[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 5. Zürich, 1742.von den deutschen Poeten. werden ein Wörterbuch gantz durchblätern, da-mit sie eine solche scharfsinnige Ueberschrift her- ausbringen. Man dächte, sie suchten eine ge- schickte, gut lateinische Ausdrückung, aber an statt dessen sehen sie sich nach einem Worte um, darinnen ein L ein M oder ein D ist. Wenn wir demnach irgend eine solche Aufschrift antref- fen, müssen wir in derselben vielmehr das Jahr des Herrn, als den Gedancken suchen. Einer von euren Scribenten (E) hat das Hertz klagt ren das abgeschmackte Wesen dieser Kunst verlachet, und seine ehemahlige Thorheit bekennet hat, womit er die Nahmen vor die Lieder geflochten, und oft um ein A. drey Stunden auf und nieder gegangen: Aber was muß ein fremder von dem allgemeinen Geschmacke der deutschen Na- tion dencken, wenn er auch in den neuesten Sammlungen und Herausgaben der besten deutschen Dichter dergleichen ab- geschmacktes Zeug mit der grösten Sorgfalt aufbehalten sie- het? Denn daß Günther unter den besten Poeten, die nach dem Geschmacke der deutschen Nation sind, einen hohen Rang verdiene, wird niemand zweifeln, wer fol- genden Gottschedischen Ausspruch gelesen hat: "Woher (E) Jch kenne einen andern deutschen Poeten, der sich noch erst neulich einen grossen Nahmen unter seinen Landsleuten erworben hat. Dieser hat sich erkühnet in einer C 3
von den deutſchen Poeten. werden ein Woͤrterbuch gantz durchblaͤtern, da-mit ſie eine ſolche ſcharfſinnige Ueberſchrift her- ausbringen. Man daͤchte, ſie ſuchten eine ge- ſchickte, gut lateiniſche Ausdruͤckung, aber an ſtatt deſſen ſehen ſie ſich nach einem Worte um, darinnen ein L ein M oder ein D iſt. Wenn wir demnach irgend eine ſolche Aufſchrift antref- fen, muͤſſen wir in derſelben vielmehr das Jahr des Herrn, als den Gedancken ſuchen. Einer von euren Scribenten (E) hat das Hertz klagt ren das abgeſchmackte Weſen dieſer Kunſt verlachet, und ſeine ehemahlige Thorheit bekennet hat, womit er die Nahmen vor die Lieder geflochten, und oft um ein A. drey Stunden auf und nieder gegangen: Aber was muß ein fremder von dem allgemeinen Geſchmacke der deutſchen Na- tion dencken, wenn er auch in den neueſten Sammlungen und Herausgaben der beſten deutſchen Dichter dergleichen ab- geſchmacktes Zeug mit der groͤſten Sorgfalt aufbehalten ſie- het? Denn daß Guͤnther unter den beſten Poeten, die nach dem Geſchmacke der deutſchen Nation ſind, einen hohen Rang verdiene, wird niemand zweifeln, wer fol- genden Gottſchediſchen Ausſpruch geleſen hat: „Woher (E) Jch kenne einen andern deutſchen Poeten, der ſich noch erſt neulich einen groſſen Nahmen unter ſeinen Landsleuten erworben hat. Dieſer hat ſich erkuͤhnet in einer C 3
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von den deutſchen Poeten.
werden ein Woͤrterbuch gantz durchblaͤtern, da-
mit ſie eine ſolche ſcharfſinnige Ueberſchrift her-
ausbringen. Man daͤchte, ſie ſuchten eine ge-
ſchickte, gut lateiniſche Ausdruͤckung, aber an
ſtatt deſſen ſehen ſie ſich nach einem Worte um,
darinnen ein L ein M oder ein D iſt. Wenn
wir demnach irgend eine ſolche Aufſchrift antref-
fen, muͤſſen wir in derſelben vielmehr das Jahr
des Herrn, als den Gedancken ſuchen.
Einer von euren Scribenten (E) hat das Hertz
gehabt dieſe Chronogrammata, die er gelehrte
Sinngebuhrten nennet, zu vertheidigen. Er
klagt
(E) Jch kenne einen andern deutſchen Poeten, der
ſich noch erſt neulich einen groſſen Nahmen unter ſeinen
Landsleuten erworben hat. Dieſer hat ſich erkuͤhnet in
einer
ren das abgeſchmackte Weſen dieſer Kunſt verlachet,
und ſeine ehemahlige Thorheit bekennet hat, womit er die
Nahmen vor die Lieder geflochten, und oft um ein A. drey
Stunden auf und nieder gegangen: Aber was muß ein
fremder von dem allgemeinen Geſchmacke der deutſchen Na-
tion dencken, wenn er auch in den neueſten Sammlungen und
Herausgaben der beſten deutſchen Dichter dergleichen ab-
geſchmacktes Zeug mit der groͤſten Sorgfalt aufbehalten ſie-
het? Denn daß Guͤnther unter den beſten Poeten, die
nach dem Geſchmacke der deutſchen Nation ſind, einen
hohen Rang verdiene, wird niemand zweifeln, wer fol-
genden Gottſchediſchen Ausſpruch geleſen hat: „Woher
„koͤmmt es, daß die deutſche Nation, die bey Canitzens
„und bey Guͤnthers Gedichten ſo eifrig geweſen, ſie zu
„kauffen und zu leſen, und andern anzupreiſen, daß man
„in kurtzer Zeit ſo viele Auflagen machen muͤſſen, nur im
„Abſehen auf das eintzige Paradies Milrons ſo phlegma-
„tiſch geworden?„
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