in der Zwischenzeit vollzogenen Rechtsgeschäfte hinterdrein als ungültig zu erklären und demgemäß zu behandeln.
Nur in den Fällen des § 732 kann von Postliminium gesprochen werden, nicht in denen des § 733. Denn nur in jenen wird der ursprüngliche Rechts- zustand von den Hemmnissen und Zweifeln der kriegerischen Zwischenzeit wieder befreit, in diesen ist ein neuer Rechtszustand erwachsen, der später nicht mehr als nicht vorhanden fingirt werden darf. Wenn einmal der Friede die Eroberung be- stätigt, so ist der Eroberer berechtigt, die Statshoheit zu üben und auch dritten Personen gegenüber für das Land zu handeln. Der Unterschied der beiden Fälle tritt in dem bekannten Kurhessischen Rechtsstreit deutlich hervor. Der Kurfürst von Hessen bestritt nach seiner Restauration (2. Dec. 1813) die Gültigkeit der Veräußerung von Domänengütern, welche die Westphälische Regierung nach sei- ner Verdrängung aus dem Besitz (1806) vollzogen hatte und setzte sich mit Gewalt wieder in den Besitz der veräußerten Güter. Innerhalb des Kurhessischen Landes freilich konnten die Privatkäufer nicht zu ihrem Rechte gelangen. Dagegen erkannte die Preußische Regierung die Rechtsgültigkeit der geschehenen Veräußerungen in ihrem Gebiete an, weil das Königreich Westphalen im Frieden von Tilsit (9. Juli 1807) anerkannt und daher die Veräußerung von einer wirklichen Statsregierung rechtskräftig gemacht worden sei. Vgl. PhillimoreIII. § 573. In ähnlichem Sinne wurde ein zweiter Proceß von dem Spruchcollegium der Juristenfacultät in Kiel (24. März 1831) entschieden. Auch dieses Urtheil führte aus, daß der restau- rirte Kurfürst nicht seine vor dem Krieg besessene Landeshoheit fortsetze, als wäre nicht in der Zwischenzeit eine andere im Frieden anerkannte Regierung in Cassel gewesen. Ebenda III. § 572.
734.
Der restaurirte Fürst ist nicht verpflichtet, Veräußerungen oder andere Verfügungen anzuerkennen, welche der feindliche Zwischenherrscher bezüglich der Privatgüter des erstern vorgenommen hat. Wenn aber diese Rechts- geschäfte in Folge des Friedens consolidirt worden sind, so kann der restau- rirte Fürst dieselben nachher nicht wieder anfechten.
Das fürstliche Privatgut ist in höherm Grade als das Privatgut an- derer Personen im Kriege der Kriegsgewalt ausgesetzt, weil der Fürst als solcher eine feindliche Person in besonderem Sinne ist (§ 569), und eine erhöhte Gefahr besteht, daß jene Güter zur Förderung der Kriegszwecke benutzt werden. Der Fürst ist daher in Gefahr, daß nicht bloß die Domänen weggenommen, sondern auch seine Privatgüter von dem Feinde mit Beschlag belegt werden. Gelangt er aber während des Kriegs wieder in den Besitz seines Gebiets, so kann er auch eine allfällige Ver- äußerung durch den Feind als ungültig betrachten, weil der Feind zu keiner defini-
Achtes Buch.
in der Zwiſchenzeit vollzogenen Rechtsgeſchäfte hinterdrein als ungültig zu erklären und demgemäß zu behandeln.
Nur in den Fällen des § 732 kann von Postliminium geſprochen werden, nicht in denen des § 733. Denn nur in jenen wird der urſprüngliche Rechts- zuſtand von den Hemmniſſen und Zweifeln der kriegeriſchen Zwiſchenzeit wieder befreit, in dieſen iſt ein neuer Rechtszuſtand erwachſen, der ſpäter nicht mehr als nicht vorhanden fingirt werden darf. Wenn einmal der Friede die Eroberung be- ſtätigt, ſo iſt der Eroberer berechtigt, die Statshoheit zu üben und auch dritten Perſonen gegenüber für das Land zu handeln. Der Unterſchied der beiden Fälle tritt in dem bekannten Kurheſſiſchen Rechtsſtreit deutlich hervor. Der Kurfürſt von Heſſen beſtritt nach ſeiner Reſtauration (2. Dec. 1813) die Gültigkeit der Veräußerung von Domänengütern, welche die Weſtphäliſche Regierung nach ſei- ner Verdrängung aus dem Beſitz (1806) vollzogen hatte und ſetzte ſich mit Gewalt wieder in den Beſitz der veräußerten Güter. Innerhalb des Kurheſſiſchen Landes freilich konnten die Privatkäufer nicht zu ihrem Rechte gelangen. Dagegen erkannte die Preußiſche Regierung die Rechtsgültigkeit der geſchehenen Veräußerungen in ihrem Gebiete an, weil das Königreich Weſtphalen im Frieden von Tilſit (9. Juli 1807) anerkannt und daher die Veräußerung von einer wirklichen Statsregierung rechtskräftig gemacht worden ſei. Vgl. PhillimoreIII. § 573. In ähnlichem Sinne wurde ein zweiter Proceß von dem Spruchcollegium der Juriſtenfacultät in Kiel (24. März 1831) entſchieden. Auch dieſes Urtheil führte aus, daß der reſtau- rirte Kurfürſt nicht ſeine vor dem Krieg beſeſſene Landeshoheit fortſetze, als wäre nicht in der Zwiſchenzeit eine andere im Frieden anerkannte Regierung in Caſſel geweſen. Ebenda III. § 572.
