zugeschrieben wird. Im Kriege nämlich tritt die massive Gewalt wider die Gewalt in den Kampf und die feindlichen Leidenschaften ringen mit einander auf Leben und Tod. Eben in diesem wilden Stadium des Völkerstreites gilt es vor allen Dingen, die civilisatorische Macht des Völkerrechts zu zeigen. In der That, sie hat sich in der Ausbildung eines civilisirten Kriegsrechts, durch welches die alte barbarische Kriegs- sitte großentheils verdrängt und untersagt wird, glänzend bewährt. Die Kriege sind menschlicher, gesitteter, milder geworden, und nicht blos that- sächlich durch die veredelte Kriegsübung, sondern ebenso rechtlich durch die Vervollkommnung des Völkerrechts.
Die alten Völker betrachteten die Feinde, mit denen sie im Kriege waren, als rechtlose Wesen und hielten Alles gegen sie für erlaubt. Dem heutigen Rechtsbewußtsein ist es klar, daß die Menschenrechte auch im Kriege zu beachten sind, weil die Feinde nicht aufgehört haben, Menschen zu sein.
Bis auf die neueste Zeit dehnte man überdem den Begriff des Feindes ungebührlich aus und behandelte höchstens aus sittlichen oder politischen Rücksichten, aber keineswegs aus Rechtsgründen, die unkriegerische Bevölkerung des feindlichen States mit einiger Schonung. Noch Hugo de Groot und Pufendorf betrachten es als hergebrachte, auf dem Con- sens der Völker beruhende Rechtssätze, daß alle Statsangehörigen der beiden Kriegsparteien, also auch die Weiber, die Kinder, die Greise, die Kranken Feinde und daß die Feinde als solche der Willkür des Siegers unterworfen seien.
Erst die schärfere Unterscheidung des heutigen Rechtsbewußtseins hat den Grundgedanken klar gemacht, daß der Krieg ein Rechtsstreit der Staten, beziehungsweise politischer Mächte und keineswegs ein Streit zwischen Privaten oder mit Privaten sei. Dieser Unterschied, den die Wissenschaft erst begriff, als ihn zuvor die Praxis thatsächlich beachtet hatte, zieht eine Reihe der wichtigsten Folgerungen nach sich.
Jedes Individuum nämlich steht in einem Doppelverhältniß. Ein- mal ist es ein Wesen für sich, d. h. eine Privatperson. Als solche hat es einen Anspruch auf einen weiten Kreis von persönlichen Familien- und Vermögensrechten, mit Einem Wort auf sein Privatrecht. Da nun der Krieg nicht gegen die Privaten geführt wird, so giebt es auch keinen Rechtsgrund, nach welchem das Privatrecht im Kriege untergehen oder der Willkür des Feindes bloßgestellt werden sollte.
Einleitung.
zugeſchrieben wird. Im Kriege nämlich tritt die maſſive Gewalt wider die Gewalt in den Kampf und die feindlichen Leidenſchaften ringen mit einander auf Leben und Tod. Eben in dieſem wilden Stadium des Völkerſtreites gilt es vor allen Dingen, die civiliſatoriſche Macht des Völkerrechts zu zeigen. In der That, ſie hat ſich in der Ausbildung eines civiliſirten Kriegsrechts, durch welches die alte barbariſche Kriegs- ſitte großentheils verdrängt und unterſagt wird, glänzend bewährt. Die Kriege ſind menſchlicher, geſitteter, milder geworden, und nicht blos that- ſächlich durch die veredelte Kriegsübung, ſondern ebenſo rechtlich durch die Vervollkommnung des Völkerrechts.
Die alten Völker betrachteten die Feinde, mit denen ſie im Kriege waren, als rechtloſe Weſen und hielten Alles gegen ſie für erlaubt. Dem heutigen Rechtsbewußtſein iſt es klar, daß die Menſchenrechte auch im Kriege zu beachten ſind, weil die Feinde nicht aufgehört haben, Menſchen zu ſein.
Bis auf die neueſte Zeit dehnte man überdem den Begriff des Feindes ungebührlich aus und behandelte höchſtens aus ſittlichen oder politiſchen Rückſichten, aber keineswegs aus Rechtsgründen, die unkriegeriſche Bevölkerung des feindlichen States mit einiger Schonung. Noch Hugo de Groot und Pufendorf betrachten es als hergebrachte, auf dem Con- ſens der Völker beruhende Rechtsſätze, daß alle Statsangehörigen der beiden Kriegsparteien, alſo auch die Weiber, die Kinder, die Greiſe, die Kranken Feinde und daß die Feinde als ſolche der Willkür des Siegers unterworfen ſeien.
