Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und andrer geistvollen Schriften. Bd. 2. Zürich, 1741.

Bild:
<< vorherige Seite
zum Lob der Tr-ll-rischen Fabeln etc.
"wenig zu dem Ende, das ist, den Mil-
"ton in Ansehen zu bringen, beytragen wer-
"de.
ihres Werths von einander unterschieden. Jch will
nur beyläuftig zwey einzige Merckmahle andeuten, wel-
che dienen können, diesen Unterschied einigermassen zu
erkennen zu geben. Das erste ist, daß das eine Werck
in Leipzig, das andere aber im Schweitzerland verfer-
tiget und gedrückt worden; Kan man nun in Absicht
auf das leztere nicht mit Recht fragen: Sollte auch et-
was gutes aus N-z-r-th kommen? Das andere Merck-
mahl ist, daß dieses eine Critische Dichtkunst überhaupt,
jenes aber eine Critische Dichtkunst für die Deutschen
ist. Es kan zwar das eine Werck so wenig als das an-
dere von jemand gelesen werden, der die deutsche Spra-
che nicht versteht, und in diesem weitläuftigen Sinn
sind beyde Wercke nur für die Deutschen geschrieben:
Aber das Leipzigische Werck ist auf den deutschen Ho-
rizont so geschickt eingerichtet, daß wenn es gleich in
eine andere Sprache übersezt würde, dennoch niemand
als ein gebohrner Deutscher solches verstehen, oder
sich zu Nutze machen könnte: Es leitet das innere
Wesen der Poesie und der Dichtung nicht aus der all-
gemeinen Natur der Menschen überhaupt, sondern
aus der Natur der deutschen Nation ins besondre her:
Und der Verfasser hat aus diesem Grunde gar genau
und mit einer mehr als mathematischen Gewißheit be-
stimmen können, daß es lediglich unmöglich sey, und
daß es mit der Natur der deutschen Nation streite, daß
ein redlicher Deutscher jemahls einen Geschmack an
Miltons Verlohrnem Paradiese finden sollte. Wem
also noch einige Tropfen deutsches Bluts in den Adern
rinnen, der wird den Lohensteinischen Geschmack, der
in dem Miltonischen Gedichte herrschet, verabscheuen,
und
E 2
zum Lob der Tr-ll-riſchen Fabeln ꝛc.
„wenig zu dem Ende, das iſt, den Mil-
„ton in Anſehen zu bringen, beytragen wer-
„de.
ihres Werths von einander unterſchieden. Jch will
nur beylaͤuftig zwey einzige Merckmahle andeuten, wel-
che dienen koͤnnen, dieſen Unterſchied einigermaſſen zu
erkennen zu geben. Das erſte iſt, daß das eine Werck
in Leipzig, das andere aber im Schweitzerland verfer-
tiget und gedruͤckt worden; Kan man nun in Abſicht
auf das leztere nicht mit Recht fragen: Sollte auch et-
was gutes aus N-z-r-th kommen? Das andere Merck-
mahl iſt, daß dieſes eine Critiſche Dichtkunſt uͤberhaupt,
jenes aber eine Critiſche Dichtkunſt fuͤr die Deutſchen
iſt. Es kan zwar das eine Werck ſo wenig als das an-
dere von jemand geleſen werden, der die deutſche Spra-
che nicht verſteht, und in dieſem weitlaͤuftigen Sinn
ſind beyde Wercke nur fuͤr die Deutſchen geſchrieben:
Aber das Leipzigiſche Werck iſt auf den deutſchen Ho-
rizont ſo geſchickt eingerichtet, daß wenn es gleich in
eine andere Sprache uͤberſezt wuͤrde, dennoch niemand
als ein gebohrner Deutſcher ſolches verſtehen, oder
ſich zu Nutze machen koͤnnte: Es leitet das innere
Weſen der Poeſie und der Dichtung nicht aus der all-
gemeinen Natur der Menſchen uͤberhaupt, ſondern
aus der Natur der deutſchen Nation ins beſondre her:
Und der Verfaſſer hat aus dieſem Grunde gar genau
und mit einer mehr als mathematiſchen Gewißheit be-
ſtimmen koͤnnen, daß es lediglich unmoͤglich ſey, und
daß es mit der Natur der deutſchen Nation ſtreite, daß
ein redlicher Deutſcher jemahls einen Geſchmack an
Miltons Verlohrnem Paradieſe finden ſollte. Wem
alſo noch einige Tropfen deutſches Bluts in den Adern
rinnen, der wird den Lohenſteiniſchen Geſchmack, der
in dem Miltoniſchen Gedichte herrſchet, verabſcheuen,
und
E 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <cit>
            <quote><pb facs="#f0069" n="67"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">zum Lob der Tr-ll-ri&#x017F;chen Fabeln &#xA75B;c.</hi></fw><lb/>
&#x201E;wenig zu dem Ende, das i&#x017F;t, den Mil-<lb/>
&#x201E;ton in An&#x017F;ehen zu bringen, beytragen wer-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">&#x201E;de.</fw><lb/><note xml:id="f37" prev="#f36" place="foot" next="#f38">ihres Werths von einander unter&#x017F;chieden. Jch will<lb/>
nur beyla&#x0364;uftig zwey einzige Merckmahle andeuten, wel-<lb/>
che dienen ko&#x0364;nnen, die&#x017F;en Unter&#x017F;chied einigerma&#x017F;&#x017F;en zu<lb/>
erkennen zu geben. Das er&#x017F;te i&#x017F;t, daß das eine Werck<lb/>
