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Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868.

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Recht der Neutralität.

1. Man darf dem neutralen State nicht zumuthen, daß er die Verschickung
von Waffen im Einzelnen und Kleinen verhindere. Das hat auf die Bezie-
hung von Stat zu Stat keinen Einfluß und die Durchführung einer solchen Obsorge
würde eine unverhältnißmäßige Anstrengung der Behörden erfordern und unerträg-
liche Quälereien für die Bürger nach sich ziehen.

2. Anders verhält es sich mit der Zusendung im Großen. Darin liegt durch-
weg eine thatsächliche Förderung einer Kriegspartei und meistens auch eine kriegerische
Beihülfe. Insofern hat der neutrale Stat, um seine Nichtbetheiligung am Kriege
außer Zweifel zu stellen, ein Interesse, und soweit die Absicht der Kriegshülfe
mindestens wahrscheinlich
ist, die Pflicht, der Ausführung solcher Sendung
entgegenzutreten.

767.

Die Gestattung des freien Ankaufs von Lebensmitteln, wenn auch
für die Verproviantirung der kriegführenden Armee, ist nicht als Begün-
stigung derselben zu betrachten, wenn sie allgemein ist und gleichmäßig für
beide Parteien gilt.

Die Ernährung der Menschen ist unter allen Umständen ein friedliches
Geschäft
, keine feindliche That. Der Handel mit Lebensmitteln, Schlachtvieh,
Getreide, Brod u. s. f. kann daher in der Regel nicht als kriegerische Beihülfe an-
gesehen werden. Nur wenn er der einen Partei gewährt aber der andern ver-
sagt
, oder wenn die Lieferung von Lebensmitteln an die eine Armee als
Kriegssubsidie
sich darstellen würde, dann würde die offenbare Parteinahme für
die eine Kriegspartei wider die andere die neutrale Haltung verletzen.

768.

Der neutrale Stat darf auch nicht einer Kriegspartei ein Geld-
darlehen machen, um ihr für den Krieg die erforderlichen Mittel zu ver-
schaffen und es widerstreitet der Neutralitätspflicht, wenn er gestattet, daß
im Lande eine Anleihe für eine Kriegspartei ausgeschrieben oder sonst
Gelder zur Unterstützung derselben öffentlich gesammelt werden. Die Geld-
beischüsse aber, welche Privatpersonen von sich aus einer Kriegspartei leisten,
gefährdet die Neutralität des States nicht.

1. Wenngleich Gelddarlehen in der Regel ebenfalls Friedensgeschäfte
sind, so ist doch die Geldanleihe für Kriegszwecke ebenso wie die Kriegs-
subsidie
(oben 756) eine offenbare Kriegshülfe, deren sich die Neutralen ent-
halten müssen. Das gilt aber auch von Privaten, welche die Kriegsanleihe machen.

Recht der Neutralität.

1. Man darf dem neutralen State nicht zumuthen, daß er die Verſchickung
von Waffen im Einzelnen und Kleinen verhindere. Das hat auf die Bezie-
hung von Stat zu Stat keinen Einfluß und die Durchführung einer ſolchen Obſorge
würde eine unverhältnißmäßige Anſtrengung der Behörden erfordern und unerträg-
liche Quälereien für die Bürger nach ſich ziehen.

2. Anders verhält es ſich mit der Zuſendung im Großen. Darin liegt durch-
weg eine thatſächliche Förderung einer Kriegspartei und meiſtens auch eine kriegeriſche
Beihülfe. Inſofern hat der neutrale Stat, um ſeine Nichtbetheiligung am Kriege
außer Zweifel zu ſtellen, ein Intereſſe, und ſoweit die Abſicht der Kriegshülfe
mindeſtens wahrſcheinlich
iſt, die Pflicht, der Ausführung ſolcher Sendung
entgegenzutreten.

767.

Die Geſtattung des freien Ankaufs von Lebensmitteln, wenn auch
für die Verproviantirung der kriegführenden Armee, iſt nicht als Begün-
ſtigung derſelben zu betrachten, wenn ſie allgemein iſt und gleichmäßig für
beide Parteien gilt.

