gebrachtes neutrales Schiff würde in einen neutralen Hafen gebracht, so wäre der neutrale Stat in seinem Rechte, wenn er die Auslieferung und Wegführung des Schiffs verhinderte, ungeachtet vielleicht das Prisengericht die Wegnahme gutgehei- ßen hat.
846.
Hat aber der Nehmer der Prise in einen ihm feindlichen Hafen flüchten müssen, so setzt er dieselbe der Reprise aus, welche die Wirksamkeit der ersten Prise aufhebt.
Ist der feindliche Hafen im Besitz des Kriegsstats, der die Prise gemacht hat, so ist freilich der Nehmer so lange gesichert, als dieser Besitz fortdauert, und wenn inzwischen die Verurtheilung erfolgt, so wirkt dieselbe ohne Hemmniß. Wenn aber der Hafen im Besitz des Feindes ist oder vor der Verurtheilung wieder in den Besitz desselben kommt, so hat der Feind das entgegengesetzte Interesse, dem Nehmer die Beute wieder wegzunehmen, und durch die Reprise die Wirksamkeit der Prise zu zerstören.
847.
Die Prisengerichte haben bei ihren Entscheidungen die Grundsätze des Völkerrechts und die Gesetze und Verordnungen ihres Landes, so weit diese mit jenen in Harmonie zu bringen sind, zu beachten. Wenn beide einander widersprechen, so kann zwar das Prisengericht statsrechtlich genö- thigt werden, dem Landesgesetze zu gehorchen. Aber es sind die besondern Landesordnungen möglichst so auszulegen und zu handhaben, daß sie in Uebereinstimmung mit den allgemeinen Grundsätzen des Völkerrechts ver- bleiben und immer wird der Kriegsstat dem neutralen State gegenüber verantwortlich, wenn die Vorschriften des Völkerrechts zum Schaden des neutralen Rechts mißachtet werden.
Der Widerspruch zwischen der völkerrechtlichen Bestimmung und der statsrechtlichen Organisation und Besetzung der Prisengerichte zeigt sich hier wieder. Die Prisengerichte sollen das Völkerrecht handhaben und wesentlich nach Völkerrecht urtheilen, und trotzdem können sie sich nicht frei machen von der Unterordnung unter die souveräne Statsautorität, welche sie ins Leben gerufen hat und von der sie abhängig bleiben. Würden sie ohne Rücksicht auf die Prisenregle- mente ihres Stats lediglich nach ihrem Verständniß des Völkerrechts dieses anwen- den, so wären sie in Gefahr, von ihrer Statsregierung zur Verantwortung gezogen zu werden. Würden sie einfach die besondern Vorschriften ihrer Statsautorität anwen-
Neuntes Buch.
gebrachtes neutrales Schiff würde in einen neutralen Hafen gebracht, ſo wäre der neutrale Stat in ſeinem Rechte, wenn er die Auslieferung und Wegführung des Schiffs verhinderte, ungeachtet vielleicht das Priſengericht die Wegnahme gutgehei- ßen hat.
846.
Hat aber der Nehmer der Priſe in einen ihm feindlichen Hafen flüchten müſſen, ſo ſetzt er dieſelbe der Repriſe aus, welche die Wirkſamkeit der erſten Priſe aufhebt.
Iſt der feindliche Hafen im Beſitz des Kriegsſtats, der die Priſe gemacht hat, ſo iſt freilich der Nehmer ſo lange geſichert, als dieſer Beſitz fortdauert, und wenn inzwiſchen die Verurtheilung erfolgt, ſo wirkt dieſelbe ohne Hemmniß. Wenn aber der Hafen im Beſitz des Feindes iſt oder vor der Verurtheilung wieder in den Beſitz desſelben kommt, ſo hat der Feind das entgegengeſetzte Intereſſe, dem Nehmer die Beute wieder wegzunehmen, und durch die Repriſe die Wirkſamkeit der Priſe zu zerſtören.
847.
Die Priſengerichte haben bei ihren Entſcheidungen die Grundſätze des Völkerrechts und die Geſetze und Verordnungen ihres Landes, ſo weit dieſe mit jenen in Harmonie zu bringen ſind, zu beachten. Wenn beide einander widerſprechen, ſo kann zwar das Priſengericht ſtatsrechtlich genö- thigt werden, dem Landesgeſetze zu gehorchen. Aber es ſind die beſondern Landesordnungen möglichſt ſo auszulegen und zu handhaben, daß ſie in Uebereinſtimmung mit den allgemeinen Grundſätzen des Völkerrechts ver- bleiben und immer wird der Kriegsſtat dem neutralen State gegenüber verantwortlich, wenn die Vorſchriften des Völkerrechts zum Schaden des neutralen Rechts mißachtet werden.
