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Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868.

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Einleitung.
fläche so weit sich ausstrecken, als es mit der rechtlichen Selbständigkeit
anderer Staten verträglich ist. Dieser statliche Rechtsschutz in der Fremde
ist zuweilen von mächtigen Staten anmaßlich und übermüthig überspannt
worden, aber im Großen und Ganzen ist es doch ein großer Fortschritt
eines wirksamen Völkerrechts, daß der internationale Verkehr und die
Rechtssicherheit der Fremden nicht der Willkür einer launischen Statsgewalt
Preis gegeben und Staten, welche diese Rechte verletzen, zur Genugthuung
und Entschädigung angehalten werden.

Selbst die völlige Abschließung und Isolirtheit eines States
wider jeden Fremdenverkehr, in früherer Zeit als ein selbstverständliches
Recht eines souveränen States betrachtet, erscheint dem heutigen Rechts-
bewußtsein als eine Verletzung des natürlichen Menschenrechts, welches für
alle Nationen einen gesicherten Rechtsverkehr fordert, damit die Menschen-
anlage zu voller und reicher Entfaltung gelangen und so die Bestimmung
des Menschengeschlechts erfüllt werden könne. In den letzten Jahrhunderten
hatte sich so die ostasiatische Welt gegen die europäisch-amerikanische völlig
abgeschlossen. Die chinesischen und japanischen Seehäfen und Handels-
städte blieben lange Zeit den Schiffen und Kaufleuten der christlichen
Nationen versperrt. Aber in unsern Tagen sind auch diese trennenden
Schranken vor der zwingenden Macht des erstarkten menschlichen Völker-
rechts gefallen und die ostasiatischen Reiche in die Handels- und Verkehrs-
gemeinschaft mit den Europäern und Amerikanern eingetreten. Im Jahre
1842 hat England das chinesische Weltreich zuerst genöthigt, in dem Frie-
den von Nanking seine Häfen wieder zu öffnen, und im Jahre 1858
haben die Vereinigten Staaten von Nordamerika zuerst wieder Japan dem
Weltverkehr erschlossen. Seither berühren sich und wirken auf einander
die christlich-moderne und die ostasiatische alte Civilisation, und das Völker-
recht hat wiederum einen gewaltigen Fortschritt zum allgemeinen Weltrecht
gemacht.

Gemeinschaft der Gewässer.
Freie Schiffahrt.

Würde sich die Luft nicht jeder menschlichen Absperrung im Großen
entziehen, so hätte sicherlich die souveräne Selbstsucht der Einzelstaten auch
die Luft über ihrem Lande als ihr ausschließliches Eigenthum anzusprechen
hier oder dort den Versuch gemacht. Aber die Staten haben keine Gewalt

Einleitung.
fläche ſo weit ſich ausſtrecken, als es mit der rechtlichen Selbſtändigkeit
anderer Staten verträglich iſt. Dieſer ſtatliche Rechtsſchutz in der Fremde
iſt zuweilen von mächtigen Staten anmaßlich und übermüthig überſpannt
worden, aber im Großen und Ganzen iſt es doch ein großer Fortſchritt
eines wirkſamen Völkerrechts, daß der internationale Verkehr und die
Rechtsſicherheit der Fremden nicht der Willkür einer launiſchen Statsgewalt
Preis gegeben und Staten, welche dieſe Rechte verletzen, zur Genugthuung
und Entſchädigung angehalten werden.

Selbſt die völlige Abſchließung und Iſolirtheit eines States
wider jeden Fremdenverkehr, in früherer Zeit als ein ſelbſtverſtändliches
Recht eines ſouveränen States betrachtet, erſcheint dem heutigen Rechts-
bewußtſein als eine Verletzung des natürlichen Menſchenrechts, welches für
alle Nationen einen geſicherten Rechtsverkehr fordert, damit die Menſchen-
anlage zu voller und reicher Entfaltung gelangen und ſo die Beſtimmung
des Menſchengeſchlechts erfüllt werden könne. In den letzten Jahrhunderten
hatte ſich ſo die oſtaſiatiſche Welt gegen die europäiſch-amerikaniſche völlig
abgeſchloſſen. Die chineſiſchen und japaniſchen Seehäfen und Handels-
ſtädte blieben lange Zeit den Schiffen und Kaufleuten der chriſtlichen
Nationen verſperrt. Aber in unſern Tagen ſind auch dieſe trennenden
Schranken vor der zwingenden Macht des erſtarkten menſchlichen Völker-
rechts gefallen und die oſtaſiatiſchen Reiche in die Handels- und Verkehrs-
gemeinſchaft mit den Europäern und Amerikanern eingetreten. Im Jahre
1842 hat England das chineſiſche Weltreich zuerſt genöthigt, in dem Frie-
den von Nanking ſeine Häfen wieder zu öffnen, und im Jahre 1858
haben die Vereinigten Staaten von Nordamerika zuerſt wieder Japan dem
Weltverkehr erſchloſſen. Seither berühren ſich und wirken auf einander
die chriſtlich-moderne und die oſtaſiatiſche alte Civiliſation, und das Völker-
recht hat wiederum einen gewaltigen Fortſchritt zum allgemeinen Weltrecht
gemacht.

