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Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868.

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Einleitung.
als unverletzlich geschützt. Aber die Einrichtung ständiger Gesandtschaften
in den verschiedenen Hauptstädten gehört erst der neueren Zeit an und ist
in Europa vorzüglich seit Richelieu und Ludwig XIV. allgemeine Sitte
geworden. In Folge dessen wurde der fortdauernde Zusammenhang unter
den Staten in dem fortgesetzten persönlichen Verkehr ihrer Vertreter lebendig
dargestellt. Das Völkerrecht erhielt so in den Residenzen gleichsam einen
persönlichen Ausdruck und eine friedlich wirkende Repräsentation. Es
fanden sich da wie in Knotenpunkten des Weltverkehrs die Diplomaten der
verschiedenen Staten zusammen und fingen an, als sogenannte diplo-
matische Körper
sich als völkerrechtliche Genossenschaften zu fühlen. Wenn
auch dabei selbstsüchtige Absichten mitgewirkt haben, so hat doch augen-
scheinlich die Wirksamkeit des Völkerrechts durch diese Einrichtung sehr ge-
wonnen. Wenn ein Stat seine völkerrechtlichen Pflichten offenbar ver-
letzen möchte, so findet er sofort in dem diplomatischen Körper eine gewisse
Schranke. Da kein Stat mächtig genug ist, um die Mißbilligung der
civilisirten Statengesellschaft gleichgültig hinzunehmen, so wird diese Stimme
des Völkerrechts nicht leicht überhört. Indem diese ständigen Gesandt-
schaften sich immer weiter über die ganze Erde hin erstrecken, wächst der
Verband aller Staten zu einer gemeinsamen Weltordnung allmählig heran
und die völkerrechtlichen Garantien nehmen an Stärke und Ausdehnung zu.

Außer den Gesandtschaften hat das neuere Völkerrecht noch das In-
stitut des Consulats weiter ausgebildet. Die Zahl der Consuln ist viel
größer als die der Gesandten und in starker Vermehrung begriffen. Durch
die Consulate wird so ein zweites Netz völkerrechtlicher Aemter über die
Erdoberfläche ausgebreitet, welche dem friedlichen Verkehr aller Nationen
dienen und die Rechtsgemeinschaft in der Welt beleben. Die Consuln sind
nicht wie die Gesandten berufen, als eigentliche Stellvertreter der Staten
zu handeln, sie haben vorzugsweise die Interessen der Privaten in fremden
Ländern zu wahren und den heimathlichen Rechtsschutz auch in der Ferne
wirksam zu machen. Gerade deshalb steigt ihre Wichtigkeit in dem Maße,
in welchem der internationale Verkehr reicher und belebter wird.

Zuerst haben die Bedürfnisse und Interessen des Handels die Kauf-
leute veranlaßt, ins Ausland zu gehen und mit Fremden zu verkehren.
Daher sind die Consulate anfangs nur als Handelsconsulate gegründet
worden. Auch heute noch ist der Handelsverkehr die wichtigste Beziehung
von Nation zu Nation. Aber er ist es heute schon nicht ganz mehr, wie
früher. Es giebt bereits eine Menge von Culturbeziehungen aller Art,

Einleitung.
als unverletzlich geſchützt. Aber die Einrichtung ſtändiger Geſandtſchaften
in den verſchiedenen Hauptſtädten gehört erſt der neueren Zeit an und iſt
in Europa vorzüglich ſeit Richelieu und Ludwig XIV. allgemeine Sitte
geworden. In Folge deſſen wurde der fortdauernde Zuſammenhang unter
den Staten in dem fortgeſetzten perſönlichen Verkehr ihrer Vertreter lebendig
dargeſtellt. Das Völkerrecht erhielt ſo in den Reſidenzen gleichſam einen
perſönlichen Ausdruck und eine friedlich wirkende Repräſentation. Es
fanden ſich da wie in Knotenpunkten des Weltverkehrs die Diplomaten der
verſchiedenen Staten zuſammen und fingen an, als ſogenannte diplo-
matiſche Körper
ſich als völkerrechtliche Genoſſenſchaften zu fühlen. Wenn
auch dabei ſelbſtſüchtige Abſichten mitgewirkt haben, ſo hat doch augen-
ſcheinlich die Wirkſamkeit des Völkerrechts durch dieſe Einrichtung ſehr ge-
wonnen. Wenn ein Stat ſeine völkerrechtlichen Pflichten offenbar ver-
letzen möchte, ſo findet er ſofort in dem diplomatiſchen Körper eine gewiſſe
Schranke. Da kein Stat mächtig genug iſt, um die Mißbilligung der
civiliſirten Statengeſellſchaft gleichgültig hinzunehmen, ſo wird dieſe Stimme
des Völkerrechts nicht leicht überhört. Indem dieſe ſtändigen Geſandt-
ſchaften ſich immer weiter über die ganze Erde hin erſtrecken, wächſt der
Verband aller Staten zu einer gemeinſamen Weltordnung allmählig heran
und die völkerrechtlichen Garantien nehmen an Stärke und Ausdehnung zu.

