[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und andrer geistvollen Schriften. Bd. 1. Zürich, 1741.und dem Scharfsinnigen. urtheilen will. Jns besondere darf ich hoffen,daß der Hr. Philologus, der im 34sten St. die Jgfr. Phyllis durch sein schriftliches Ansuchen zu dieser unglücklichen Untersuchung des Scharfsinni- gen veranlasset hat, allhier den vollständigen Un- terricht, den er bey den Schweizerischen Kunst- lehrern vergeblich gesucht, und von gedachter Phyllis, das ist, von seiner eigenen Scharfsin- nigkeit (+), in die er sehr verliebt ist, umsonst erwartet hat, zu seiner Befriedigung antreffen, und wenigstens die Bescheidenheit daraus lernen werde, inskünftige nicht mehr so vermessen zu seyn, und sich zu einem Richter des Scharfsinnigen auf- zuwerffen, bevor er gelernet hat, was scharfsin- nig ist. Jch sehe zwar eine einfältige Aufrichtigkeit in dem folgenden Bekänntniß, womit er sich im Eingang verwahrt: Wundert euch nicht/ daß mich diese Ursachen bewogen haben euch um eure Gedanken von der sinnreichen Schreib- art zu ersuchen. Jch gestehe es/ daß ich in ge- wissen Fällen gar wol sagen kan, welcher Ge- dancke sinnreich sey oder nicht: allein wenn ich eine Beschreibung geben soll/ so will es nicht fort. Jch habe oftmahls einen Streit gehabt/ ob diese oder jene Redensart in einem Scri- benten sinnreich sey oder nicht, und ich finde, daß man sich ordentlich gantz andre Begriffe davon macht/ als ich. Aber ich entdeke hernach eine so viel grössere Vermessenheit bey ihm, wenn ich (+) Denn eben derjenige, der sich in die Phyllis,
und die übrigen Tadlerinnen verwandelt hatte, hat auch die Person des Philologus an sich genommen. und dem Scharfſinnigen. urtheilen will. Jns beſondere darf ich hoffen,daß der Hr. Philologus, der im 34ſten St. die Jgfr. Phyllis durch ſein ſchriftliches Anſuchen zu dieſer ungluͤcklichen Unterſuchung des Scharfſinni- gen veranlaſſet hat, allhier den vollſtaͤndigen Un- terricht, den er bey den Schweizeriſchen Kunſt- lehrern vergeblich geſucht, und von gedachter Phyllis, das iſt, von ſeiner eigenen Scharfſin- nigkeit (†), in die er ſehr verliebt iſt, umſonſt erwartet hat, zu ſeiner Befriedigung antreffen, und wenigſtens die Beſcheidenheit daraus lernen werde, inskuͤnftige nicht mehr ſo vermeſſen zu ſeyn, und ſich zu einem Richter des Scharfſinnigen auf- zuwerffen, bevor er gelernet hat, was ſcharfſin- nig iſt. Jch ſehe zwar eine einfaͤltige Aufrichtigkeit in dem folgenden Bekaͤnntniß, womit er ſich im Eingang verwahrt: Wundert euch nicht/ daß mich dieſe Urſachen bewogen haben euch um eure Gedanken von der ſinnreichen Schreib- art zu erſuchen. Jch geſtehe es/ daß ich in ge- wiſſen Faͤllen gar wol ſagen kan, welcher Ge- dancke ſinnreich ſey oder nicht: allein wenn ich eine Beſchreibung geben ſoll/ ſo will es nicht fort. Jch habe oftmahls einen Streit gehabt/ ob dieſe oder jene Redensart in einem Scri- benten ſinnreich ſey oder nicht, und ich finde, daß man ſich ordentlich gantz andre Begriffe davon macht/ als ich. Aber ich entdeke hernach eine ſo viel groͤſſere Vermeſſenheit bey ihm, wenn ich (†) Denn eben derjenige, der ſich in die Phyllis,
