Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und andrer geistvollen Schriften. Bd. 2. Zürich, 1741.

Bild:
<< vorherige Seite
der Critik bey den Deutschen.
"dacht, oder was die wenigste ihrer Leser in ih-
"nen gesucht haben. Ein wenig Zeit hoffe ich,
"wird diese Anmerckung in ihr rechtes Licht sezen,
"und ihr den Neid und Haß benehmen, den sie
"sich hierdurch bey unbedachtsamen und parthei-
"schen Lesern anizo ohne Zweifel erwecken wird."

Wernike war der einzige zu seiner Zeit, der die
Poesie in diesem wahren Lichte erkannte; ich fin-
de insbesondere nicht, daß jemand vor ihm dasje-
nige angepriesen habe, was er gar geschickt die
Meinungen, und die Franzosen les Sentimens,
heissen. Er ist daneben der erste, der die Ein-
führung der gleichgeltenden Wörter bestraffet hat,
Bl. 93. der erste, der die poetische Zahl darinnen
grossentheils gefunden, daß die Wendung und
der Fall der Verse unterschiedlich sey, und daß
die Verse zwar fliessen, aber einer dem andern
nicht allzeit gleich fliessen müsse, Bl. 99. der erste,
der die Schreibart, die von den Franzosen Bur-
lesque
genannt wird, welche er Knittelgedichte
heißt, in der rechten Materie angewendet, und
das unterscheidende Zeichen, (wie er Bl. 209.
das Wort Character giebt,) dieser Art Gedichte
sowohl in den Reimen Bl. 331. als in den Gedan-
ken genau bestimmt hat, der erste der von den Ei-
genschaften des guten Witzes mit Begründniß ge-
schrieben hat. etc.

Das Bekenntniß, das dieser satyrische Kunst-
richter hier und dar seiner eigenen Fehler halber
thut, ist eben so liebenswürdig, als die Verbes-
serung derselben, die er zugleich hinzufüget, lehr-
reich ist. Er hatte von einem Kind und einem

Grei-
der Critik bey den Deutſchen.
„dacht, oder was die wenigſte ihrer Leſer in ih-
„nen geſucht haben. Ein wenig Zeit hoffe ich,
„wird dieſe Anmerckung in ihr rechtes Licht ſezen,
„und ihr den Neid und Haß benehmen, den ſie
„ſich hierdurch bey unbedachtſamen und parthei-
„ſchen Leſern anizo ohne Zweifel erwecken wird.„

Wernike war der einzige zu ſeiner Zeit, der die
Poeſie in dieſem wahren Lichte erkannte; ich fin-
de insbeſondere nicht, daß jemand vor ihm dasje-
nige angeprieſen habe, was er gar geſchickt die
Meinungen, und die Franzoſen les Sentimens,
heiſſen. Er iſt daneben der erſte, der die Ein-
fuͤhrung der gleichgeltenden Woͤrter beſtraffet hat,
Bl. 93. der erſte, der die poetiſche Zahl darinnen
groſſentheils gefunden, daß die Wendung und
der Fall der Verſe unterſchiedlich ſey, und daß
die Verſe zwar flieſſen, aber einer dem andern
nicht allzeit gleich flieſſen muͤſſe, Bl. 99. der erſte,
der die Schreibart, die von den Franzoſen Bur-
lesque
genannt wird, welche er Knittelgedichte
heißt, in der rechten Materie angewendet, und
das unterſcheidende Zeichen, (wie er Bl. 209.
das Wort Character giebt,) dieſer Art Gedichte
ſowohl in den Reimen Bl. 331. als in den Gedan-
ken genau beſtimmt hat, der erſte der von den Ei-
genſchaften des guten Witzes mit Begruͤndniß ge-
ſchrieben hat. ꝛc.

Das Bekenntniß, das dieſer ſatyriſche Kunſt-
richter hier und dar ſeiner eigenen Fehler halber
thut, iſt eben ſo liebenswuͤrdig, als die Verbeſ-
ſerung derſelben, die er zugleich hinzufuͤget, lehr-
reich iſt. Er hatte von einem Kind und einem