Außer den Geſandtſchaften hat das neuere Völkerrecht noch das In-
ſtitut des Conſulats weiter ausgebildet. Die Zahl der Conſuln iſt viel
größer als die der Geſandten und in ſtarker Vermehrung begriffen. Durch
die Conſulate wird ſo ein zweites Netz völkerrechtlicher Aemter über die
Erdoberfläche ausgebreitet, welche dem friedlichen Verkehr aller Nationen
dienen und die Rechtsgemeinſchaft in der Welt beleben. Die Conſuln ſind
nicht wie die Geſandten berufen, als eigentliche Stellvertreter der Staten
zu handeln, ſie haben vorzugsweiſe die Intereſſen der Privaten in fremden
Ländern zu wahren und den heimathlichen Rechtsſchutz auch in der Ferne
wirkſam zu machen. Gerade deshalb ſteigt ihre Wichtigkeit in dem Maße,
in welchem der internationale Verkehr reicher und belebter wird.

Zuerſt haben die Bedürfniſſe und Intereſſen des Handels die Kauf-
leute veranlaßt, ins Ausland zu gehen und mit Fremden zu verkehren.
Daher ſind die Conſulate anfangs nur als Handelsconſulate gegründet
worden. Auch heute noch iſt der Handelsverkehr die wichtigſte Beziehung
von Nation zu Nation. Aber er iſt es heute ſchon nicht ganz mehr, wie
früher. Es giebt bereits eine Menge von Culturbeziehungen aller Art,

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[22/0044] Einleitung. als unverletzlich geſchützt. Aber die Einrichtung ſtändiger Geſandtſchaften in den verſchiedenen Hauptſtädten gehört erſt der neueren Zeit an und iſt in Europa vorzüglich ſeit Richelieu und Ludwig XIV. allgemeine Sitte geworden. In Folge deſſen wurde der fortdauernde Zuſammenhang unter den Staten in dem fortgeſetzten perſönlichen Verkehr ihrer Vertreter lebendig dargeſtellt. Das Völkerrecht erhielt ſo in den Reſidenzen gleichſam einen perſönlichen Ausdruck und eine friedlich wirkende Repräſentation. Es fanden ſich da wie in Knotenpunkten des Weltverkehrs die Diplomaten der verſchiedenen Staten zuſammen und fingen an, als ſogenannte diplo- matiſche Körper ſich als völkerrechtliche Genoſſenſchaften zu fühlen. Wenn auch dabei ſelbſtſüchtige Abſichten mitgewirkt haben, ſo hat doch augen- ſcheinlich die Wirkſamkeit des Völkerrechts durch dieſe Einrichtung ſehr ge- wonnen. Wenn ein Stat ſeine völkerrechtlichen Pflichten offenbar ver- letzen möchte, ſo findet er ſofort in dem diplomatiſchen Körper eine gewiſſe Schranke. Da kein Stat mächtig genug iſt, um die Mißbilligung der civiliſirten Statengeſellſchaft gleichgültig hinzunehmen, ſo wird dieſe Stimme des Völkerrechts nicht leicht überhört. Indem dieſe ſtändigen Geſandt- ſchaften ſich immer weiter über die ganze Erde hin erſtrecken, wächſt der Verband aller Staten zu einer gemeinſamen Weltordnung allmählig heran und die völkerrechtlichen Garantien nehmen an Stärke und Ausdehnung zu. Außer den Geſandtſchaften hat das neuere Völkerrecht noch das In- ſtitut des Conſulats weiter ausgebildet. Die Zahl der Conſuln iſt viel größer als die der Geſandten und in ſtarker Vermehrung begriffen. Durch die Conſulate wird ſo ein zweites Netz völkerrechtlicher Aemter über die Erdoberfläche ausgebreitet, welche dem friedlichen Verkehr aller Nationen dienen und die Rechtsgemeinſchaft in der Welt beleben. Die Conſuln ſind nicht wie die Geſandten berufen, als eigentliche Stellvertreter der Staten zu handeln, ſie haben vorzugsweiſe die Intereſſen der Privaten in fremden Ländern zu wahren und den heimathlichen Rechtsſchutz auch in der Ferne wirkſam zu machen. Gerade deshalb ſteigt ihre Wichtigkeit in dem Maße, in welchem der internationale Verkehr reicher und belebter wird. Zuerſt haben die Bedürfniſſe und Intereſſen des Handels die Kauf- leute veranlaßt, ins Ausland zu gehen und mit Fremden zu verkehren. Daher ſind die Conſulate anfangs nur als Handelsconſulate gegründet worden. Auch heute noch iſt der Handelsverkehr die wichtigſte Beziehung von Nation zu Nation. Aber er iſt es heute ſchon nicht ganz mehr, wie früher. Es giebt bereits eine Menge von Culturbeziehungen aller Art,

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868, S. 22. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_voelkerrecht_1868/44>, abgerufen am 27.04.2024.