734.
Der reſtaurirte Fürſt iſt nicht verpflichtet, Veräußerungen oder andere Verfügungen anzuerkennen, welche der feindliche Zwiſchenherrſcher bezüglich der Privatgüter des erſtern vorgenommen hat. Wenn aber dieſe Rechts- geſchäfte in Folge des Friedens conſolidirt worden ſind, ſo kann der reſtau- rirte Fürſt dieſelben nachher nicht wieder anfechten.
Das fürſtliche Privatgut iſt in höherm Grade als das Privatgut an- derer Perſonen im Kriege der Kriegsgewalt ausgeſetzt, weil der Fürſt als ſolcher eine feindliche Perſon in beſonderem Sinne iſt (§ 569), und eine erhöhte Gefahr beſteht, daß jene Güter zur Förderung der Kriegszwecke benutzt werden. Der Fürſt iſt daher in Gefahr, daß nicht bloß die Domänen weggenommen, ſondern auch ſeine Privatgüter von dem Feinde mit Beſchlag belegt werden. Gelangt er aber während des Kriegs wieder in den Beſitz ſeines Gebiets, ſo kann er auch eine allfällige Ver- äußerung durch den Feind als ungültig betrachten, weil der Feind zu keiner defini-
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Achtes Buch.
in der Zwiſchenzeit vollzogenen Rechtsgeſchäfte hinterdrein als ungültig zu
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Nur in den Fällen des § 732 kann von Postliminium geſprochen werden,
nicht in denen des § 733. Denn nur in jenen wird der urſprüngliche Rechts-
zuſtand von den Hemmniſſen und Zweifeln der kriegeriſchen Zwiſchenzeit wieder
befreit, in dieſen iſt ein neuer Rechtszuſtand erwachſen, der ſpäter nicht mehr als
nicht vorhanden fingirt werden darf. Wenn einmal der Friede die Eroberung be-
ſtätigt, ſo iſt der Eroberer berechtigt, die Statshoheit zu üben und auch dritten
Perſonen gegenüber für das Land zu handeln. Der Unterſchied der beiden
Fälle tritt in dem bekannten Kurheſſiſchen Rechtsſtreit deutlich hervor. Der
Kurfürſt von Heſſen beſtritt nach ſeiner Reſtauration (2. Dec. 1813) die Gültigkeit
der Veräußerung von Domänengütern, welche die Weſtphäliſche Regierung nach ſei-
ner Verdrängung aus dem Beſitz (1806) vollzogen hatte und ſetzte ſich mit Gewalt
wieder in den Beſitz der veräußerten Güter. Innerhalb des Kurheſſiſchen Landes
freilich konnten die Privatkäufer nicht zu ihrem Rechte gelangen. Dagegen erkannte
die Preußiſche Regierung die Rechtsgültigkeit der geſchehenen Veräußerungen in ihrem
Gebiete an, weil das Königreich Weſtphalen im Frieden von Tilſit (9. Juli
1807) anerkannt und daher die Veräußerung von einer wirklichen Statsregierung
rechtskräftig gemacht worden ſei. Vgl. Phillimore III. § 573. In ähnlichem
Sinne wurde ein zweiter Proceß von dem Spruchcollegium der Juriſtenfacultät in
Kiel (24. März 1831) entſchieden. Auch dieſes Urtheil führte aus, daß der reſtau-
rirte Kurfürſt nicht ſeine vor dem Krieg beſeſſene Landeshoheit fortſetze, als wäre
nicht in der Zwiſchenzeit eine andere im Frieden anerkannte Regierung in Caſſel
geweſen. Ebenda III. § 572.
734.
Der reſtaurirte Fürſt iſt nicht verpflichtet, Veräußerungen oder andere
Verfügungen anzuerkennen, welche der feindliche Zwiſchenherrſcher bezüglich
der Privatgüter des erſtern vorgenommen hat. Wenn aber dieſe Rechts-
geſchäfte in Folge des Friedens conſolidirt worden ſind, ſo kann der reſtau-
rirte Fürſt dieſelben nachher nicht wieder anfechten.
Das fürſtliche Privatgut iſt in höherm Grade als das Privatgut an-
derer Perſonen im Kriege der Kriegsgewalt ausgeſetzt, weil der Fürſt als ſolcher eine
feindliche Perſon in beſonderem Sinne iſt (§ 569), und eine erhöhte Gefahr
beſteht, daß jene Güter zur Förderung der Kriegszwecke benutzt werden. Der Fürſt
iſt daher in Gefahr, daß nicht bloß die Domänen weggenommen, ſondern auch ſeine
Privatgüter von dem Feinde mit Beſchlag belegt werden. Gelangt er aber während
des Kriegs wieder in den Beſitz ſeines Gebiets, ſo kann er auch eine allfällige Ver-
äußerung durch den Feind als ungültig betrachten, weil der Feind zu keiner defini-
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Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868, S. 398. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_voelkerrecht_1868/420>, abgerufen am 22.11.2024.
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