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[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 4. Zürich, 1742.

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Echo
ben verletzen müssen. Wenn denn gleich diese
Redensart in Opitzens und anderer Schriften zu-
weilen vorkommen sollte, so muß man wissen, daß
man sich iezo nicht mehr an diese Muster zu hal-
ten hat, nachdem Hr. Gottsched die wohlflies-
sende Sprache vor allem Zwange der Gedanken,
und den Schweitzerischen Metaphoren vollkommen
gereiniget hat, indem er diese wieder in ihre
Elemente aufgelöset, und das Vergleichungswört-
gen wie wieder in sein altes Recht eingesetzet hat.
Man wird also inskünftige nicht mehr sagen,
Jch stehe betreten, sondern mit allen redlichen
Hochdeutschen, Jch stehe wie betreten. Oder
wenn man sich nach Art der neumodischen deut-
schen Sprache, die niemahls weniger sagt, als
sie sagen will, etwas vollständiger ausdrücken
wollte, wird es heissen müssen: Jch bin gantz be-
stürtzt, in der grösten Verwirrung, voll Ver-
druß und Scham, und dabey gantz
zweifel-
haft.

Jch stuhnd in der Beredung, d. i. (nemlich
auf Deutsch) in der Meinung.] Bey uns in
der Schweitz hat man niemahls keine Meinung
ohne eine vorhergehende Beredung, daß etwas
seyn, oder nicht seyn könne, welche durch wahr-
scheinliche Gründe und Vorstellungen gewirket
wird. Aber in Deutschland verhält sich die Sache
ganz anders, angesehen die Deutschen nach ihrer
angebohrnen Freyheit sich keine Meinung durch
Gründe aufdringen, oder, welches gleichgültig ist,
sich dazu bereden lassen; sondern sie wehlen ihre
Meinungen nach ihrer freyen Willkür, kraft de-

ren

Echo
ben verletzen muͤſſen. Wenn denn gleich dieſe
Redensart in Opitzens und anderer Schriften zu-
weilen vorkommen ſollte, ſo muß man wiſſen, daß
man ſich iezo nicht mehr an dieſe Muſter zu hal-
ten hat, nachdem Hr. Gottſched die wohlflieſ-
ſende Sprache vor allem Zwange der Gedanken,
und den Schweitzeriſchen Metaphoren vollkommen
gereiniget hat, indem er dieſe wieder in ihre
Elemente aufgeloͤſet, und das Vergleichungswoͤrt-
gen wie wieder in ſein altes Recht eingeſetzet hat.
Man wird alſo inskuͤnftige nicht mehr ſagen,
Jch ſtehe betreten, ſondern mit allen redlichen
Hochdeutſchen, Jch ſtehe wie betreten. Oder
wenn man ſich nach Art der neumodiſchen deut-
ſchen Sprache, die niemahls weniger ſagt, als
ſie ſagen will, etwas vollſtaͤndiger ausdruͤcken
wollte, wird es heiſſen muͤſſen: Jch bin gantz be-
ſtuͤrtzt, in der groͤſten Verwirrung, voll Ver-
druß und Scham, und dabey gantz
zweifel-
haft.

Jch ſtuhnd in der Beredung, d. i. (nemlich
auf Deutſch) in der Meinung.] Bey uns in
der Schweitz hat man niemahls keine Meinung
ohne eine vorhergehende Beredung, daß etwas
ſeyn, oder nicht ſeyn koͤnne, welche durch wahr-
ſcheinliche Gruͤnde und Vorſtellungen gewirket
wird. Aber in Deutſchland verhaͤlt ſich die Sache
ganz anders, angeſehen die Deutſchen nach ihrer
angebohrnen Freyheit ſich keine Meinung durch
Gruͤnde aufdringen, oder, welches gleichguͤltig iſt,
ſich dazu bereden laſſen; ſondern ſie wehlen ihre
Meinungen nach ihrer freyen Willkuͤr, kraft de-

ren
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[76/0078] Echo ben verletzen muͤſſen. Wenn denn gleich dieſe Redensart in Opitzens und anderer Schriften zu- weilen vorkommen ſollte, ſo muß man wiſſen, daß man ſich iezo nicht mehr an dieſe Muſter zu hal- ten hat, nachdem Hr. Gottſched die wohlflieſ- ſende Sprache vor allem Zwange der Gedanken, und den Schweitzeriſchen Metaphoren vollkommen gereiniget hat, indem er dieſe wieder in ihre Elemente aufgeloͤſet, und das Vergleichungswoͤrt- gen wie wieder in ſein altes Recht eingeſetzet hat. Man wird alſo inskuͤnftige nicht mehr ſagen, Jch ſtehe betreten, ſondern mit allen redlichen Hochdeutſchen, Jch ſtehe wie betreten. Oder wenn man ſich nach Art der neumodiſchen deut- ſchen Sprache, die niemahls weniger ſagt, als ſie ſagen will, etwas vollſtaͤndiger ausdruͤcken wollte, wird es heiſſen muͤſſen: Jch bin gantz be- ſtuͤrtzt, in der groͤſten Verwirrung, voll Ver- druß und Scham, und dabey gantz zweifel- haft. Jch ſtuhnd in der Beredung, d. i. (nemlich auf Deutſch) in der Meinung.] Bey uns in der Schweitz hat man niemahls keine Meinung ohne eine vorhergehende Beredung, daß etwas ſeyn, oder nicht ſeyn koͤnne, welche durch wahr- ſcheinliche Gruͤnde und Vorſtellungen gewirket wird. Aber in Deutſchland verhaͤlt ſich die Sache ganz anders, angeſehen die Deutſchen nach ihrer angebohrnen Freyheit ſich keine Meinung durch Gruͤnde aufdringen, oder, welches gleichguͤltig iſt, ſich dazu bereden laſſen; ſondern ſie wehlen ihre Meinungen nach ihrer freyen Willkuͤr, kraft de- ren

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Zitationshilfe: [Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 4. Zürich, 1742, S. 76. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung04_1742/78>, abgerufen am 21.11.2024.