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Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868.

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Erstes Buch.
Offenbarung des Völkerrechts begnügen, welche in der möglichst allgemeinen
und gleichmäßigen Anerkennung der einzelnen Staten, vorzüglich der
civilisirten Staten liegt.

Da nur die Einzelstaten als formale Autorität existiren, nicht ihr Ver-
band, so ist der Widerspruch zwischen dem universellen Inhalt des Völker-
rechts und der particularistischen Form seiner Aussprache nicht zu vermeiden.
Das Völkerrecht erscheint daher als ein Werk der Einzelstaten, während es in Wahr-
heit das Erzeugniß ihres Gemeinbewußtseins ist.

Die englische Regierung berief sich im Jahre 1753 in einem Streit mit
König Friedrich II. von Preußen auf diese ursprüngliche Quelle des Völkerrechts
mit den Worten: "Das Völkerrecht ist gegründet auf Gerechtigkeit und Billigkeit,
auf die Natur der Sache und wird bestätigt durch lange Uebung." (Phillimore
Intern-Law
1. 21.)

12.

Die Anerkennung völkerrechtlicher Grundsätze kann von den Staten
ausgesprochen werden sowohl in völkerrechtlicher als in statsrechtlicher Form.

Sie kann gemeinsam von mehreren Staten ausgesprochen werden
auf Congressen der Statshäupter mit ihren Ministern oder in Conferenzen
ihrer Gesanten, durch Protokolle oder in Statsverträgen, sie kann aber
auch einseitig durch Gesetze oder Verordnungen der Einzelstaten erklärt oder
in der völkerrechtlichen Uebung dargestellt werden.

1. Der Unterschied der Congresse und der Conferenzen ist ein fließen-
der. Wenn die Statshäupter (Fürsten) selber zu gemeinsamen Beschlüssen zusammen-
treten, so wird diese Zusammenkunft Congreß genannt; wenn nur die Gesanten zu-
sammen berathen, so heißt das Conferenz. Aber der Charakter des Congresses wird
nicht verletzt, wenn etwa, wie z. B. auf dem deutschen Fürstencongreß zu Frank-
furt am Main 1863 anstatt eines regierenden Königs sein dazu ermächtigter Sohn
oder nach Umständen ein anderer Bevollmächtigter an den Verhandlungen Theil
nimmt. Der Congreß kann sogar ohne Fürsten, lediglich aus Bevollmächtigten der
Staten zusammen treten. Umgekehrt es kann auch ein Souverain gelegentlich an
den Berathungen der Gesanten Theil nehmen, ohne daß die Conferenz um deßwillen
zum Congresse wird. Auf den Congressen werden entscheidende Beschlüsse gefaßt, auf
den Conferenzen werden dieselben vorbereitet. Zum Congreß können daher nur
beschlußfähige Personen zusammentreten, an Conferenzen auch Personen Theil
nehmen, welche nicht beschlußfähig sind.

2. In den Protokollen werden die gemeinsamen Erklärungen und Beschlüsse
aufgezeichnet, ausnahmsweise auch die Vorbehalte einzelner vertretener Staten ange-
merkt. Die gemeinsame Erklärung des übereinstimmenden Willens ist nur dann
ein wirklicher Vertrag, wenn dieser Wille dahin gerichtet, sich je den andern Parteien

Erſtes Buch.
Offenbarung des Völkerrechts begnügen, welche in der möglichſt allgemeinen
und gleichmäßigen Anerkennung der einzelnen Staten, vorzüglich der
civiliſirten Staten liegt.

Da nur die Einzelſtaten als formale Autorität exiſtiren, nicht ihr Ver-
band, ſo iſt der Widerſpruch zwiſchen dem univerſellen Inhalt des Völker-
rechts und der particulariſtiſchen Form ſeiner Ausſprache nicht zu vermeiden.
Das Völkerrecht erſcheint daher als ein Werk der Einzelſtaten, während es in Wahr-
heit das Erzeugniß ihres Gemeinbewußtſeins iſt.

Die engliſche Regierung berief ſich im Jahre 1753 in einem Streit mit
König Friedrich II. von Preußen auf dieſe urſprüngliche Quelle des Völkerrechts
mit den Worten: „Das Völkerrecht iſt gegründet auf Gerechtigkeit und Billigkeit,
auf die Natur der Sache und wird beſtätigt durch lange Uebung.“ (Phillimore
Intern-Law
1. 21.)

12.

Die Anerkennung völkerrechtlicher Grundſätze kann von den Staten
ausgeſprochen werden ſowohl in völkerrechtlicher als in ſtatsrechtlicher Form.

Sie kann gemeinſam von mehreren Staten ausgeſprochen werden
auf Congreſſen der Statshäupter mit ihren Miniſtern oder in Conferenzen
ihrer Geſanten, durch Protokolle oder in Statsverträgen, ſie kann aber
auch einſeitig durch Geſetze oder Verordnungen der Einzelſtaten erklärt oder
in der völkerrechtlichen Uebung dargeſtellt werden.