Gemeinſchaft der Gewäſſer.
Freie Schiffahrt.

Würde ſich die Luft nicht jeder menſchlichen Abſperrung im Großen
entziehen, ſo hätte ſicherlich die ſouveräne Selbſtſucht der Einzelſtaten auch
die Luft über ihrem Lande als ihr ausſchließliches Eigenthum anzuſprechen
hier oder dort den Verſuch gemacht. Aber die Staten haben keine Gewalt

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[25/0047] Einleitung. fläche ſo weit ſich ausſtrecken, als es mit der rechtlichen Selbſtändigkeit anderer Staten verträglich iſt. Dieſer ſtatliche Rechtsſchutz in der Fremde iſt zuweilen von mächtigen Staten anmaßlich und übermüthig überſpannt worden, aber im Großen und Ganzen iſt es doch ein großer Fortſchritt eines wirkſamen Völkerrechts, daß der internationale Verkehr und die Rechtsſicherheit der Fremden nicht der Willkür einer launiſchen Statsgewalt Preis gegeben und Staten, welche dieſe Rechte verletzen, zur Genugthuung und Entſchädigung angehalten werden. Selbſt die völlige Abſchließung und Iſolirtheit eines States wider jeden Fremdenverkehr, in früherer Zeit als ein ſelbſtverſtändliches Recht eines ſouveränen States betrachtet, erſcheint dem heutigen Rechts- bewußtſein als eine Verletzung des natürlichen Menſchenrechts, welches für alle Nationen einen geſicherten Rechtsverkehr fordert, damit die Menſchen- anlage zu voller und reicher Entfaltung gelangen und ſo die Beſtimmung des Menſchengeſchlechts erfüllt werden könne. In den letzten Jahrhunderten hatte ſich ſo die oſtaſiatiſche Welt gegen die europäiſch-amerikaniſche völlig abgeſchloſſen. Die chineſiſchen und japaniſchen Seehäfen und Handels- ſtädte blieben lange Zeit den Schiffen und Kaufleuten der chriſtlichen Nationen verſperrt. Aber in unſern Tagen ſind auch dieſe trennenden Schranken vor der zwingenden Macht des erſtarkten menſchlichen Völker- rechts gefallen und die oſtaſiatiſchen Reiche in die Handels- und Verkehrs- gemeinſchaft mit den Europäern und Amerikanern eingetreten. Im Jahre 1842 hat England das chineſiſche Weltreich zuerſt genöthigt, in dem Frie- den von Nanking ſeine Häfen wieder zu öffnen, und im Jahre 1858 haben die Vereinigten Staaten von Nordamerika zuerſt wieder Japan dem Weltverkehr erſchloſſen. Seither berühren ſich und wirken auf einander die chriſtlich-moderne und die oſtaſiatiſche alte Civiliſation, und das Völker- recht hat wiederum einen gewaltigen Fortſchritt zum allgemeinen Weltrecht gemacht. Gemeinſchaft der Gewäſſer. Freie Schiffahrt. Würde ſich die Luft nicht jeder menſchlichen Abſperrung im Großen entziehen, ſo hätte ſicherlich die ſouveräne Selbſtſucht der Einzelſtaten auch die Luft über ihrem Lande als ihr ausſchließliches Eigenthum anzuſprechen hier oder dort den Verſuch gemacht. Aber die Staten haben keine Gewalt

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868, S. 25. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_voelkerrecht_1868/47>, abgerufen am 23.11.2024.