Erſt die ſchärfere Unterſcheidung des heutigen Rechtsbewußtſeins hat den Grundgedanken klar gemacht, daß der Krieg ein Rechtsſtreit der Staten, beziehungsweiſe politiſcher Mächte und keineswegs ein Streit zwiſchen Privaten oder mit Privaten ſei. Dieſer Unterſchied, den die Wiſſenſchaft erſt begriff, als ihn zuvor die Praxis thatſächlich beachtet hatte, zieht eine Reihe der wichtigſten Folgerungen nach ſich.
Jedes Individuum nämlich ſteht in einem Doppelverhältniß. Ein- mal iſt es ein Weſen für ſich, d. h. eine Privatperſon. Als ſolche hat es einen Anſpruch auf einen weiten Kreis von perſönlichen Familien- und Vermögensrechten, mit Einem Wort auf ſein Privatrecht. Da nun der Krieg nicht gegen die Privaten geführt wird, ſo giebt es auch keinen Rechtsgrund, nach welchem das Privatrecht im Kriege untergehen oder der Willkür des Feindes bloßgeſtellt werden ſollte.
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Einleitung.
zugeſchrieben wird. Im Kriege nämlich tritt die maſſive Gewalt wider
die Gewalt in den Kampf und die feindlichen Leidenſchaften ringen mit
einander auf Leben und Tod. Eben in dieſem wilden Stadium des
Völkerſtreites gilt es vor allen Dingen, die civiliſatoriſche Macht des
Völkerrechts zu zeigen. In der That, ſie hat ſich in der Ausbildung
eines civiliſirten Kriegsrechts, durch welches die alte barbariſche Kriegs-
ſitte großentheils verdrängt und unterſagt wird, glänzend bewährt. Die
Kriege ſind menſchlicher, geſitteter, milder geworden, und nicht blos that-
ſächlich durch die veredelte Kriegsübung, ſondern ebenſo rechtlich durch die
Vervollkommnung des Völkerrechts.
Die alten Völker betrachteten die Feinde, mit denen ſie im Kriege
waren, als rechtloſe Weſen und hielten Alles gegen ſie für erlaubt. Dem
heutigen Rechtsbewußtſein iſt es klar, daß die Menſchenrechte auch im
Kriege zu beachten ſind, weil die Feinde nicht aufgehört haben, Menſchen
zu ſein.
Bis auf die neueſte Zeit dehnte man überdem den Begriff des
Feindes ungebührlich aus und behandelte höchſtens aus ſittlichen oder
politiſchen Rückſichten, aber keineswegs aus Rechtsgründen, die unkriegeriſche
Bevölkerung des feindlichen States mit einiger Schonung. Noch Hugo
de Groot und Pufendorf betrachten es als hergebrachte, auf dem Con-
ſens der Völker beruhende Rechtsſätze, daß alle Statsangehörigen der
beiden Kriegsparteien, alſo auch die Weiber, die Kinder, die Greiſe, die
Kranken Feinde und daß die Feinde als ſolche der Willkür des
Siegers unterworfen ſeien.
Erſt die ſchärfere Unterſcheidung des heutigen Rechtsbewußtſeins hat
den Grundgedanken klar gemacht, daß der Krieg ein Rechtsſtreit der
Staten, beziehungsweiſe politiſcher Mächte und keineswegs ein Streit
zwiſchen Privaten oder mit Privaten ſei. Dieſer Unterſchied, den
die Wiſſenſchaft erſt begriff, als ihn zuvor die Praxis thatſächlich beachtet
hatte, zieht eine Reihe der wichtigſten Folgerungen nach ſich.
Jedes Individuum nämlich ſteht in einem Doppelverhältniß. Ein-
mal iſt es ein Weſen für ſich, d. h. eine Privatperſon. Als ſolche hat
es einen Anſpruch auf einen weiten Kreis von perſönlichen Familien- und
Vermögensrechten, mit Einem Wort auf ſein Privatrecht. Da nun der
Krieg nicht gegen die Privaten geführt wird, ſo giebt es auch keinen
Rechtsgrund, nach welchem das Privatrecht im Kriege untergehen oder der
Willkür des Feindes bloßgeſtellt werden ſollte.
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Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868, S. 31. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_voelkerrecht_1868/53>, abgerufen am 16.02.2025.
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