1. Der Unterſchied der Congreſſe und der Conferenzen iſt ein fließen-
der. Wenn die Statshäupter (Fürſten) ſelber zu gemeinſamen Beſchlüſſen zuſammen-
treten, ſo wird dieſe Zuſammenkunft Congreß genannt; wenn nur die Geſanten zu-
ſammen berathen, ſo heißt das Conferenz. Aber der Charakter des Congreſſes wird
nicht verletzt, wenn etwa, wie z. B. auf dem deutſchen Fürſtencongreß zu Frank-
furt am Main 1863 anſtatt eines regierenden Königs ſein dazu ermächtigter Sohn
oder nach Umſtänden ein anderer Bevollmächtigter an den Verhandlungen Theil
nimmt. Der Congreß kann ſogar ohne Fürſten, lediglich aus Bevollmächtigten der
Staten zuſammen treten. Umgekehrt es kann auch ein Souverain gelegentlich an
den Berathungen der Geſanten Theil nehmen, ohne daß die Conferenz um deßwillen
zum Congreſſe wird. Auf den Congreſſen werden entſcheidende Beſchlüſſe gefaßt, auf
den Conferenzen werden dieſelben vorbereitet. Zum Congreß können daher nur
beſchlußfähige Perſonen zuſammentreten, an Conferenzen auch Perſonen Theil
nehmen, welche nicht beſchlußfähig ſind.

2. In den Protokollen werden die gemeinſamen Erklärungen und Beſchlüſſe
aufgezeichnet, ausnahmsweiſe auch die Vorbehalte einzelner vertretener Staten ange-
merkt. Die gemeinſame Erklärung des übereinſtimmenden Willens iſt nur dann
ein wirklicher Vertrag, wenn dieſer Wille dahin gerichtet, ſich je den andern Parteien

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[58/0080] Erſtes Buch. Offenbarung des Völkerrechts begnügen, welche in der möglichſt allgemeinen und gleichmäßigen Anerkennung der einzelnen Staten, vorzüglich der civiliſirten Staten liegt. Da nur die Einzelſtaten als formale Autorität exiſtiren, nicht ihr Ver- band, ſo iſt der Widerſpruch zwiſchen dem univerſellen Inhalt des Völker- rechts und der particulariſtiſchen Form ſeiner Ausſprache nicht zu vermeiden. Das Völkerrecht erſcheint daher als ein Werk der Einzelſtaten, während es in Wahr- heit das Erzeugniß ihres Gemeinbewußtſeins iſt. Die engliſche Regierung berief ſich im Jahre 1753 in einem Streit mit König Friedrich II. von Preußen auf dieſe urſprüngliche Quelle des Völkerrechts mit den Worten: „Das Völkerrecht iſt gegründet auf Gerechtigkeit und Billigkeit, auf die Natur der Sache und wird beſtätigt durch lange Uebung.“ (Phillimore Intern-Law 1. 21.) 12. Die Anerkennung völkerrechtlicher Grundſätze kann von den Staten ausgeſprochen werden ſowohl in völkerrechtlicher als in ſtatsrechtlicher Form. Sie kann gemeinſam von mehreren Staten ausgeſprochen werden auf Congreſſen der Statshäupter mit ihren Miniſtern oder in Conferenzen ihrer Geſanten, durch Protokolle oder in Statsverträgen, ſie kann aber auch einſeitig durch Geſetze oder Verordnungen der Einzelſtaten erklärt oder in der völkerrechtlichen Uebung dargeſtellt werden. 1. Der Unterſchied der Congreſſe und der Conferenzen iſt ein fließen- der. Wenn die Statshäupter (Fürſten) ſelber zu gemeinſamen Beſchlüſſen zuſammen- treten, ſo wird dieſe Zuſammenkunft Congreß genannt; wenn nur die Geſanten zu- ſammen berathen, ſo heißt das Conferenz. Aber der Charakter des Congreſſes wird nicht verletzt, wenn etwa, wie z. B. auf dem deutſchen Fürſtencongreß zu Frank- furt am Main 1863 anſtatt eines regierenden Königs ſein dazu ermächtigter Sohn oder nach Umſtänden ein anderer Bevollmächtigter an den Verhandlungen Theil nimmt. Der Congreß kann ſogar ohne Fürſten, lediglich aus Bevollmächtigten der Staten zuſammen treten. Umgekehrt es kann auch ein Souverain gelegentlich an den Berathungen der Geſanten Theil nehmen, ohne daß die Conferenz um deßwillen zum Congreſſe wird. Auf den Congreſſen werden entſcheidende Beſchlüſſe gefaßt, auf den Conferenzen werden dieſelben vorbereitet. Zum Congreß können daher nur beſchlußfähige Perſonen zuſammentreten, an Conferenzen auch Perſonen Theil nehmen, welche nicht beſchlußfähig ſind. 2. In den Protokollen werden die gemeinſamen Erklärungen und Beſchlüſſe aufgezeichnet, ausnahmsweiſe auch die Vorbehalte einzelner vertretener Staten ange- merkt. Die gemeinſame Erklärung des übereinſtimmenden Willens iſt nur dann ein wirklicher Vertrag, wenn dieſer Wille dahin gerichtet, ſich je den andern Parteien

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868, S. 58. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_voelkerrecht_1868/80>, abgerufen am 23.11.2024.