Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 5. Zürich, 1742.

Bild:
<< vorherige Seite
von den deutschen Poeten.
Uebersetzung.
Grand Dieu, ta justice eternelle
Veut-elle se mettre en courroux
Contre moi, figure mortelle,
Ombre trop vile pour tes coups?
Arme plutot ta main fatale
Contre ta puissance infernale,
Qui brave la foudre & l'eclair!
Mais a quoi bon ce bruit de guerre,
Ces dards, ces carreaux, ce tonnerre,
Quand ton Ennemi n'est qu'un Ver?

Vielleicht hat kein Franzose noch den Einfall ge-
habt, deutsche Verse in französische zu übersetzen.
Nun bin ich zwar nicht so stoltz, daß ich mich vor
einen Poeten halte, doch ist mir lieb, euch da-
mit zu zeigen, daß ich kein Vorurtheil wider
eure Poeten hege, sondern als gut erkenne und
anpreise, was mir so vorkömmt, wie ich es hin-
gegen offenhertzig sage, wenn mir etwas schlecht
zu seyn düncket.

Jch erinnere mich bey dieser Gelegenheit, daß
der Verfasser der jüdischen Briefe etwas ange-
mercket hat, das ein ziemlich billiges Vorurtheil
wider den deutschen Parnaß erwecken muß. Er
sagt, daß eure Poeten kein grosses Ansehn ver-

die-
ginale nicht hat. Der Gedancke ist kühn und edel; aber
er ist nicht eben so neu; sondern dem Heil. Dichter David
abentlehnet, dessen Gedichte eine Quelle des Erhabenen
sind. Mithin, wenn ich die Wahrheit gestehen soll, so
deucht mich die güntherische Ausbildung dieses Gedanckes
zu frech; Jnsonderheit kan ich die Zeile,
Ach! Hast du dieß noch nicht bedacht?
die um etwas unverschämt ist, nicht vertragen.
D 5
von den deutſchen Poeten.
Ueberſetzung.
Grand Dieu, ta juſtice eternelle
Veut-elle ſe mettre en courroux
Contre moi, figure mortelle,
Ombre trop vile pour tes coups?
Arme plutôt ta main fatale
Contre ta puiſſance infernale,
Qui brave la foudre & l’eclair!
Mais à quoi bon ce bruit de guerre,
Ces dards, ces carreaux, ce tonnerre,
Quand ton Ennemi n’eſt qu’un Ver?

Vielleicht hat kein Franzoſe noch den Einfall ge-
habt, deutſche Verſe in franzoͤſiſche zu uͤberſetzen.
Nun bin ich zwar nicht ſo ſtoltz, daß ich mich vor
einen Poeten halte, doch iſt mir lieb, euch da-
mit zu zeigen, daß ich kein Vorurtheil wider
eure Poeten hege, ſondern als gut erkenne und
anpreiſe, was mir ſo vorkoͤmmt, wie ich es hin-
gegen offenhertzig ſage, wenn mir etwas ſchlecht
zu ſeyn duͤncket.

Jch erinnere mich bey dieſer Gelegenheit, daß
der Verfaſſer der juͤdiſchen Briefe etwas ange-
mercket hat, das ein ziemlich billiges Vorurtheil
wider den deutſchen Parnaß erwecken muß. Er
ſagt, daß eure Poeten kein groſſes Anſehn ver-

