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[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 3. Zürich, 1742.

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Von der verblümten Schreibart.
Nil agit exemplum litem quod lite resolvit.

Seine Beschuldigungen fallen auf etliche Metapho-
ren, die ihm nicht gefallen. Opitz wird eingeführt,
wie er den Rubens also anredet: O Freund mei-
ner Poesie! Lasse deine Augen über dieses lu-
stige Land hinspatzieren; führe sie längst diesem
grossen Flusse hinauf. etc. Philologus
meint,
er könnte sich, wenn er wollte, über diese Stelle
recht lustig machen. Jch mögte es gern sehen.
Weiß er nicht, daß diese Metapher, prome-
ner ses yeux,
bey den Frantzosen so gemein ist,
daß sie fast nicht mehr für eine Metapher gehalten
wird. Aber auch die deutsche Sprache hat kei-
ne eigene Wörter, die verschiedenen Bewegun-
gen der Augen und Blicke auf die aussern Ge-
genstände auszudrücken, sie ist gezwungen sich
derjenigen Wörter zu bedienen, durch welche die
verschiedene Bewegungen des menschlichen Cör-
pers bezeichnet werden; daher entspringen die ge-
bräuchlichen und auch in täglichen Gesprächen
vorfallende Redensarten, er läßt seine Augen
frey herum gehen; er wirfft die Augen auf
mich; er hat sie auf diesen schönen Gegenstand
angeheftet; er verfolgete mich mit seinen Au-
gen. etc.
Diese Redensarten können ihm neue
Materie sich lustig zu machen vollauf an die Hand
geben. Er kan sich verwundern, wie die Augen
ohne Füsse gehen können; ob man sie ohne Schmer-
zen auf einen Gegenstand anheften könne; ob es
möglich sey, daß ein Mensch seine Augen selbst
wegwerffen werde; etc. Wenn von den Augen

gesagt
B 3
Von der verbluͤmten Schreibart.
Nil agit exemplum litem quod lite reſolvit.

Seine Beſchuldigungen fallen auf etliche Metapho-
ren, die ihm nicht gefallen. Opitz wird eingefuͤhrt,
wie er den Rubens alſo anredet: O Freund mei-
ner Poeſie! Laſſe deine Augen uͤber dieſes lu-
ſtige Land hinſpatzieren; fuͤhre ſie laͤngſt dieſem
groſſen Fluſſe hinauf. ꝛc. Philologus
meint,
er koͤnnte ſich, wenn er wollte, uͤber dieſe Stelle
recht luſtig machen. Jch moͤgte es gern ſehen.
Weiß er nicht, daß dieſe Metapher, prome-
ner ſes yeux,
bey den Frantzoſen ſo gemein iſt,
daß ſie faſt nicht mehr fuͤr eine Metapher gehalten
wird. Aber auch die deutſche Sprache hat kei-
ne eigene Woͤrter, die verſchiedenen Bewegun-
gen der Augen und Blicke auf die auſſern Ge-
genſtaͤnde auszudruͤcken, ſie iſt gezwungen ſich
derjenigen Woͤrter zu bedienen, durch welche die
verſchiedene Bewegungen des menſchlichen Coͤr-
pers bezeichnet werden; daher entſpringen die ge-
braͤuchlichen und auch in taͤglichen Geſpraͤchen
vorfallende Redensarten, er laͤßt ſeine Augen
frey herum gehen; er wirfft die Augen auf
mich; er hat ſie auf dieſen ſchoͤnen Gegenſtand
angeheftet; er verfolgete mich mit ſeinen Au-
gen. ꝛc.
Dieſe Redensarten koͤnnen ihm neue
Materie ſich luſtig zu machen vollauf an die Hand
geben. Er kan ſich verwundern, wie die Augen
ohne Fuͤſſe gehen koͤnnen; ob man ſie ohne Schmer-
zen auf einen Gegenſtand anheften koͤnne; ob es
moͤglich ſey, daß ein Menſch ſeine Augen ſelbſt
wegwerffen werde; ꝛc. Wenn von den Augen

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B 3
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[21/0023] Von der verbluͤmten Schreibart. Nil agit exemplum litem quod lite reſolvit. Seine Beſchuldigungen fallen auf etliche Metapho- ren, die ihm nicht gefallen. Opitz wird eingefuͤhrt, wie er den Rubens alſo anredet: O Freund mei- ner Poeſie! Laſſe deine Augen uͤber dieſes lu- ſtige Land hinſpatzieren; fuͤhre ſie laͤngſt dieſem groſſen Fluſſe hinauf. ꝛc. Philologus meint, er koͤnnte ſich, wenn er wollte, uͤber dieſe Stelle recht luſtig machen. Jch moͤgte es gern ſehen. Weiß er nicht, daß dieſe Metapher, prome- ner ſes yeux, bey den Frantzoſen ſo gemein iſt, daß ſie faſt nicht mehr fuͤr eine Metapher gehalten wird. Aber auch die deutſche Sprache hat kei- ne eigene Woͤrter, die verſchiedenen Bewegun- gen der Augen und Blicke auf die auſſern Ge- genſtaͤnde auszudruͤcken, ſie iſt gezwungen ſich derjenigen Woͤrter zu bedienen, durch welche die verſchiedene Bewegungen des menſchlichen Coͤr- pers bezeichnet werden; daher entſpringen die ge- braͤuchlichen und auch in taͤglichen Geſpraͤchen vorfallende Redensarten, er laͤßt ſeine Augen frey herum gehen; er wirfft die Augen auf mich; er hat ſie auf dieſen ſchoͤnen Gegenſtand angeheftet; er verfolgete mich mit ſeinen Au- gen. ꝛc. Dieſe Redensarten koͤnnen ihm neue Materie ſich luſtig zu machen vollauf an die Hand geben. Er kan ſich verwundern, wie die Augen ohne Fuͤſſe gehen koͤnnen; ob man ſie ohne Schmer- zen auf einen Gegenſtand anheften koͤnne; ob es moͤglich ſey, daß ein Menſch ſeine Augen ſelbſt wegwerffen werde; ꝛc. Wenn von den Augen geſagt B 3

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Zitationshilfe: [Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 3. Zürich, 1742, S. 21. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung03_1742/23>, abgerufen am 24.11.2024.