &#x017F;terbenden Cato aus<lb/>
&#x201E;Be&#x017F;cheidenheit zugeeignet. Was fu&#x0364;r eine Pralerey i&#x017F;t es<lb/>
&#x201E;denn nicht, wenn man &#x017F;ich mit &#x017F;einem erfindungsreichen<lb/>
&#x201E;Gei&#x017F;te in der Dichtkun&#x017F;t &#x017F;o viel weiß? Man darf nur<lb/>
&#x201E;einmahl ein wenig unter&#x017F;uchen, was fu&#x0364;r eigenthu&#x0364;mliche<lb/>
&#x201E;Fru&#x0364;chte die franzo&#x0364;&#x017F;i&#x017F;che Dichtkun&#x017F;t getragen hat, und<lb/>
&#x201E;was fu&#x0364;r Arten von Gedichten als eingebohrne bey ihnen<lb/>
&#x201E;anzu&#x017F;ehen &#x017F;ind. Sollte es nicht gewi&#x017F;&#x017F;erma&#x017F;&#x017F;en der Ab-<lb/>
&#x201E;&#x017F;chaum des Witzes &#x017F;eyn? Denn was i&#x017F;t es wohl anders,<lb/>
&#x201E;das &#x017F;ie in der Poe&#x017F;ie er&#x017F;onnen haben, als Endreime,<lb/>
&#x201E;ein Rondeau, ein <hi rendition="#fr">Virelay?</hi> Wahrhaftig die&#x017F;es &#x017F;ind<lb/>
&#x201E;recht beneidenswu&#x0364;rdige Erfindungen des franzo&#x0364;&#x017F;i&#x017F;chen<lb/>
&#x201E;Witzes! Welcher vernu&#x0364;nftige Deut&#x017F;che wollte ihnen die-<lb/>
&#x201E;&#x017F;e Vorzu&#x0364;ge nicht gern alleine la&#x017F;&#x017F;en? Wer wollte ihnen<lb/>
&#x201E;nicht gern die Ehre go&#x0364;nnen, noch mehr dergleichen Scho&#x0364;n-<lb/>
&#x201E;heiten und Selt&#x017F;amkeiten auszu&#x017F;innen?&#x201E; Jch muß</quote></cit><lb/>
u&#x0364;ber die &#x017F;elt&#x017F;ame Art die&#x017F;er Vertheidigung unumganglich<lb/>
zwo be&#x017F;ondere Anmerckungen beyfu&#x0364;gen, um zu zeigen, wie<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">ge&#x017F;chickt</fw></note> auf eurem Parna&#x017F;&#x017F;e; ich<lb/>
will &#x017F;agen, zeiget mir einen deut&#x017F;chen Poeten,<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">der</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[59/0059] von den deutſchen Poeten. nen Schoͤpfer (N) auf eurem Parnaſſe; ich will ſagen, zeiget mir einen deutſchen Poeten, der (N) Hr. Magiſter Schwabe hat in der Vorrede zu ſei- nen Beluſtigungen Bl. 6. eine triftige Apologie der deut- ſchen Poeten gegen dieſe Anklage miteinflieſſen laſſen. Sie lautet alſo: „Was die ſo genannten Schoͤpfer unter den „erfindſamen Franzoſen betrifft, ſo werden ihrer, wenn man „die Benennung in ihrem eigentlichen Verſtande nimmt, „wohl eben keine groͤſſere Anzahl ſeyn, als unter unſren „Landesleuten. Jhr beruͤhmteſter Satirenſchreiber Boi- „leau hat die Gedancken des Horatz und Juvenals ſo gut „zu uͤberſetzen, und fuͤr ſeine eigene auszugeben gewußt, „als es unſer geſchickte Satirenſchreiber Rachel gekonnt hat; „ihr beſter Fabeldichter, la Fontaine, hat nicht mehr eige- „nes, als unſer Herr von Hagedorn; und ihr groſſer „Corneille hat noch weniger Antheil an ſeinem ſchoͤnen „Trauerſpiele, Cid, als ſich unſer groſſe Befoͤrderer der „deutſchen Schaubuͤhne von ſeinem ſterbenden Cato aus „Beſcheidenheit zugeeignet. Was fuͤr eine Pralerey iſt es „denn nicht, wenn man ſich mit ſeinem erfindungsreichen „Geiſte in der Dichtkunſt ſo viel weiß? Man darf nur „einmahl ein wenig unterſuchen, was fuͤr eigenthuͤmliche „Fruͤchte die franzoͤſiſche Dichtkunſt getragen hat, und „was fuͤr Arten von Gedichten als eingebohrne bey ihnen „anzuſehen ſind. Sollte es nicht gewiſſermaſſen der Ab- „ſchaum des Witzes ſeyn? Denn was iſt es wohl anders, „das ſie in der Poeſie erſonnen haben, als Endreime, „ein Rondeau, ein Virelay? Wahrhaftig dieſes ſind „recht beneidenswuͤrdige Erfindungen des franzoͤſiſchen „Witzes! Welcher vernuͤnftige Deutſche wollte ihnen die- „ſe Vorzuͤge nicht gern alleine laſſen? Wer wollte ihnen „nicht gern die Ehre goͤnnen, noch mehr dergleichen Schoͤn- „heiten und Seltſamkeiten auszuſinnen?„ Jch muß uͤber die ſeltſame Art dieſer Vertheidigung unumganglich zwo beſondere Anmerckungen beyfuͤgen, um zu zeigen, wie geſchickt

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung05_1742
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung05_1742/59
Zitationshilfe: [Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 5. Zürich, 1742, S. 59. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung05_1742/59>, abgerufen am 27.11.2024.