in Leipzig, das andere aber im Schweitzerland verfer-<lb/>
tiget und gedru&#x0364;ckt worden; Kan man nun in Ab&#x017F;icht<lb/>
auf das leztere nicht mit Recht fragen: Sollte auch et-<lb/>
was gutes aus N-z-r-th kommen? Das andere Merck-<lb/>
mahl i&#x017F;t, daß die&#x017F;es eine Criti&#x017F;che Dichtkun&#x017F;t u&#x0364;berhaupt,<lb/>
jenes aber eine Criti&#x017F;che Dichtkun&#x017F;t <hi rendition="#fr">fu&#x0364;r die Deut&#x017F;chen</hi><lb/>
i&#x017F;t. Es kan zwar das eine Werck &#x017F;o wenig als das an-<lb/>
dere von jemand gele&#x017F;en werden, der die deut&#x017F;che Spra-<lb/>
che nicht ver&#x017F;teht, und in die&#x017F;em weitla&#x0364;uftigen Sinn<lb/>
&#x017F;ind beyde Wercke nur fu&#x0364;r die Deut&#x017F;chen ge&#x017F;chrieben:<lb/>
Aber das Leipzigi&#x017F;che Werck i&#x017F;t auf den deut&#x017F;chen Ho-<lb/>
rizont &#x017F;o ge&#x017F;chickt eingerichtet, daß wenn es gleich in<lb/>
eine andere Sprache u&#x0364;ber&#x017F;ezt wu&#x0364;rde, dennoch niemand<lb/>
als ein gebohrner Deut&#x017F;cher &#x017F;olches ver&#x017F;tehen, oder<lb/>
&#x017F;ich zu Nutze machen ko&#x0364;nnte: Es leitet das innere<lb/>
We&#x017F;en der Poe&#x017F;ie und der Dichtung nicht aus der all-<lb/>
gemeinen Natur der Men&#x017F;chen u&#x0364;berhaupt, &#x017F;ondern<lb/>
aus der Natur der deut&#x017F;chen Nation ins be&#x017F;ondre her:<lb/>
Und der Verfa&#x017F;&#x017F;er hat aus die&#x017F;em Grunde gar genau<lb/>
und mit einer mehr als mathemati&#x017F;chen Gewißheit be-<lb/>
&#x017F;timmen ko&#x0364;nnen, daß es lediglich unmo&#x0364;glich &#x017F;ey, und<lb/>
daß es mit der Natur der deut&#x017F;chen Nation &#x017F;treite, daß<lb/>
ein redlicher Deut&#x017F;cher jemahls einen Ge&#x017F;chmack an<lb/><hi rendition="#fr">Miltons Verlohrnem Paradie&#x017F;e</hi> finden &#x017F;ollte. Wem<lb/>
al&#x017F;o noch einige Tropfen deut&#x017F;ches Bluts in den Adern<lb/>
rinnen, der wird den Lohen&#x017F;teini&#x017F;chen Ge&#x017F;chmack, der<lb/>
in dem Miltoni&#x017F;chen Gedichte herr&#x017F;chet, verab&#x017F;cheuen,<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">und</fw></note><lb/>
<fw place="bottom" type="sig">E 2</fw><lb/></quote>
          </cit>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[67/0069] zum Lob der Tr-ll-riſchen Fabeln ꝛc. „wenig zu dem Ende, das iſt, den Mil- „ton in Anſehen zu bringen, beytragen wer- „de. ihres Werths von einander unterſchieden. Jch will nur beylaͤuftig zwey einzige Merckmahle andeuten, wel- che dienen koͤnnen, dieſen Unterſchied einigermaſſen zu erkennen zu geben. Das erſte iſt, daß das eine Werck in Leipzig, das andere aber im Schweitzerland verfer- tiget und gedruͤckt worden; Kan man nun in Abſicht auf das leztere nicht mit Recht fragen: Sollte auch et- was gutes aus N-z-r-th kommen? Das andere Merck- mahl iſt, daß dieſes eine Critiſche Dichtkunſt uͤberhaupt, jenes aber eine Critiſche Dichtkunſt fuͤr die Deutſchen iſt. Es kan zwar das eine Werck ſo wenig als das an- dere von jemand geleſen werden, der die deutſche Spra- che nicht verſteht, und in dieſem weitlaͤuftigen Sinn ſind beyde Wercke nur fuͤr die Deutſchen geſchrieben: Aber das Leipzigiſche Werck iſt auf den deutſchen Ho- rizont ſo geſchickt eingerichtet, daß wenn es gleich in eine andere Sprache uͤberſezt wuͤrde, dennoch niemand als ein gebohrner Deutſcher ſolches verſtehen, oder ſich zu Nutze machen koͤnnte: Es leitet das innere Weſen der Poeſie und der Dichtung nicht aus der all- gemeinen Natur der Menſchen uͤberhaupt, ſondern aus der Natur der deutſchen Nation ins beſondre her: Und der Verfaſſer hat aus dieſem Grunde gar genau und mit einer mehr als mathematiſchen Gewißheit be- ſtimmen koͤnnen, daß es lediglich unmoͤglich ſey, und daß es mit der Natur der deutſchen Nation ſtreite, daß ein redlicher Deutſcher jemahls einen Geſchmack an Miltons Verlohrnem Paradieſe finden ſollte. Wem alſo noch einige Tropfen deutſches Bluts in den Adern rinnen, der wird den Lohenſteiniſchen Geſchmack, der in dem Miltoniſchen Gedichte herrſchet, verabſcheuen, und E 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung02_1741
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung02_1741/69
Zitationshilfe: [Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und andrer geistvollen Schriften. Bd. 2. Zürich, 1741, S. 67. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung02_1741/69>, abgerufen am 27.11.2024.