rechtliche Stellung der Päpste litt doch an großen Mängeln. Wo das öffentliche Recht in Frage war, da waren die mächtigen Parteien nicht ge- neigt, sich dem geistlichen Gericht zu unterwerfen, und die Päpste ver- mochten nicht, den trotzigen Widerspruch zu beseitigen, nicht den Wider- stand zu brechen.
Es gelang den Päpsten so wenig, ihr völkerrechtliches Schiedsrichter- amt durchzusetzen, als es ihnen glückte, ihren Anspruch auf Weltherr- schaft zu verwirklichen. Auch dieser Anspruch hatte eher einen völker- als einen staatsrechtlichen Charakter angenommen, seitdem das alte römische Weltreich zerrissen und in eine große Anzahl unabhängiger Fürstenthümer und Republiken zerfallen war. Die Päpste begründeten nun diesen An- spruch auf absolute Weltherrschaft mit der religiösen Autorität Gottes, wie die alten römischen Kaiser ihn politisch mit dem Beruf und Willen des römischen Volkes begründet hatten. Der geistliche Absolutismus war aber im Princip eben so wenig verträglich mit einer allgemeinen Rechtsordnung, welche die Fürsten und Völker in ihren Rechten schützt, als der weltliche. Jener war sogar gefährlicher, als dieser, weil er seine Vollmacht aus dem unerforschlichen Willen des allmächtigen Gottes ableitete und nicht wie dieser in dem ausgesprochenen Menschengesetz eine deutliche Schranke fand. Dennoch war die behauptete göttliche Herrschaft des Papstes über die christ- lichen Völker schwächer als die Hoheit des antiken römischen Kaisers, weil der christliche Papst grundsätzlich genöthigt war, die Zweiheit von Stat und Kirche anzuerkennen und das weltliche Schwert nicht selber hand- haben durfte, sondern dem Könige überlassen mußte. So oft daher eine weltliche Macht dem Papste ihren Gehorsam oder ihren Beistand versagte, wie das trotz Kirchenbann und Interdict auch im Mittelalter nicht selten geschah, so war sein Spruch und sein Gebot in seiner Wirksamkeit gelähmt.
Es zeigte sich aber im Mittelalter noch ein zweites Grundgebrechen, welches jede Gestaltung eines päpstlichen Völkerrechts unmöglich machte. Eben die religiöse Begründung des päpstlichen Rechts verhinderte dasselbe allgemein-menschlich zu werden. Die Kirche verlangte den Glauben als die Grundbedingung auch des Rechts. Nur unter der gläubigen Christen- heit sollte der Friede walten und die Rechtsordnung gelten. Den Un- gläubigen gegenüber kannte das Papstthum keine Schonung und keine Achtung der Menschenrechte. Gegen die Ungläubigen war der Krieg die Losung; man ließ ihnen nur die Wahl zwischen Bekehrung oder Ver- tilgung. Jede Ketzerei und den Unglauben auszurotten auf der Erde, das
Einleitung.
rechtliche Stellung der Päpſte litt doch an großen Mängeln. Wo das öffentliche Recht in Frage war, da waren die mächtigen Parteien nicht ge- neigt, ſich dem geiſtlichen Gericht zu unterwerfen, und die Päpſte ver- mochten nicht, den trotzigen Widerſpruch zu beſeitigen, nicht den Wider- ſtand zu brechen.
Es gelang den Päpſten ſo wenig, ihr völkerrechtliches Schiedsrichter- amt durchzuſetzen, als es ihnen glückte, ihren Anſpruch auf Weltherr- ſchaft zu verwirklichen. Auch dieſer Anſpruch hatte eher einen völker- als einen ſtaatsrechtlichen Charakter angenommen, ſeitdem das alte römiſche Weltreich zerriſſen und in eine große Anzahl unabhängiger Fürſtenthümer und Republiken zerfallen war. Die Päpſte begründeten nun dieſen An- ſpruch auf abſolute Weltherrſchaft mit der religiöſen Autorität Gottes, wie die alten römiſchen Kaiſer ihn politiſch mit dem Beruf und Willen des römiſchen Volkes begründet hatten. Der geiſtliche Abſolutismus war aber im Princip eben ſo wenig verträglich mit einer allgemeinen Rechtsordnung, welche die Fürſten und Völker in ihren Rechten ſchützt, als der weltliche. Jener war ſogar gefährlicher, als dieſer, weil er ſeine Vollmacht aus dem unerforſchlichen Willen des allmächtigen Gottes ableitete und nicht wie dieſer in dem ausgeſprochenen Menſchengeſetz eine deutliche Schranke fand. Dennoch war die behauptete göttliche Herrſchaft des Papſtes über die chriſt- lichen Völker ſchwächer als die Hoheit des antiken römiſchen Kaiſers, weil der chriſtliche Papſt grundſätzlich genöthigt war, die Zweiheit von Stat und Kirche anzuerkennen und das weltliche Schwert nicht ſelber hand- haben durfte, ſondern dem Könige überlaſſen mußte. So oft daher eine weltliche Macht dem Papſte ihren Gehorſam oder ihren Beiſtand verſagte, wie das trotz Kirchenbann und Interdict auch im Mittelalter nicht ſelten geſchah, ſo war ſein Spruch und ſein Gebot in ſeiner Wirkſamkeit gelähmt.