Der Widerſpruch zwiſchen der völkerrechtlichen Beſtimmung und der ſtatsrechtlichen Organiſation und Beſetzung der Priſengerichte zeigt ſich hier wieder. Die Priſengerichte ſollen das Völkerrecht handhaben und weſentlich nach Völkerrecht urtheilen, und trotzdem können ſie ſich nicht frei machen von der Unterordnung unter die ſouveräne Statsautorität, welche ſie ins Leben gerufen hat und von der ſie abhängig bleiben. Würden ſie ohne Rückſicht auf die Priſenregle- mente ihres Stats lediglich nach ihrem Verſtändniß des Völkerrechts dieſes anwen- den, ſo wären ſie in Gefahr, von ihrer Statsregierung zur Verantwortung gezogen zu werden. Würden ſie einfach die beſondern Vorſchriften ihrer Statsautorität anwen-
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Neuntes Buch.
gebrachtes neutrales Schiff würde in einen neutralen Hafen gebracht, ſo wäre der
neutrale Stat in ſeinem Rechte, wenn er die Auslieferung und Wegführung des
Schiffs verhinderte, ungeachtet vielleicht das Priſengericht die Wegnahme gutgehei-
ßen hat.
846.
Hat aber der Nehmer der Priſe in einen ihm feindlichen Hafen
flüchten müſſen, ſo ſetzt er dieſelbe der Repriſe aus, welche die Wirkſamkeit
der erſten Priſe aufhebt.
Iſt der feindliche Hafen im Beſitz des Kriegsſtats, der die Priſe gemacht hat,
ſo iſt freilich der Nehmer ſo lange geſichert, als dieſer Beſitz fortdauert, und wenn
inzwiſchen die Verurtheilung erfolgt, ſo wirkt dieſelbe ohne Hemmniß. Wenn aber
der Hafen im Beſitz des Feindes iſt oder vor der Verurtheilung wieder in den Beſitz
desſelben kommt, ſo hat der Feind das entgegengeſetzte Intereſſe, dem Nehmer die
Beute wieder wegzunehmen, und durch die Repriſe die Wirkſamkeit der Priſe zu
zerſtören.
847.
Die Priſengerichte haben bei ihren Entſcheidungen die Grundſätze
des Völkerrechts und die Geſetze und Verordnungen ihres Landes, ſo weit
dieſe mit jenen in Harmonie zu bringen ſind, zu beachten. Wenn beide
einander widerſprechen, ſo kann zwar das Priſengericht ſtatsrechtlich genö-
thigt werden, dem Landesgeſetze zu gehorchen. Aber es ſind die beſondern
Landesordnungen möglichſt ſo auszulegen und zu handhaben, daß ſie in
Uebereinſtimmung mit den allgemeinen Grundſätzen des Völkerrechts ver-
bleiben und immer wird der Kriegsſtat dem neutralen State gegenüber
verantwortlich, wenn die Vorſchriften des Völkerrechts zum Schaden des
neutralen Rechts mißachtet werden.
Der Widerſpruch zwiſchen der völkerrechtlichen Beſtimmung und der
ſtatsrechtlichen Organiſation und Beſetzung der Priſengerichte zeigt ſich
hier wieder. Die Priſengerichte ſollen das Völkerrecht handhaben und weſentlich
nach Völkerrecht urtheilen, und trotzdem können ſie ſich nicht frei machen von der
Unterordnung unter die ſouveräne Statsautorität, welche ſie ins Leben gerufen hat
und von der ſie abhängig bleiben. Würden ſie ohne Rückſicht auf die Priſenregle-
mente ihres Stats lediglich nach ihrem Verſtändniß des Völkerrechts dieſes anwen-
den, ſo wären ſie in Gefahr, von ihrer Statsregierung zur Verantwortung gezogen zu
werden. Würden ſie einfach die beſondern Vorſchriften ihrer Statsautorität anwen-
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Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868, S. 458. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_voelkerrecht_1868/480>, abgerufen am 23.11.2024.
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