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[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und andrer geistvollen Schriften. Bd. 1. Zürich, 1741.

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Versuch von den Eigenschaften

Seyd niemals sparsam in Mittheilung eurer
Meinung. Kein Geitz ist häßlicher, als wenn
man mit der Vernunft geizig ist. Hütet euch daß
keine niederträchtige Gefälligkeit eure Aufrichtigkeit
befleke, und seyd nie so höflich, daß ihr darüber
ungerecht würdet. Jhr dürft euch nicht fürchten
einen Weisen so leicht zu erzürnen, denn niemand
läßt sich lieber tadeln, als der gerühmt zu wer-
den verdienet.

Doch o wie gut wäre es, wenn ein Kunstrich-
ter sich allezeit diese Freyheit ausnehmen dürfte!
Aber dem Appius steigt bey jedem Worte, das
ihr sprecht, das Feuer in die Stirne. Er besitzt
sich nimmer, und drohet bereits mit fürchterlichen
Bliken, wie ein grimmiger Tyrann auf einer al-
ten Tapezerey. Fürchtet euch ja einen vorneh-
men Thoren anzutasten, der die Freyheit hat,
ohne Einrede dumm zu seyn. Ein solcher wird,
wenn es ihm gefällig ist, ohne Geist und Witz
zum Poeten, und darf sich graduiren lassen, ohne
etwas zu wissen. Gefährliche Wahrheiten muß
man einem ohnglücklichen Satirenschreiber, und
Schmeicheleyen einem eckelhaften Dedications-
schmiede überlassen, dessen Lobsprüchen die Welt
nicht mehr Glauben zustellt, als seinen Verspre-
chungen, das Bücherschmieren aufzugeben. Es
ist zuweilen am besten, wenn wir mit unsern
Strafpredigten inhalten und dumme Köpfe in Lie-
be bey ihrer Einbildung lassen, denn wer kan so
lange schmälen, als sie schreiben können? Sie
sind wie Töpfe. Sie fangen an zu sumsen, und
lassen in ihrem schläfrigen Laufe sich so lange herum

peit-
Verſuch von den Eigenſchaften

Seyd niemals ſparſam in Mittheilung eurer
Meinung. Kein Geitz iſt haͤßlicher, als wenn
man mit der Vernunft geizig iſt. Huͤtet euch daß
keine niedertraͤchtige Gefaͤlligkeit eure Aufrichtigkeit
befleke, und ſeyd nie ſo hoͤflich, daß ihr daruͤber
ungerecht wuͤrdet. Jhr duͤrft euch nicht fuͤrchten
einen Weiſen ſo leicht zu erzuͤrnen, denn niemand
laͤßt ſich lieber tadeln, als der geruͤhmt zu wer-
den verdienet.

Doch o wie gut waͤre es, wenn ein Kunſtrich-
ter ſich allezeit dieſe Freyheit ausnehmen duͤrfte!
Aber dem Appius ſteigt bey jedem Worte, das
ihr ſprecht, das Feuer in die Stirne. Er beſitzt
ſich nimmer, und drohet bereits mit fuͤrchterlichen
Bliken, wie ein grimmiger Tyrann auf einer al-
ten Tapezerey. Fuͤrchtet euch ja einen vorneh-
men Thoren anzutaſten, der die Freyheit hat,
ohne Einrede dumm zu ſeyn. Ein ſolcher wird,
wenn es ihm gefaͤllig iſt, ohne Geiſt und Witz
zum Poeten, und darf ſich graduiren laſſen, ohne
etwas zu wiſſen. Gefaͤhrliche Wahrheiten muß
man einem ohngluͤcklichen Satirenſchreiber, und
Schmeicheleyen einem eckelhaften Dedications-
ſchmiede uͤberlaſſen, deſſen Lobſpruͤchen die Welt
nicht mehr Glauben zuſtellt, als ſeinen Verſpre-
chungen, das Buͤcherſchmieren aufzugeben. Es
iſt zuweilen am beſten, wenn wir mit unſern
Strafpredigten inhalten und dumme Koͤpfe in Lie-
be bey ihrer Einbildung laſſen, denn wer kan ſo
lange ſchmaͤlen, als ſie ſchreiben koͤnnen? Sie
ſind wie Toͤpfe. Sie fangen an zu ſumſen, und
laſſen in ihrem ſchlaͤfrigen Laufe ſich ſo lange herum

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[78/0094] Verſuch von den Eigenſchaften Seyd niemals ſparſam in Mittheilung eurer Meinung. Kein Geitz iſt haͤßlicher, als wenn man mit der Vernunft geizig iſt. Huͤtet euch daß keine niedertraͤchtige Gefaͤlligkeit eure Aufrichtigkeit befleke, und ſeyd nie ſo hoͤflich, daß ihr daruͤber ungerecht wuͤrdet. Jhr duͤrft euch nicht fuͤrchten einen Weiſen ſo leicht zu erzuͤrnen, denn niemand laͤßt ſich lieber tadeln, als der geruͤhmt zu wer- den verdienet. Doch o wie gut waͤre es, wenn ein Kunſtrich- ter ſich allezeit dieſe Freyheit ausnehmen duͤrfte! Aber dem Appius ſteigt bey jedem Worte, das ihr ſprecht, das Feuer in die Stirne. Er beſitzt ſich nimmer, und drohet bereits mit fuͤrchterlichen Bliken, wie ein grimmiger Tyrann auf einer al- ten Tapezerey. Fuͤrchtet euch ja einen vorneh- men Thoren anzutaſten, der die Freyheit hat, ohne Einrede dumm zu ſeyn. Ein ſolcher wird, wenn es ihm gefaͤllig iſt, ohne Geiſt und Witz zum Poeten, und darf ſich graduiren laſſen, ohne etwas zu wiſſen. Gefaͤhrliche Wahrheiten muß man einem ohngluͤcklichen Satirenſchreiber, und Schmeicheleyen einem eckelhaften Dedications- ſchmiede uͤberlaſſen, deſſen Lobſpruͤchen die Welt nicht mehr Glauben zuſtellt, als ſeinen Verſpre- chungen, das Buͤcherſchmieren aufzugeben. Es iſt zuweilen am beſten, wenn wir mit unſern Strafpredigten inhalten und dumme Koͤpfe in Lie- be bey ihrer Einbildung laſſen, denn wer kan ſo lange ſchmaͤlen, als ſie ſchreiben koͤnnen? Sie ſind wie Toͤpfe. Sie fangen an zu ſumſen, und laſſen in ihrem ſchlaͤfrigen Laufe ſich ſo lange herum peit-

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Zitationshilfe: [Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und andrer geistvollen Schriften. Bd. 1. Zürich, 1741, S. 78. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung01_1741/94>, abgerufen am 28.04.2024.