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[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 5. Zürich, 1742.

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von der deutschen Sprache.

Die Deutschen suchen einen Ruhm darinnen,
daß sie ihre Sprache mit fremden Wörtern nicht
vermischen. Vor etlichen Jahren sagte man
nicht vier Worte im Deutschen, daß man nicht
zwey französische hätte mitlauffen lassen. Das
war damahls die herrschende Mode. Die Ge-
lehrten verwarffen diesen Mißbrauch, eine un-
endliche Menge platter Narrenpossen kam zum
Vorschem, womit man ihn lächerlich machen
wollte. Ein grosser Herr machte ein Staats-
geschäfte daraus, (ll) und verbot bey einer star-
ken Geldstraffe, daß französische Wörter unter

die
(ll) Dieser glückliche Umstand für die deutsche Spra-
che hat sich seit der Zeit insoweit geändert, daß der Selbst-
halter der deutschen Heldensprache vor nöthig geachtet hat,
seine angebohrnen Herren und Landesfürsten durch folgen-
den mehr lächerlichen als unehrerbietigen Verweis beschämt
zu machen: "Wenn auch Attila, sagt er, seine unstrei-
"tig barbarische Sprache so geliebet, daß er sie auszu-
"breiten und seinen Ueberwundenen anfzudringen gesucht;
"um wie viel ist dieser wilde Sieger nicht einigen Printzen
"überlegen, die ihre Muttersprache eher ausrotten, als
"ausbreiten; lieber selbst verachten und vergessen, als
"andern anzupreisen und sie fortzupflantzen suchen?
"Wie schlecht muß man nicht von seinem Vaterlande ur-
"theilen, wenn man auch nur in diesem Stücke ein Feind
"desselben seyn, und die Sprache einer Handvoll armse-
"liger Flüchtlinge, die bey uns Brodt und Schutz gesu-
"chet haben, seiner eigenen vorziehen kan: Da doch
"Barbarn auch die Sprache des Landes, welches sie ver-
"lassen hatten, noch beybehalten und beliebet haben."

Sehet Baylens verdeutschtes Wörterbuch im Artickel At-
tilius (F) *
B
[Crit. Samml. V. St.]
von der deutſchen Sprache.

Die Deutſchen ſuchen einen Ruhm darinnen,
daß ſie ihre Sprache mit fremden Woͤrtern nicht
vermiſchen. Vor etlichen Jahren ſagte man
nicht vier Worte im Deutſchen, daß man nicht
zwey franzoͤſiſche haͤtte mitlauffen laſſen. Das
war damahls die herrſchende Mode. Die Ge-
lehrten verwarffen dieſen Mißbrauch, eine un-
endliche Menge platter Narrenpoſſen kam zum
Vorſchem, womit man ihn laͤcherlich machen
wollte. Ein groſſer Herr machte ein Staats-
geſchaͤfte daraus, (ll) und verbot bey einer ſtar-
ken Geldſtraffe, daß franzoͤſiſche Woͤrter unter

die
(ll) Dieſer gluͤckliche Umſtand fuͤr die deutſche Spra-
che hat ſich ſeit der Zeit inſoweit geaͤndert, daß der Selbſt-
halter der deutſchen Heldenſprache vor noͤthig geachtet hat,
ſeine angebohrnen Herren und Landesfuͤrſten durch folgen-
den mehr laͤcherlichen als unehrerbietigen Verweis beſchaͤmt
zu machen: „Wenn auch Attila, ſagt er, ſeine unſtrei-
„tig barbariſche Sprache ſo geliebet, daß er ſie auszu-
„breiten und ſeinen Ueberwundenen anfzudringen geſucht;
„um wie viel iſt dieſer wilde Sieger nicht einigen Printzen
„uͤberlegen, die ihre Mutterſprache eher ausrotten, als
„ausbreiten; lieber ſelbſt verachten und vergeſſen, als
„andern anzupreiſen und ſie fortzupflantzen ſuchen?
„Wie ſchlecht muß man nicht von ſeinem Vaterlande ur-
„theilen, wenn man auch nur in dieſem Stuͤcke ein Feind
„deſſelben ſeyn, und die Sprache einer Handvoll armſe-
„liger Fluͤchtlinge, die bey uns Brodt und Schutz geſu-
„chet haben, ſeiner eigenen vorziehen kan: Da doch
„Barbarn auch die Sprache des Landes, welches ſie ver-
„laſſen hatten, noch beybehalten und beliebet haben.„

Sehet Baylens verdeutſchtes Woͤrterbuch im Artickel At-
tilius (F) *
B
[Crit. Sam̃l. V. St.]
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[17/0017] von der deutſchen Sprache. Die Deutſchen ſuchen einen Ruhm darinnen, daß ſie ihre Sprache mit fremden Woͤrtern nicht vermiſchen. Vor etlichen Jahren ſagte man nicht vier Worte im Deutſchen, daß man nicht zwey franzoͤſiſche haͤtte mitlauffen laſſen. Das war damahls die herrſchende Mode. Die Ge- lehrten verwarffen dieſen Mißbrauch, eine un- endliche Menge platter Narrenpoſſen kam zum Vorſchem, womit man ihn laͤcherlich machen wollte. Ein groſſer Herr machte ein Staats- geſchaͤfte daraus, (ll) und verbot bey einer ſtar- ken Geldſtraffe, daß franzoͤſiſche Woͤrter unter die (ll) Dieſer gluͤckliche Umſtand fuͤr die deutſche Spra- che hat ſich ſeit der Zeit inſoweit geaͤndert, daß der Selbſt- halter der deutſchen Heldenſprache vor noͤthig geachtet hat, ſeine angebohrnen Herren und Landesfuͤrſten durch folgen- den mehr laͤcherlichen als unehrerbietigen Verweis beſchaͤmt zu machen: „Wenn auch Attila, ſagt er, ſeine unſtrei- „tig barbariſche Sprache ſo geliebet, daß er ſie auszu- „breiten und ſeinen Ueberwundenen anfzudringen geſucht; „um wie viel iſt dieſer wilde Sieger nicht einigen Printzen „uͤberlegen, die ihre Mutterſprache eher ausrotten, als „ausbreiten; lieber ſelbſt verachten und vergeſſen, als „andern anzupreiſen und ſie fortzupflantzen ſuchen? „Wie ſchlecht muß man nicht von ſeinem Vaterlande ur- „theilen, wenn man auch nur in dieſem Stuͤcke ein Feind „deſſelben ſeyn, und die Sprache einer Handvoll armſe- „liger Fluͤchtlinge, die bey uns Brodt und Schutz geſu- „chet haben, ſeiner eigenen vorziehen kan: Da doch „Barbarn auch die Sprache des Landes, welches ſie ver- „laſſen hatten, noch beybehalten und beliebet haben.„ Sehet Baylens verdeutſchtes Woͤrterbuch im Artickel At- tilius (F) * B [Crit. Sam̃l. V. St.]

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Zitationshilfe: [Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 5. Zürich, 1742, S. 17. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung05_1742/17>, abgerufen am 22.11.2024.