Der Krieg wird regelmäßig beendigt durch den Friedensschluß, d. h. durch einen Vertrag zwischen den kriegführenden Staten, welcher die Bedingungen und Bestimmungen des erneuerten Friedenszustandes festsetzt.
Der Friedensvertrag ist eine völkerrechtliche Rechtshandlung, welche den Kriegszustand abschließt und den Friedenszustand erneuert. Er ver- kündet der Welt, woran sie ist. Die feindliche Gesinnung freilich kann er nicht so- fort heilen, noch den Glauben an befestigte Zustände schaffen, aber das Rechtsver- hältniß bringt er zur Klarheit und bezeichnet genau den Unterschied der beiden Rechtszustände.
704.
Die Uebermacht des Siegers hindert nicht die Gültigkeit des Friedens- schlusses, wohl aber der äußere Zwang gegen den bevollmächtigten Ver- treter der Kriegspartei, welche über den Frieden unterhandelt.
Vgl. oben § 408.
705.
Das Verfassungsrecht der einzelnen Staten entscheidet über die Frage, wer und unter welchen Bedingungen er berechtigt sei, Frieden gültig abzu- schließen. Das Völkerrecht vermuthet, daß der jeweilige Träger der obersten Statsgewalt kraft seiner Repräsentativbefugniß dazu berechtigt sei. Wenn derselbe aber nach dem in anerkannter Wirksamkeit bestehenden Statsrecht seines Landes der Zustimmung der Volksvertretung oder eines andern politischen Körpers bedarf, um wirksamen Frieden zu schließen, so ist diese Beschränkung auch völkerrechtlich zu beachten und die Rechtsgültigkeit und die Ausführbarkeit des Friedenschlusses so lange in Frage gestellt, als nicht die nothwendige Zustimmung hinzutritt, oder in Folge der Verfassungs- änderung als entbehrlich hinwegfällt. Indessen erfordert der gute Glaube und die Rücksicht des Völkerrechts auf die mögliche Beschränkung des Kriegszustandes, daß auch inzwischen von Seite der Träger der Stats- gewalt nichts gethan, angeordnet oder zugelassen werde, was geeignet ist, die hinterherige Gutheißung des von ihnen vorläufig verabredeten Friedens- vertrags zu erschweren oder zu verhindern.
Achtes Buch.
703.
Der Krieg wird regelmäßig beendigt durch den Friedensſchluß, d. h. durch einen Vertrag zwiſchen den kriegführenden Staten, welcher die Bedingungen und Beſtimmungen des erneuerten Friedenszuſtandes feſtſetzt.
Der Friedensvertrag iſt eine völkerrechtliche Rechtshandlung, welche den Kriegszuſtand abſchließt und den Friedenszuſtand erneuert. Er ver- kündet der Welt, woran ſie iſt. Die feindliche Geſinnung freilich kann er nicht ſo- fort heilen, noch den Glauben an befeſtigte Zuſtände ſchaffen, aber das Rechtsver- hältniß bringt er zur Klarheit und bezeichnet genau den Unterſchied der beiden Rechtszuſtände.
704.
Die Uebermacht des Siegers hindert nicht die Gültigkeit des Friedens- ſchluſſes, wohl aber der äußere Zwang gegen den bevollmächtigten Ver- treter der Kriegspartei, welche über den Frieden unterhandelt.
Vgl. oben § 408.
705.
Das Verfaſſungsrecht der einzelnen Staten entſcheidet über die Frage, wer und unter welchen Bedingungen er berechtigt ſei, Frieden gültig abzu- ſchließen. Das Völkerrecht vermuthet, daß der jeweilige Träger der oberſten Statsgewalt kraft ſeiner Repräſentativbefugniß dazu berechtigt ſei. Wenn derſelbe aber nach dem in anerkannter Wirkſamkeit beſtehenden Statsrecht ſeines Landes der Zuſtimmung der Volksvertretung oder eines andern politiſchen Körpers bedarf, um wirkſamen Frieden zu ſchließen, ſo iſt dieſe Beſchränkung auch völkerrechtlich zu beachten und die Rechtsgültigkeit und die Ausführbarkeit des Friedenſchluſſes ſo lange in Frage geſtellt, als nicht die nothwendige Zuſtimmung hinzutritt, oder in Folge der Verfaſſungs- änderung als entbehrlich hinwegfällt. Indeſſen erfordert der gute Glaube und die Rückſicht des Völkerrechts auf die mögliche Beſchränkung des Kriegszuſtandes, daß auch inzwiſchen von Seite der Träger der Stats- gewalt nichts gethan, angeordnet oder zugelaſſen werde, was geeignet iſt, die hinterherige Gutheißung des von ihnen vorläufig verabredeten Friedens- vertrags zu erſchweren oder zu verhindern.
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Achtes Buch.
703.
Der Krieg wird regelmäßig beendigt durch den Friedensſchluß,
d. h. durch einen Vertrag zwiſchen den kriegführenden Staten, welcher die
Bedingungen und Beſtimmungen des erneuerten Friedenszuſtandes feſtſetzt.
Der Friedensvertrag iſt eine völkerrechtliche Rechtshandlung, welche den
Kriegszuſtand abſchließt und den Friedenszuſtand erneuert. Er ver-
kündet der Welt, woran ſie iſt. Die feindliche Geſinnung freilich kann er nicht ſo-
fort heilen, noch den Glauben an befeſtigte Zuſtände ſchaffen, aber das Rechtsver-
hältniß bringt er zur Klarheit und bezeichnet genau den Unterſchied der beiden
Rechtszuſtände.
704.
Die Uebermacht des Siegers hindert nicht die Gültigkeit des Friedens-
ſchluſſes, wohl aber der äußere Zwang gegen den bevollmächtigten Ver-
treter der Kriegspartei, welche über den Frieden unterhandelt.
Vgl. oben § 408.
705.
Das Verfaſſungsrecht der einzelnen Staten entſcheidet über die Frage,
wer und unter welchen Bedingungen er berechtigt ſei, Frieden gültig abzu-
ſchließen. Das Völkerrecht vermuthet, daß der jeweilige Träger der oberſten
Statsgewalt kraft ſeiner Repräſentativbefugniß dazu berechtigt ſei. Wenn
derſelbe aber nach dem in anerkannter Wirkſamkeit beſtehenden Statsrecht
ſeines Landes der Zuſtimmung der Volksvertretung oder eines andern
politiſchen Körpers bedarf, um wirkſamen Frieden zu ſchließen, ſo iſt dieſe
Beſchränkung auch völkerrechtlich zu beachten und die Rechtsgültigkeit und
die Ausführbarkeit des Friedenſchluſſes ſo lange in Frage geſtellt, als nicht
die nothwendige Zuſtimmung hinzutritt, oder in Folge der Verfaſſungs-
änderung als entbehrlich hinwegfällt. Indeſſen erfordert der gute Glaube
und die Rückſicht des Völkerrechts auf die mögliche Beſchränkung des
Kriegszuſtandes, daß auch inzwiſchen von Seite der Träger der Stats-
gewalt nichts gethan, angeordnet oder zugelaſſen werde, was geeignet iſt,
die hinterherige Gutheißung des von ihnen vorläufig verabredeten Friedens-
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Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868, S. 382. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_voelkerrecht_1868/404>, abgerufen am 23.11.2024.
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