und die uͤbrigen Tadlerinnen verwandelt hatte, hat auch die Perſon des Philologus an ſich genommen. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0127" n="111"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">und dem Scharfſinnigen.</hi></fw><lb/> urtheilen will. Jns beſondere darf ich hoffen,<lb/> daß der Hr. <hi rendition="#fr">Philologus,</hi> der im 34ſten St. die<lb/> Jgfr. <hi rendition="#fr">Phyllis</hi> durch ſein ſchriftliches Anſuchen zu<lb/> dieſer ungluͤcklichen Unterſuchung des Scharfſinni-<lb/> gen veranlaſſet hat, allhier den vollſtaͤndigen Un-<lb/> terricht, den er bey den <hi rendition="#fr">Schweizeriſchen Kunſt-<lb/> lehrern</hi> vergeblich geſucht, und von gedachter<lb/><hi rendition="#fr">Phyllis,</hi> das iſt, von ſeiner eigenen Scharfſin-<lb/> nigkeit <note place="foot" n="(†)">Denn eben derjenige, der ſich in die <hi rendition="#fr">Phyllis,</hi><lb/> und die uͤbrigen <hi rendition="#fr">Tadlerinnen</hi> verwandelt hatte, hat auch<lb/> die Perſon des <hi rendition="#fr">Philologus</hi> an ſich genommen.</note>, in die er ſehr verliebt iſt, umſonſt<lb/> erwartet hat, zu ſeiner Befriedigung antreffen,<lb/> und wenigſtens die Beſcheidenheit daraus lernen<lb/> werde, inskuͤnftige nicht mehr ſo vermeſſen zu ſeyn,<lb/> und ſich zu einem Richter des Scharfſinnigen auf-<lb/> zuwerffen, bevor er gelernet hat, was ſcharfſin-<lb/> nig iſt. Jch ſehe zwar eine einfaͤltige Aufrichtigkeit<lb/> in dem folgenden Bekaͤnntniß, womit er ſich im<lb/> Eingang verwahrt: <hi rendition="#fr">Wundert euch nicht/ daß<lb/> mich dieſe Urſachen bewogen haben euch um<lb/> eure Gedanken von der ſinnreichen Schreib-<lb/> art zu erſuchen. Jch geſtehe es/ daß ich in ge-<lb/> wiſſen Faͤllen gar wol ſagen kan, welcher Ge-<lb/> dancke ſinnreich ſey oder nicht: allein wenn ich<lb/> eine Beſchreibung geben ſoll/ ſo will es nicht<lb/> fort. Jch habe oftmahls einen Streit gehabt/<lb/> ob dieſe oder jene Redensart in einem Scri-<lb/> benten ſinnreich ſey oder nicht, und ich finde,<lb/> daß man ſich ordentlich gantz andre Begriffe<lb/> davon macht/ als ich.</hi> Aber ich entdeke hernach<lb/> eine ſo viel groͤſſere Vermeſſenheit bey ihm, wenn<lb/> <fw place="bottom" type="catch">ich</fw><lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [111/0127]
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urtheilen will. Jns beſondere darf ich hoffen,
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Jgfr. Phyllis durch ſein ſchriftliches Anſuchen zu
dieſer ungluͤcklichen Unterſuchung des Scharfſinni-
gen veranlaſſet hat, allhier den vollſtaͤndigen Un-
terricht, den er bey den Schweizeriſchen Kunſt-
lehrern vergeblich geſucht, und von gedachter
Phyllis, das iſt, von ſeiner eigenen Scharfſin-
nigkeit (†), in die er ſehr verliebt iſt, umſonſt
erwartet hat, zu ſeiner Befriedigung antreffen,
und wenigſtens die Beſcheidenheit daraus lernen
werde, inskuͤnftige nicht mehr ſo vermeſſen zu ſeyn,
und ſich zu einem Richter des Scharfſinnigen auf-
zuwerffen, bevor er gelernet hat, was ſcharfſin-
nig iſt. Jch ſehe zwar eine einfaͤltige Aufrichtigkeit
in dem folgenden Bekaͤnntniß, womit er ſich im
Eingang verwahrt: Wundert euch nicht/ daß
mich dieſe Urſachen bewogen haben euch um
eure Gedanken von der ſinnreichen Schreib-
art zu erſuchen. Jch geſtehe es/ daß ich in ge-
wiſſen Faͤllen gar wol ſagen kan, welcher Ge-
dancke ſinnreich ſey oder nicht: allein wenn ich
eine Beſchreibung geben ſoll/ ſo will es nicht
fort. Jch habe oftmahls einen Streit gehabt/
ob dieſe oder jene Redensart in einem Scri-
benten ſinnreich ſey oder nicht, und ich finde,
daß man ſich ordentlich gantz andre Begriffe
davon macht/ als ich. Aber ich entdeke hernach
eine ſo viel groͤſſere Vermeſſenheit bey ihm, wenn
ich
(†) Denn eben derjenige, der ſich in die Phyllis,
und die uͤbrigen Tadlerinnen verwandelt hatte, hat auch
die Perſon des Philologus an ſich genommen.
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Zitationshilfe: | [Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und andrer geistvollen Schriften. Bd. 1. Zürich, 1741, S. 111. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung01_1741/127>, abgerufen am 16.02.2025. |