Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und andrer geistvollen Schriften. Bd. 1. Zürich, 1741.

Bild:
<< vorherige Seite
Versuch von den Eigenschaften

Siehe wie Dionysius des Homers Gedanken
erheitert, wie er neue Schönheiten aus jeder Zei-
le zieht. (o)

Jn dem lebhaften Petronius spielen Kunst und
Einbildungskraft; das Wissen eines Gelehrten
mit dem ungezwungenen Wesen eines Hofmanns.

Jn des ansehnlichen Quintilianus reichem Wer-
ke finden wir die richtigsten Regeln mit der deut-
lichsten Lehrart vereinigt. So pflegen wir nützli-
che Wafen in einem Zeughause geschickt einzuthei-
len und angenehm zu ordnen; damit sie auf die-
se Weise nicht nur unser Auge vergnugen, son-
dern auch im Nothfall desto eher gefunden wer-
den können.

Den erhabenen Longin haben alle Musen be-
geistert, und ihren Criticum mit der Glut eines
Poeten belebt. Er ist ein Richter voller Feuer,
und ein Eiferer in seinem Amte. Er urtheilt mit
Heftigkeit, aber allezeit gerecht. Sein eigenes
Exempel bekräftiget alle seine Geseze, und er ist
selber das grosse Erhabene, das er abbildet.

Also führten die Critici in einer langen Folge
eine gerechte Regierung. Sie beschränkten die
Ausgelassenheit, und ordneten die nützlichsten Ge-
seze. Die Wissenschaften und Rom wuchsen zu-
gleich in ihrer Herrschaft; und wohin die Adler
flogen, da folgten ihnen immer die Künste nach.
Aber auch beyde wurden zulezt von einerley Fein-
den zerstöret, und eine gleiche Zeit sah Rom und
die Wissenschaften fallen. Der Aberglaube ver-

band
(o) Dionysius Halicarnasseius.
Verſuch von den Eigenſchaften

Siehe wie Dionyſius des Homers Gedanken
erheitert, wie er neue Schoͤnheiten aus jeder Zei-
le zieht. (o)

Jn dem lebhaften Petronius ſpielen Kunſt und
Einbildungskraft; das Wiſſen eines Gelehrten
mit dem ungezwungenen Weſen eines Hofmanns.

Jn des anſehnlichen Quintilianus reichem Wer-
ke finden wir die richtigſten Regeln mit der deut-
lichſten Lehrart vereinigt. So pflegen wir nuͤtzli-
che Wafen in einem Zeughauſe geſchickt einzuthei-
len und angenehm zu ordnen; damit ſie auf die-
ſe Weiſe nicht nur unſer Auge vergnugen, ſon-
dern auch im Nothfall deſto eher gefunden wer-
den koͤnnen.

Den erhabenen Longin haben alle Muſen be-
geiſtert, und ihren Criticum mit der Glut eines
Poeten belebt. Er iſt ein Richter voller Feuer,
und ein Eiferer in ſeinem Amte. Er urtheilt mit
Heftigkeit, aber allezeit gerecht. Sein eigenes
Exempel bekraͤftiget alle ſeine Geſeze, und er iſt
ſelber das groſſe Erhabene, das er abbildet.

Alſo fuͤhrten die Critici in einer langen Folge
eine gerechte Regierung. Sie beſchraͤnkten die
Ausgelaſſenheit, und ordneten die nuͤtzlichſten Ge-
ſeze. Die Wiſſenſchaften und Rom wuchſen zu-
gleich in ihrer Herrſchaft; und wohin die Adler
flogen, da folgten ihnen immer die Kuͤnſte nach.
Aber auch beyde wurden zulezt von einerley Fein-
den zerſtoͤret, und eine gleiche Zeit ſah Rom und
die Wiſſenſchaften fallen. Der Aberglaube ver-

