"phoren, und dergleichen, gar füglich geschehen "kan. Dann wann man die Blendungen bey- "seite setzen will, so gehet das heidnische Fabel- "werck, nebst allen gar zu weit hergeholten Fic- "tionen, doch hauptsächlich nur auf Belusti- "gung, wo nicht gar auf eine annehmliche Ver- "derbung der Einbildungskraft, die so zu reden "von Natur Lust zum gaukeln hat, und weil sie "der gemeinen Jdeen leichtlich müde wird, ger- "ne mit beständiger Abwechselung solcher gantz "ausserordentlicher Gemüthsbilder spielen mag. "Was hingegen durch scharfsinnige Gedancken "und wohl angebrachte Realien zur Zierde der "Poesie beygetragen wird, ger eichet mehr zur "Belustigung oder Ausarbeitung des Verstands: "Und da wenigstens nach diesem letztern Stück "die heutige Dichtkunst ja so reich, wo nicht "noch vollkommener ist, als die alte jemahls ge- "wesen, so folget hieraus von selbsten, daß sie "wohl so edel und männlich als jene sey, obgleich "in der Erfindung und gewissen heidnischen Re- "densarten ein und andrer vermeinter Vortheil "verlohren gegangen. Bevorab da der eigent- "lich sogenannte Verstand niemahls leicht zu viel "geschärfet, die Phantasie aber gar bald durch "unzeitige Uebung kann verwirret werden, "und eben daher vielleicht das ehmalige Vorur- "theil bey viel Leuten mag entstanden seyn, daß "grosse Poeten selten mit gantz unverrückten Spar- "ren gefunden würden."
Wir erkennen hieraus genug, daß Amthor von der Kraft des Wunderbaren, die Einbildungs-
kraft
Nachrichten von dem Urſprunge
„phoren, und dergleichen, gar fuͤglich geſchehen „kan. Dann wann man die Blendungen bey- „ſeite ſetzen will, ſo gehet das heidniſche Fabel- „werck, nebſt allen gar zu weit hergeholten Fic- „tionen, doch hauptſaͤchlich nur auf Beluſti- „gung, wo nicht gar auf eine annehmliche Ver- „derbung der Einbildungskraft, die ſo zu reden „von Natur Luſt zum gaukeln hat, und weil ſie „der gemeinen Jdeen leichtlich muͤde wird, ger- „ne mit beſtaͤndiger Abwechſelung ſolcher gantz „auſſerordentlicher Gemuͤthsbilder ſpielen mag. „Was hingegen durch ſcharfſinnige Gedancken „und wohl angebrachte Realien zur Zierde der „Poeſie beygetragen wird, ger eichet mehr zur „Beluſtigung oder Ausarbeitung des Verſtands: „Und da wenigſtens nach dieſem letztern Stuͤck „die heutige Dichtkunſt ja ſo reich, wo nicht „noch vollkommener iſt, als die alte jemahls ge- „weſen, ſo folget hieraus von ſelbſten, daß ſie „wohl ſo edel und maͤnnlich als jene ſey, obgleich „in der Erfindung und gewiſſen heidniſchen Re- „densarten ein und andrer vermeinter Vortheil „verlohren gegangen. Bevorab da der eigent- „lich ſogenannte Verſtand niemahls leicht zu viel „geſchaͤrfet, die Phantaſie aber gar bald durch „unzeitige Uebung kann verwirret werden, „und eben daher vielleicht das ehmalige Vorur- „theil bey viel Leuten mag entſtanden ſeyn, daß „groſſe Poeten ſelten mit gantz unverruͤckten Spar- „ren gefunden wuͤrden.„
Wir erkennen hieraus genug, daß Amthor von der Kraft des Wunderbaren, die Einbildungs-
kraft
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Nachrichten von dem Urſprunge
„phoren, und dergleichen, gar fuͤglich geſchehen
„kan. Dann wann man die Blendungen bey-
„ſeite ſetzen will, ſo gehet das heidniſche Fabel-
„werck, nebſt allen gar zu weit hergeholten Fic-
„tionen, doch hauptſaͤchlich nur auf Beluſti-
„gung, wo nicht gar auf eine annehmliche Ver-
„derbung der Einbildungskraft, die ſo zu reden
„von Natur Luſt zum gaukeln hat, und weil ſie
„der gemeinen Jdeen leichtlich muͤde wird, ger-
„ne mit beſtaͤndiger Abwechſelung ſolcher gantz
„auſſerordentlicher Gemuͤthsbilder ſpielen mag.
„Was hingegen durch ſcharfſinnige Gedancken
„und wohl angebrachte Realien zur Zierde der
„Poeſie beygetragen wird, ger eichet mehr zur
„Beluſtigung oder Ausarbeitung des Verſtands:
„Und da wenigſtens nach dieſem letztern Stuͤck
„die heutige Dichtkunſt ja ſo reich, wo nicht
„noch vollkommener iſt, als die alte jemahls ge-
„weſen, ſo folget hieraus von ſelbſten, daß ſie
„wohl ſo edel und maͤnnlich als jene ſey, obgleich
„in der Erfindung und gewiſſen heidniſchen Re-
„densarten ein und andrer vermeinter Vortheil
„verlohren gegangen. Bevorab da der eigent-
„lich ſogenannte Verſtand niemahls leicht zu viel
„geſchaͤrfet, die Phantaſie aber gar bald durch
„unzeitige Uebung kann verwirret werden,
„und eben daher vielleicht das ehmalige Vorur-
„theil bey viel Leuten mag entſtanden ſeyn, daß
„groſſe Poeten ſelten mit gantz unverruͤckten Spar-
„ren gefunden wuͤrden.„
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[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und andrer geistvollen Schriften. Bd. 2. Zürich, 1741, S. 128. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung02_1741/130>, abgerufen am 16.02.2025.
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