die-
ginale nicht hat. Der Gedancke iſt kuͤhn und edel; aber
er iſt nicht eben ſo neu; ſondern dem Heil. Dichter David
abentlehnet, deſſen Gedichte eine Quelle des Erhabenen
ſind. Mithin, wenn ich die Wahrheit geſtehen ſoll, ſo
deucht mich die guͤntheriſche Ausbildung dieſes Gedanckes
zu frech; Jnſonderheit kan ich die Zeile,
Ach! Haſt du dieß noch nicht bedacht?
die um etwas unverſchaͤmt iſt, nicht vertragen.
D 5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0057" n="57"/>
          <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">von den deut&#x017F;chen Poeten.</hi> </fw><lb/>
          <div n="3">
            <head>Ueber&#x017F;etzung.</head><lb/>
            <lg type="poem">
              <l> <hi rendition="#aq">Grand Dieu, ta ju&#x017F;tice eternelle</hi> </l><lb/>
              <l> <hi rendition="#aq">Veut-elle &#x017F;e mettre en courroux</hi> </l><lb/>
              <l> <hi rendition="#aq">Contre moi, figure mortelle,</hi> </l><lb/>
              <l> <hi rendition="#aq">Ombre trop vile pour tes coups?</hi> </l><lb/>
              <l> <hi rendition="#aq">Arme plutôt ta main fatale</hi> </l><lb/>
              <l> <hi rendition="#aq">Contre ta pui&#x017F;&#x017F;ance infernale,</hi> </l><lb/>
              <l> <hi rendition="#aq">Qui brave la foudre &amp; l&#x2019;eclair!</hi> </l><lb/>
              <l> <hi rendition="#aq">Mais à quoi bon ce bruit de guerre,</hi> </l><lb/>
              <l> <hi rendition="#aq">Ces dards, ces carreaux, ce tonnerre,</hi> </l><lb/>
              <l> <hi rendition="#aq">Quand ton Ennemi n&#x2019;e&#x017F;t qu&#x2019;un Ver?</hi> </l>
            </lg><lb/>
            <p>Vielleicht hat kein Franzo&#x017F;e noch den Einfall ge-<lb/>
habt, deut&#x017F;che Ver&#x017F;e in franzo&#x0364;&#x017F;i&#x017F;che zu u&#x0364;ber&#x017F;etzen.<lb/>
Nun bin ich zwar nicht &#x017F;o &#x017F;toltz, daß ich mich vor<lb/>
einen Poeten halte, doch i&#x017F;t mir lieb, euch da-<lb/>
mit zu zeigen, daß ich kein Vorurtheil wider<lb/>
eure Poeten hege, &#x017F;ondern als gut erkenne und<lb/>
anprei&#x017F;e, was mir &#x017F;o vorko&#x0364;mmt, wie ich es hin-<lb/>
gegen offenhertzig &#x017F;age, wenn mir etwas &#x017F;chlecht<lb/>
zu &#x017F;eyn du&#x0364;ncket.</p><lb/>
            <p>Jch erinnere mich bey die&#x017F;er Gelegenheit, daß<lb/>
der Verfa&#x017F;&#x017F;er der ju&#x0364;di&#x017F;chen Briefe etwas ange-<lb/>
mercket hat, das ein ziemlich billiges Vorurtheil<lb/>
wider den deut&#x017F;chen Parnaß erwecken muß. Er<lb/>
&#x017F;agt, daß eure Poeten kein gro&#x017F;&#x017F;es An&#x017F;ehn ver-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">D 5</fw><fw place="bottom" type="catch">die-</fw><lb/><note xml:id="a023b" prev="#a023" place="foot">ginale nicht hat. Der Gedancke i&#x017F;t ku&#x0364;hn und edel; aber<lb/>
er i&#x017F;t nicht eben &#x017F;o neu; &#x017F;ondern dem Heil. Dichter David<lb/>
abentlehnet, de&#x017F;&#x017F;en Gedichte eine Quelle des Erhabenen<lb/>
&#x017F;ind. Mithin, wenn ich die Wahrheit ge&#x017F;tehen &#x017F;oll, &#x017F;o<lb/>
deucht mich die gu&#x0364;ntheri&#x017F;che Ausbildung die&#x017F;es Gedanckes<lb/>
zu frech; Jn&#x017F;onderheit kan ich die Zeile,<lb/><cit><quote><hi rendition="#et"><hi rendition="#fr">Ach! Ha&#x017F;t du dieß noch nicht bedacht?</hi></hi></quote></cit><lb/>
die um etwas unver&#x017F;cha&#x0364;mt i&#x017F;t, nicht vertragen.</note><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[57/0057] von den deutſchen Poeten. Ueberſetzung. Grand Dieu, ta juſtice eternelle Veut-elle ſe mettre en courroux Contre moi, figure mortelle, Ombre trop vile pour tes coups? Arme plutôt ta main fatale Contre ta puiſſance infernale, Qui brave la foudre & l’eclair! Mais à quoi bon ce bruit de guerre, Ces dards, ces carreaux, ce tonnerre, Quand ton Ennemi n’eſt qu’un Ver? Vielleicht hat kein Franzoſe noch den Einfall ge- habt, deutſche Verſe in franzoͤſiſche zu uͤberſetzen. Nun bin ich zwar nicht ſo ſtoltz, daß ich mich vor einen Poeten halte, doch iſt mir lieb, euch da- mit zu zeigen, daß ich kein Vorurtheil wider eure Poeten hege, ſondern als gut erkenne und anpreiſe, was mir ſo vorkoͤmmt, wie ich es hin- gegen offenhertzig ſage, wenn mir etwas ſchlecht zu ſeyn duͤncket. Jch erinnere mich bey dieſer Gelegenheit, daß der Verfaſſer der juͤdiſchen Briefe etwas ange- mercket hat, das ein ziemlich billiges Vorurtheil wider den deutſchen Parnaß erwecken muß. Er ſagt, daß eure Poeten kein groſſes Anſehn ver- die- ginale nicht hat. Der Gedancke iſt kuͤhn und edel; aber er iſt nicht eben ſo neu; ſondern dem Heil. Dichter David abentlehnet, deſſen Gedichte eine Quelle des Erhabenen ſind. Mithin, wenn ich die Wahrheit geſtehen ſoll, ſo deucht mich die guͤntheriſche Ausbildung dieſes Gedanckes zu frech; Jnſonderheit kan ich die Zeile, Ach! Haſt du dieß noch nicht bedacht? die um etwas unverſchaͤmt iſt, nicht vertragen. D 5

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung05_1742
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung05_1742/57
Zitationshilfe: [Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 5. Zürich, 1742, S. 57. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung05_1742/57>, abgerufen am 03.12.2024.