Grei-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <cit>
            <quote><pb facs="#f0111" n="109"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">der Critik bey den Deut&#x017F;chen.</hi></fw><lb/>
&#x201E;dacht, oder was die wenig&#x017F;te ihrer Le&#x017F;er in ih-<lb/>
&#x201E;nen ge&#x017F;ucht haben. Ein wenig Zeit hoffe ich,<lb/>
&#x201E;wird die&#x017F;e Anmerckung in ihr rechtes Licht &#x017F;ezen,<lb/>
&#x201E;und ihr den Neid und Haß benehmen, den &#x017F;ie<lb/>
&#x201E;&#x017F;ich hierdurch bey unbedacht&#x017F;amen und parthei-<lb/>
&#x201E;&#x017F;chen Le&#x017F;ern anizo ohne Zweifel erwecken wird.&#x201E;</quote>
          </cit><lb/>
          <p>Wernike war der einzige zu &#x017F;einer Zeit, der die<lb/>
Poe&#x017F;ie in die&#x017F;em wahren Lichte erkannte; ich fin-<lb/>
de insbe&#x017F;ondere nicht, daß jemand vor ihm dasje-<lb/>
nige angeprie&#x017F;en habe, was er gar ge&#x017F;chickt die<lb/><hi rendition="#fr">Meinungen,</hi> und die Franzo&#x017F;en <hi rendition="#aq">les Sentimens,</hi><lb/>
hei&#x017F;&#x017F;en. Er i&#x017F;t daneben der er&#x017F;te, der die Ein-<lb/>
fu&#x0364;hrung der gleichgeltenden Wo&#x0364;rter be&#x017F;traffet hat,<lb/>
Bl. 93. der er&#x017F;te, der die poeti&#x017F;che Zahl darinnen<lb/>
gro&#x017F;&#x017F;entheils gefunden, daß die Wendung und<lb/>
der Fall der Ver&#x017F;e unter&#x017F;chiedlich &#x017F;ey, und daß<lb/>
die Ver&#x017F;e zwar flie&#x017F;&#x017F;en, aber einer dem andern<lb/>
nicht allzeit gleich flie&#x017F;&#x017F;en mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e, Bl. 99. der er&#x017F;te,<lb/>
der die Schreibart, die von den Franzo&#x017F;en <hi rendition="#aq">Bur-<lb/>
lesque</hi> genannt wird, welche er Knittelgedichte<lb/>
heißt, in der rechten Materie angewendet, und<lb/>
das unter&#x017F;cheidende Zeichen, (wie er Bl. 209.<lb/>
das Wort Character giebt,) die&#x017F;er Art Gedichte<lb/>
&#x017F;owohl in den Reimen Bl. 331. als in den Gedan-<lb/>
ken genau be&#x017F;timmt hat, der er&#x017F;te der von den Ei-<lb/>
gen&#x017F;chaften des guten Witzes mit Begru&#x0364;ndniß ge-<lb/>
&#x017F;chrieben hat. &#xA75B;c.</p><lb/>
          <p>Das Bekenntniß, das die&#x017F;er &#x017F;atyri&#x017F;che Kun&#x017F;t-<lb/>
richter hier und dar &#x017F;einer eigenen Fehler halber<lb/>
thut, i&#x017F;t eben &#x017F;o liebenswu&#x0364;rdig, als die Verbe&#x017F;-<lb/>
&#x017F;erung der&#x017F;elben, die er zugleich hinzufu&#x0364;get, lehr-<lb/>
reich i&#x017F;t. Er hatte von einem Kind und einem<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Grei-</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[109/0111] der Critik bey den Deutſchen. „dacht, oder was die wenigſte ihrer Leſer in ih- „nen geſucht haben. Ein wenig Zeit hoffe ich, „wird dieſe Anmerckung in ihr rechtes Licht ſezen, „und ihr den Neid und Haß benehmen, den ſie „ſich hierdurch bey unbedachtſamen und parthei- „ſchen Leſern anizo ohne Zweifel erwecken wird.„ Wernike war der einzige zu ſeiner Zeit, der die Poeſie in dieſem wahren Lichte erkannte; ich fin- de insbeſondere nicht, daß jemand vor ihm dasje- nige angeprieſen habe, was er gar geſchickt die Meinungen, und die Franzoſen les Sentimens, heiſſen. Er iſt daneben der erſte, der die Ein- fuͤhrung der gleichgeltenden Woͤrter beſtraffet hat, Bl. 93. der erſte, der die poetiſche Zahl darinnen groſſentheils gefunden, daß die Wendung und der Fall der Verſe unterſchiedlich ſey, und daß die Verſe zwar flieſſen, aber einer dem andern nicht allzeit gleich flieſſen muͤſſe, Bl. 99. der erſte, der die Schreibart, die von den Franzoſen Bur- lesque genannt wird, welche er Knittelgedichte heißt, in der rechten Materie angewendet, und das unterſcheidende Zeichen, (wie er Bl. 209. das Wort Character giebt,) dieſer Art Gedichte ſowohl in den Reimen Bl. 331. als in den Gedan- ken genau beſtimmt hat, der erſte der von den Ei- genſchaften des guten Witzes mit Begruͤndniß ge- ſchrieben hat. ꝛc. Das Bekenntniß, das dieſer ſatyriſche Kunſt- richter hier und dar ſeiner eigenen Fehler halber thut, iſt eben ſo liebenswuͤrdig, als die Verbeſ- ſerung derſelben, die er zugleich hinzufuͤget, lehr- reich iſt. Er hatte von einem Kind und einem Grei-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung02_1741
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung02_1741/111
Zitationshilfe: [Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und andrer geistvollen Schriften. Bd. 2. Zürich, 1741, S. 109. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung02_1741/111>, abgerufen am 03.05.2024.