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Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868.

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Völkerrechtliche Verträge.
daß es auf die Autorität eines Gesetzes hinweist, wie das wohl im Privatrecht oft
genügt. Meines Erachtens läßt sie sich nicht auf den freien Willen der Staten
gründen. Der Satz, daß die Willensfreiheit auch in der Freiheit sich
zu binden
, zeigen und bewahren müsse, ist offenbar nicht richtig; denn die Willens-
freiheit für sich allein bindet nur, weil sie will und daher nur auf so
lange sie will
. Sie erklärt die Wirksamkeit des Willensacts, während der wir-
kende Wille fortdauert, aber nicht mehr, wenn der Wille wechselt. Der freie Mensch
kann und darf seine Willensfreiheit nicht aufgeben, sie begleitet ihn fort durch sein
ganzes Leben, sie ist ein Theil seiner Existenz, seiner Person. Er kann und darf
sich nicht durch freien Willen um den freien Willen bringen, sich nicht selber zum
Sclaven machen. Der individuelle Wille ist überdem für sich allein nicht Rechts-
bildend, nicht die erste Ursache des Rechts. Wäre er es, so müßte alles Ge-
wollte
Recht sein. Es müßte z. B. im Privatrecht möglich sein, eine Ehe auf ein
Jahr zu schließen, Grundeigenthum ohne die Grundbücher zu übertragen, Wechsel-
verbindlichkeiten ohne die Wechselform einzugehen. Das ist aber so wenig im Privat-
recht wie im Völkerrecht der Fall. Die Rechtsverbindlichkeit der Verträge ist also
nicht die nothwendige Wirkung der Willensfreiheit, sondern setzt die Existenz einer
nothwendigen, nicht von der Willkür geschaffenen Rechtsordnung der Gemein-
schaft voraus. Der Willensact der einzelnen Personen, selbst der Staten im Völ-
kerrecht, ist demnach nicht die primäre, sondern erst eine secundäre Ursache der
Rechtsbildung. Der Einzelwille bewirkt Recht, nur gemäß und nur innerhalb
der gemeinsamen Rechtsordnung
. Die Verbindlichkeit der Verträge ist
selber ein nothwendiger Rechtssatz. Sie ist nothwendig, weil ohne sie kein ge-
sicherter Rechtsverkehr und kein friedlicher Rechtszustand der Völker möglich wäre.
In ihr äußert sich die nachhaltige fortdauernde Wirkung der Rechtsordnung.
Man nehme den guten Glauben weg in die Wahrhaftigkeit der völkerrechtlichen Er-
klärung und die Wirksamkeit der ertheilten Zusage und alle Rechtssicherheit stürzt in
dem Widerstreit der wechselnden Meinungen und Interessen rettungslos zusammen.
Die Willenserklärung noch ist eine Aeußerung der Freiheit, das Halten des
Worts
aber ist eine Forderung der Treue, welche bewahrt, was die
rechtmäßige Freiheit schafft.

411.

Dem anerkannten Menschenrecht zuwider und daher ungültig sind
insbesondere Verträge, welche

a) die Sclaverei einführen oder verbreiten und schützen (§ 360 f.),
b) die Fremden als rechtlos erklären (§ 381 f.),
c) die freie Schiffahrt auf offener See verhindern (§ 307 f.),
d) Verfolgungen des Glaubens wegen anordnen.

Von den Fällen a--c war oben schon die Rede. Der vierte gehört erst der
modernen Rechtsbildung an. Die gereifte Menschheit legt mit Recht auf die religiöse