Es zeigte ſich aber im Mittelalter noch ein zweites Grundgebrechen, welches jede Geſtaltung eines päpſtlichen Völkerrechts unmöglich machte. Eben die religiöſe Begründung des päpſtlichen Rechts verhinderte dasſelbe allgemein-menſchlich zu werden. Die Kirche verlangte den Glauben als die Grundbedingung auch des Rechts. Nur unter der gläubigen Chriſten- heit ſollte der Friede walten und die Rechtsordnung gelten. Den Un- gläubigen gegenüber kannte das Papſtthum keine Schonung und keine Achtung der Menſchenrechte. Gegen die Ungläubigen war der Krieg die Loſung; man ließ ihnen nur die Wahl zwiſchen Bekehrung oder Ver- tilgung. Jede Ketzerei und den Unglauben auszurotten auf der Erde, das
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Einleitung.
rechtliche Stellung der Päpſte litt doch an großen Mängeln. Wo das
öffentliche Recht in Frage war, da waren die mächtigen Parteien nicht ge-
neigt, ſich dem geiſtlichen Gericht zu unterwerfen, und die Päpſte ver-
mochten nicht, den trotzigen Widerſpruch zu beſeitigen, nicht den Wider-
ſtand zu brechen.
Es gelang den Päpſten ſo wenig, ihr völkerrechtliches Schiedsrichter-
amt durchzuſetzen, als es ihnen glückte, ihren Anſpruch auf Weltherr-
ſchaft zu verwirklichen. Auch dieſer Anſpruch hatte eher einen völker-
als einen ſtaatsrechtlichen Charakter angenommen, ſeitdem das alte römiſche
Weltreich zerriſſen und in eine große Anzahl unabhängiger Fürſtenthümer
und Republiken zerfallen war. Die Päpſte begründeten nun dieſen An-
ſpruch auf abſolute Weltherrſchaft mit der religiöſen Autorität Gottes, wie
die alten römiſchen Kaiſer ihn politiſch mit dem Beruf und Willen des
römiſchen Volkes begründet hatten. Der geiſtliche Abſolutismus war aber
im Princip eben ſo wenig verträglich mit einer allgemeinen Rechtsordnung,
welche die Fürſten und Völker in ihren Rechten ſchützt, als der weltliche.
Jener war ſogar gefährlicher, als dieſer, weil er ſeine Vollmacht aus dem
unerforſchlichen Willen des allmächtigen Gottes ableitete und nicht wie
dieſer in dem ausgeſprochenen Menſchengeſetz eine deutliche Schranke fand.
Dennoch war die behauptete göttliche Herrſchaft des Papſtes über die chriſt-
lichen Völker ſchwächer als die Hoheit des antiken römiſchen Kaiſers, weil
der chriſtliche Papſt grundſätzlich genöthigt war, die Zweiheit von Stat
und Kirche anzuerkennen und das weltliche Schwert nicht ſelber hand-
haben durfte, ſondern dem Könige überlaſſen mußte. So oft daher eine
weltliche Macht dem Papſte ihren Gehorſam oder ihren Beiſtand verſagte,
wie das trotz Kirchenbann und Interdict auch im Mittelalter nicht ſelten
geſchah, ſo war ſein Spruch und ſein Gebot in ſeiner Wirkſamkeit gelähmt.
Es zeigte ſich aber im Mittelalter noch ein zweites Grundgebrechen,
welches jede Geſtaltung eines päpſtlichen Völkerrechts unmöglich machte.
Eben die religiöſe Begründung des päpſtlichen Rechts verhinderte dasſelbe
allgemein-menſchlich zu werden. Die Kirche verlangte den Glauben als
die Grundbedingung auch des Rechts. Nur unter der gläubigen Chriſten-
heit ſollte der Friede walten und die Rechtsordnung gelten. Den Un-
gläubigen gegenüber kannte das Papſtthum keine Schonung und keine
Achtung der Menſchenrechte. Gegen die Ungläubigen war der Krieg die
Loſung; man ließ ihnen nur die Wahl zwiſchen Bekehrung oder Ver-
tilgung. Jede Ketzerei und den Unglauben auszurotten auf der Erde, das
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Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868, S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_voelkerrecht_1868/35>, abgerufen am 23.11.2024.
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