band
(o) Dionyſius Halicarnaſſeius.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0098" n="82"/>
        <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Ver&#x017F;uch von den Eigen&#x017F;chaften</hi> </fw><lb/>
        <p>Siehe wie Diony&#x017F;ius des Homers Gedanken<lb/>
erheitert, wie er neue Scho&#x0364;nheiten aus jeder Zei-<lb/>
le zieht. <note place="foot" n="(o)"><hi rendition="#aq">Diony&#x017F;ius Halicarna&#x017F;&#x017F;eius.</hi></note></p><lb/>
        <p>Jn dem lebhaften Petronius &#x017F;pielen Kun&#x017F;t und<lb/>
Einbildungskraft; das Wi&#x017F;&#x017F;en eines Gelehrten<lb/>
mit dem ungezwungenen We&#x017F;en eines Hofmanns.</p><lb/>
        <p>Jn des an&#x017F;ehnlichen Quintilianus reichem Wer-<lb/>
ke finden wir die richtig&#x017F;ten Regeln mit der deut-<lb/>
lich&#x017F;ten Lehrart vereinigt. So pflegen wir nu&#x0364;tzli-<lb/>
che Wafen in einem Zeughau&#x017F;e ge&#x017F;chickt einzuthei-<lb/>
len und angenehm zu ordnen; damit &#x017F;ie auf die-<lb/>
&#x017F;e Wei&#x017F;e nicht nur un&#x017F;er Auge vergnugen, &#x017F;on-<lb/>
dern auch im Nothfall de&#x017F;to eher gefunden wer-<lb/>
den ko&#x0364;nnen.</p><lb/>
        <p>Den erhabenen Longin haben alle Mu&#x017F;en be-<lb/>
gei&#x017F;tert, und ihren Criticum mit der Glut eines<lb/>
Poeten belebt. Er i&#x017F;t ein Richter voller Feuer,<lb/>
und ein Eiferer in &#x017F;einem Amte. Er urtheilt mit<lb/>
Heftigkeit, aber allezeit gerecht. Sein eigenes<lb/>
Exempel bekra&#x0364;ftiget alle &#x017F;eine Ge&#x017F;eze, und er i&#x017F;t<lb/>
&#x017F;elber das gro&#x017F;&#x017F;e Erhabene, das er abbildet.</p><lb/>
        <p>Al&#x017F;o fu&#x0364;hrten die Critici in einer langen Folge<lb/>
eine gerechte Regierung. Sie be&#x017F;chra&#x0364;nkten die<lb/>
Ausgela&#x017F;&#x017F;enheit, und ordneten die nu&#x0364;tzlich&#x017F;ten Ge-<lb/>
&#x017F;eze. Die Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaften und Rom wuch&#x017F;en zu-<lb/>
gleich in ihrer Herr&#x017F;chaft; und wohin die Adler<lb/>
flogen, da folgten ihnen immer die Ku&#x0364;n&#x017F;te nach.<lb/>
Aber auch beyde wurden zulezt von einerley Fein-<lb/>
den zer&#x017F;to&#x0364;ret, und eine gleiche Zeit &#x017F;ah Rom und<lb/>
die Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaften fallen. Der Aberglaube ver-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">band</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[82/0098] Verſuch von den Eigenſchaften Siehe wie Dionyſius des Homers Gedanken erheitert, wie er neue Schoͤnheiten aus jeder Zei- le zieht. (o) Jn dem lebhaften Petronius ſpielen Kunſt und Einbildungskraft; das Wiſſen eines Gelehrten mit dem ungezwungenen Weſen eines Hofmanns. Jn des anſehnlichen Quintilianus reichem Wer- ke finden wir die richtigſten Regeln mit der deut- lichſten Lehrart vereinigt. So pflegen wir nuͤtzli- che Wafen in einem Zeughauſe geſchickt einzuthei- len und angenehm zu ordnen; damit ſie auf die- ſe Weiſe nicht nur unſer Auge vergnugen, ſon- dern auch im Nothfall deſto eher gefunden wer- den koͤnnen. Den erhabenen Longin haben alle Muſen be- geiſtert, und ihren Criticum mit der Glut eines Poeten belebt. Er iſt ein Richter voller Feuer, und ein Eiferer in ſeinem Amte. Er urtheilt mit Heftigkeit, aber allezeit gerecht. Sein eigenes Exempel bekraͤftiget alle ſeine Geſeze, und er iſt ſelber das groſſe Erhabene, das er abbildet. Alſo fuͤhrten die Critici in einer langen Folge eine gerechte Regierung. Sie beſchraͤnkten die Ausgelaſſenheit, und ordneten die nuͤtzlichſten Ge- ſeze. Die Wiſſenſchaften und Rom wuchſen zu- gleich in ihrer Herrſchaft; und wohin die Adler flogen, da folgten ihnen immer die Kuͤnſte nach. Aber auch beyde wurden zulezt von einerley Fein- den zerſtoͤret, und eine gleiche Zeit ſah Rom und die Wiſſenſchaften fallen. Der Aberglaube ver- band (o) Dionyſius Halicarnaſſeius.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung01_1741
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung01_1741/98
Zitationshilfe: [Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und andrer geistvollen Schriften. Bd. 1. Zürich, 1741, S. 82. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung01_1741/98>, abgerufen am 28.04.2024.