[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 4. Zürich, 1742.Grundriß dig vorgehen. Wer die Gabe der Erfindung be-sitzt, dem wird, wie Hr. Pope wol erinnert hat, die Kunst nicht entstehen, den Stof, den er bey der Hand hat, geschikt zn verarbeiten. Glükselig ist der Poet, bey welchem die Erfindungsgabe und der Ordnungs-Talent einander die Hand bieten. Es ist nichts mehrers nöthig, einen fertigen Le- weitert
Grundriß dig vorgehen. Wer die Gabe der Erfindung be-ſitzt, dem wird, wie Hr. Pope wol erinnert hat, die Kunſt nicht entſtehen, den Stof, den er bey der Hand hat, geſchikt zn verarbeiten. Gluͤkſelig iſt der Poet, bey welchem die Erfindungsgabe und der Ordnungs-Talent einander die Hand bieten. Es iſt nichts mehrers noͤthig, einen fertigen Le- weitert
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Grundriß
dig vorgehen. Wer die Gabe der Erfindung be-
ſitzt, dem wird, wie Hr. Pope wol erinnert hat,
die Kunſt nicht entſtehen, den Stof, den er bey
der Hand hat, geſchikt zn verarbeiten. Gluͤkſelig
iſt der Poet, bey welchem die Erfindungsgabe und
der Ordnungs-Talent einander die Hand bieten.
Es iſt nichts mehrers noͤthig, einen fertigen Le-
ſer auf die Spur zu fuͤhren, was er ſich in An-
ſehung dieſer beyden vornehmſten Eigenſchaften in
einem Gedichte zu verheiſſen habe, als daß ihm
ein Abriß auch nur der erſten Anlage vorgeleget wer-
de. Dieſe zartgezeichneten Zuͤge faſſen das gantze
Werk in einen einzigen Geſichtspuncten, ſo daß
das Auge des Verſtandes daſſelbe mit einem Bli-
ke uͤberſehen, und wie die Materialien, welche die
Erfindungskraft hervorgebracht hat, alſo die Ver-
bindung derſelbigen ohne Muͤhe wahrnehmen und
unterſcheiden kan. Die Geſchiklichkeit, welche der
Poet in der Erfindung der Haupttheile, und Be-
gegniſſe, und der Ordnung derſelben erweiſet,
giebt uns daneben zu ermeſſen, daß Erfindung
und Ordnung in den abſonderlichen Stuͤken und
Umſtaͤnden nicht geringer ſeyn werden. Ein ſum-
mariſcher Auszug entdeket uns den Faden des
Werkes, er fuͤhret uns in daſſelbe hinein, daß
wir den Endzwek und die gantze Verfaſſung in
ihrem Zuſammenhange erbliken; welches in einem
vollſtaͤndigen Werke geſchehen muß, wenn man es
mit Zufriedenheit leſen will. Wenn das Gedich-
te auch von einer Handlung redet, von der uns
nur ein weniges bekannt iſt, das aber die Erfin-
dungskraft durch mannigfaltige Ausdaͤhnungen er-
weitert
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