Die Ernährung der Menſchen iſt unter allen Umſtänden ein friedliches
Geſchäft
, keine feindliche That. Der Handel mit Lebensmitteln, Schlachtvieh,
Getreide, Brod u. ſ. f. kann daher in der Regel nicht als kriegeriſche Beihülfe an-
geſehen werden. Nur wenn er der einen Partei gewährt aber der andern ver-
ſagt
, oder wenn die Lieferung von Lebensmitteln an die eine Armee als
Kriegsſubſidie
ſich darſtellen würde, dann würde die offenbare Parteinahme für
die eine Kriegspartei wider die andere die neutrale Haltung verletzen.

768.

Der neutrale Stat darf auch nicht einer Kriegspartei ein Geld-
darlehen machen, um ihr für den Krieg die erforderlichen Mittel zu ver-
ſchaffen und es widerſtreitet der Neutralitätspflicht, wenn er geſtattet, daß
im Lande eine Anleihe für eine Kriegspartei ausgeſchrieben oder ſonſt
Gelder zur Unterſtützung derſelben öffentlich geſammelt werden. Die Geld-
beiſchüſſe aber, welche Privatperſonen von ſich aus einer Kriegspartei leiſten,
gefährdet die Neutralität des States nicht.

1. Wenngleich Gelddarlehen in der Regel ebenfalls Friedensgeſchäfte
ſind, ſo iſt doch die Geldanleihe für Kriegszwecke ebenſo wie die Kriegs-
ſubſidie
(oben 756) eine offenbare Kriegshülfe, deren ſich die Neutralen ent-
halten müſſen. Das gilt aber auch von Privaten, welche die Kriegsanleihe machen.

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[415/0437] Recht der Neutralität. 1. Man darf dem neutralen State nicht zumuthen, daß er die Verſchickung von Waffen im Einzelnen und Kleinen verhindere. Das hat auf die Bezie- hung von Stat zu Stat keinen Einfluß und die Durchführung einer ſolchen Obſorge würde eine unverhältnißmäßige Anſtrengung der Behörden erfordern und unerträg- liche Quälereien für die Bürger nach ſich ziehen. 2. Anders verhält es ſich mit der Zuſendung im Großen. Darin liegt durch- weg eine thatſächliche Förderung einer Kriegspartei und meiſtens auch eine kriegeriſche Beihülfe. Inſofern hat der neutrale Stat, um ſeine Nichtbetheiligung am Kriege außer Zweifel zu ſtellen, ein Intereſſe, und ſoweit die Abſicht der Kriegshülfe mindeſtens wahrſcheinlich iſt, die Pflicht, der Ausführung ſolcher Sendung entgegenzutreten. 767. Die Geſtattung des freien Ankaufs von Lebensmitteln, wenn auch für die Verproviantirung der kriegführenden Armee, iſt nicht als Begün- ſtigung derſelben zu betrachten, wenn ſie allgemein iſt und gleichmäßig für beide Parteien gilt. Die Ernährung der Menſchen iſt unter allen Umſtänden ein friedliches Geſchäft, keine feindliche That. Der Handel mit Lebensmitteln, Schlachtvieh, Getreide, Brod u. ſ. f. kann daher in der Regel nicht als kriegeriſche Beihülfe an- geſehen werden. Nur wenn er der einen Partei gewährt aber der andern ver- ſagt, oder wenn die Lieferung von Lebensmitteln an die eine Armee als Kriegsſubſidie ſich darſtellen würde, dann würde die offenbare Parteinahme für die eine Kriegspartei wider die andere die neutrale Haltung verletzen. 768. Der neutrale Stat darf auch nicht einer Kriegspartei ein Geld- darlehen machen, um ihr für den Krieg die erforderlichen Mittel zu ver- ſchaffen und es widerſtreitet der Neutralitätspflicht, wenn er geſtattet, daß im Lande eine Anleihe für eine Kriegspartei ausgeſchrieben oder ſonſt Gelder zur Unterſtützung derſelben öffentlich geſammelt werden. Die Geld- beiſchüſſe aber, welche Privatperſonen von ſich aus einer Kriegspartei leiſten, gefährdet die Neutralität des States nicht. 1. Wenngleich Gelddarlehen in der Regel ebenfalls Friedensgeſchäfte ſind, ſo iſt doch die Geldanleihe für Kriegszwecke ebenſo wie die Kriegs- ſubſidie (oben 756) eine offenbare Kriegshülfe, deren ſich die Neutralen ent- halten müſſen. Das gilt aber auch von Privaten, welche die Kriegsanleihe machen.

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868, S. 415. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_voelkerrecht_1868/437>, abgerufen am 21.11.2024.