[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und andrer geistvollen Schriften. Bd. 1. Zürich, 1741.Versuch von den Eigenschaften Unkraut und verbreitete sich bald allenthalben he-rum. Da war die Liebe die einige Beschäftigung eines müssigen Monarchen, der selten im Rathe, und niemals in den Waffen erschien. Buhlerin- nen regierten den Staat, und die Staats-Be- dienten schrieben Comödien. Man gab dem Wi- ze Besoldung und junge Lords waren damit verse- hen. Die Schönen sassen entzükt bey der Oper eines Hofmanns und keine Maske schied unverbes- sert davon. Kein schamhafter Windfächer wur- de mehr empor gehoben, und Jungfrauen lächel- ten über das, worüber sie zuvor errötheten. Die solgende Ausgelassenheit einer fremden Regierung öffnete allen Hefen des frechen Socinus den Damm. Dann wurde zuerst die Sittenlehre der Belgier erhoben. Wir bekamen ihre Religion und sie unser Gold. Priester ohne Glauben re- formierten die Nation, und lehrten eine angeneh- mere Weise seelig zu werden, bey welcher freye Unterthanen des Himmels auch ihre Rechte ver- theidigen dürften. Denn sonst hätte Gott selbsten zu Absolut scheinen mögen. Man gewöhnte die Kanzeln mit ihren heiligen Satiren sparsamer zu thönen, und die Laster wunderten sich ihre Schmeichler darauf zu erbliken. Hiedurch wur- den unsere Titanische Witzlinge so kühne, den Himmel zu stürmen, und die Pressen ächzeten ü- ber erlaubten Gotteslästerungen. Auf diese Unge- heure schiesset eure Pfeile, ihr Bücherrichter. Auf diese richtet euren Donner und erschöpfet alle eure Wuth. Doch meidet anbey den Fehler de- rer, die, zum Aergernisse seltsam, einen Scribenten mit
Verſuch von den Eigenſchaften Unkraut und verbreitete ſich bald allenthalben he-rum. Da war die Liebe die einige Beſchaͤftigung eines muͤſſigen Monarchen, der ſelten im Rathe, und niemals in den Waffen erſchien. Buhlerin- nen regierten den Staat, und die Staats-Be- dienten ſchrieben Comoͤdien. Man gab dem Wi- ze Beſoldung und junge Lords waren damit verſe- hen. Die Schoͤnen ſaſſen entzuͤkt bey der Oper eines Hofmanns und keine Maſke ſchied unverbeſ- ſert davon. Kein ſchamhafter Windfaͤcher wur- de mehr empor gehoben, und Jungfrauen laͤchel- ten uͤber das, woruͤber ſie zuvor erroͤtheten. Die ſolgende Ausgelaſſenheit einer fremden Regierung oͤffnete allen Hefen des frechen Socinus den Damm. Dann wurde zuerſt die Sittenlehre der Belgier erhoben. Wir bekamen ihre Religion und ſie unſer Gold. Prieſter ohne Glauben re- formierten die Nation, und lehrten eine angeneh- mere Weiſe ſeelig zu werden, bey welcher freye Unterthanen des Himmels auch ihre Rechte ver- theidigen duͤrften. Denn ſonſt haͤtte Gott ſelbſten zu Abſolut ſcheinen moͤgen. Man gewoͤhnte die Kanzeln mit ihren heiligen Satiren ſparſamer zu thoͤnen, und die Laſter wunderten ſich ihre Schmeichler darauf zu erbliken. Hiedurch wur- den unſere Titaniſche Witzlinge ſo kuͤhne, den Himmel zu ſtuͤrmen, und die Preſſen aͤchzeten uͤ- ber erlaubten Gotteslaͤſterungen. Auf dieſe Unge- heure ſchieſſet eure Pfeile, ihr Buͤcherrichter. Auf dieſe richtet euren Donner und erſchoͤpfet alle eure Wuth. Doch meidet anbey den Fehler de- rer, die, zum Aergerniſſe ſeltſam, einen Scribenten mit
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Verſuch von den Eigenſchaften
Unkraut und verbreitete ſich bald allenthalben he-
rum. Da war die Liebe die einige Beſchaͤftigung
eines muͤſſigen Monarchen, der ſelten im Rathe,
und niemals in den Waffen erſchien. Buhlerin-
nen regierten den Staat, und die Staats-Be-
dienten ſchrieben Comoͤdien. Man gab dem Wi-
ze Beſoldung und junge Lords waren damit verſe-
hen. Die Schoͤnen ſaſſen entzuͤkt bey der Oper
eines Hofmanns und keine Maſke ſchied unverbeſ-
ſert davon. Kein ſchamhafter Windfaͤcher wur-
de mehr empor gehoben, und Jungfrauen laͤchel-
ten uͤber das, woruͤber ſie zuvor erroͤtheten. Die
ſolgende Ausgelaſſenheit einer fremden Regierung
oͤffnete allen Hefen des frechen Socinus den
Damm. Dann wurde zuerſt die Sittenlehre der
Belgier erhoben. Wir bekamen ihre Religion
und ſie unſer Gold. Prieſter ohne Glauben re-
formierten die Nation, und lehrten eine angeneh-
mere Weiſe ſeelig zu werden, bey welcher freye
Unterthanen des Himmels auch ihre Rechte ver-
theidigen duͤrften. Denn ſonſt haͤtte Gott ſelbſten
zu Abſolut ſcheinen moͤgen. Man gewoͤhnte die
Kanzeln mit ihren heiligen Satiren ſparſamer
zu thoͤnen, und die Laſter wunderten ſich ihre
Schmeichler darauf zu erbliken. Hiedurch wur-
den unſere Titaniſche Witzlinge ſo kuͤhne, den
Himmel zu ſtuͤrmen, und die Preſſen aͤchzeten uͤ-
ber erlaubten Gotteslaͤſterungen. Auf dieſe Unge-
heure ſchieſſet eure Pfeile, ihr Buͤcherrichter.
Auf dieſe richtet euren Donner und erſchoͤpfet alle
eure Wuth. Doch meidet anbey den Fehler de-
rer, die, zum Aergerniſſe ſeltſam, einen Scribenten
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