Völkerrechtliche Verträge.
daß es auf die Autorität eines Geſetzes hinweist, wie das wohl im Privatrecht oft
genügt. Meines Erachtens läßt ſie ſich nicht auf den freien Willen der Staten
gründen. Der Satz, daß die Willensfreiheit auch in der Freiheit ſich
zu binden
, zeigen und bewahren müſſe, iſt offenbar nicht richtig; denn die Willens-
freiheit für ſich allein bindet nur, weil ſie will und daher nur auf ſo
lange ſie will
. Sie erklärt die Wirkſamkeit des Willensacts, während der wir-
kende Wille fortdauert, aber nicht mehr, wenn der Wille wechſelt. Der freie Menſch
kann und darf ſeine Willensfreiheit nicht aufgeben, ſie begleitet ihn fort durch ſein
ganzes Leben, ſie iſt ein Theil ſeiner Exiſtenz, ſeiner Perſon. Er kann und darf
ſich nicht durch freien Willen um den freien Willen bringen, ſich nicht ſelber zum
Sclaven machen. Der individuelle Wille iſt überdem für ſich allein nicht Rechts-
bildend, nicht die erſte Urſache des Rechts. Wäre er es, ſo müßte alles Ge-
wollte
Recht ſein. Es müßte z. B. im Privatrecht möglich ſein, eine Ehe auf ein
Jahr zu ſchließen, Grundeigenthum ohne die Grundbücher zu übertragen, Wechſel-
verbindlichkeiten ohne die Wechſelform einzugehen. Das iſt aber ſo wenig im Privat-
recht wie im Völkerrecht der Fall. Die Rechtsverbindlichkeit der Verträge iſt alſo
nicht die nothwendige Wirkung der Willensfreiheit, ſondern ſetzt die Exiſtenz einer
nothwendigen, nicht von der Willkür geſchaffenen Rechtsordnung der Gemein-
ſchaft voraus. Der Willensact der einzelnen Perſonen, ſelbſt der Staten im Völ-
kerrecht, iſt demnach nicht die primäre, ſondern erſt eine ſecundäre Urſache der
Rechtsbildung. Der Einzelwille bewirkt Recht, nur gemäß und nur innerhalb
der gemeinſamen Rechtsordnung
. Die Verbindlichkeit der Verträge iſt
ſelber ein nothwendiger Rechtsſatz. Sie iſt nothwendig, weil ohne ſie kein ge-
ſicherter Rechtsverkehr und kein friedlicher Rechtszuſtand der Völker möglich wäre.
In ihr äußert ſich die nachhaltige fortdauernde Wirkung der Rechtsordnung.
Man nehme den guten Glauben weg in die Wahrhaftigkeit der völkerrechtlichen Er-
klärung und die Wirkſamkeit der ertheilten Zuſage und alle Rechtsſicherheit ſtürzt in
dem Widerſtreit der wechſelnden Meinungen und Intereſſen rettungslos zuſammen.
Die Willenserklärung noch iſt eine Aeußerung der Freiheit, das Halten des
Worts
aber iſt eine Forderung der Treue, welche bewahrt, was die
rechtmäßige Freiheit ſchafft.

411.

Dem anerkannten Menſchenrecht zuwider und daher ungültig ſind
insbeſondere Verträge, welche

a) die Sclaverei einführen oder verbreiten und ſchützen (§ 360 f.),
b) die Fremden als rechtlos erklären (§ 381 f.),
c) die freie Schiffahrt auf offener See verhindern (§ 307 f.),
d) Verfolgungen des Glaubens wegen anordnen.

Von den Fällen a—c war oben ſchon die Rede. Der vierte gehört erſt der
modernen Rechtsbildung an. Die gereifte Menſchheit legt mit Recht auf die religiöſe

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[235/0257] Völkerrechtliche Verträge. daß es auf die Autorität eines Geſetzes hinweist, wie das wohl im Privatrecht oft genügt. Meines Erachtens läßt ſie ſich nicht auf den freien Willen der Staten gründen. Der Satz, daß die Willensfreiheit auch in der Freiheit ſich zu binden, zeigen und bewahren müſſe, iſt offenbar nicht richtig; denn die Willens- freiheit für ſich allein bindet nur, weil ſie will und daher nur auf ſo lange ſie will. Sie erklärt die Wirkſamkeit des Willensacts, während der wir- kende Wille fortdauert, aber nicht mehr, wenn der Wille wechſelt. Der freie Menſch kann und darf ſeine Willensfreiheit nicht aufgeben, ſie begleitet ihn fort durch ſein ganzes Leben, ſie iſt ein Theil ſeiner Exiſtenz, ſeiner Perſon. Er kann und darf ſich nicht durch freien Willen um den freien Willen bringen, ſich nicht ſelber zum Sclaven machen. Der individuelle Wille iſt überdem für ſich allein nicht Rechts- bildend, nicht die erſte Urſache des Rechts. Wäre er es, ſo müßte alles Ge- wollte Recht ſein. Es müßte z. B. im Privatrecht möglich ſein, eine Ehe auf ein Jahr zu ſchließen, Grundeigenthum ohne die Grundbücher zu übertragen, Wechſel- verbindlichkeiten ohne die Wechſelform einzugehen. Das iſt aber ſo wenig im Privat- recht wie im Völkerrecht der Fall. Die Rechtsverbindlichkeit der Verträge iſt alſo nicht die nothwendige Wirkung der Willensfreiheit, ſondern ſetzt die Exiſtenz einer nothwendigen, nicht von der Willkür geſchaffenen Rechtsordnung der Gemein- ſchaft voraus. Der Willensact der einzelnen Perſonen, ſelbſt der Staten im Völ- kerrecht, iſt demnach nicht die primäre, ſondern erſt eine ſecundäre Urſache der Rechtsbildung. Der Einzelwille bewirkt Recht, nur gemäß und nur innerhalb der gemeinſamen Rechtsordnung. Die Verbindlichkeit der Verträge iſt ſelber ein nothwendiger Rechtsſatz. Sie iſt nothwendig, weil ohne ſie kein ge- ſicherter Rechtsverkehr und kein friedlicher Rechtszuſtand der Völker möglich wäre. In ihr äußert ſich die nachhaltige fortdauernde Wirkung der Rechtsordnung. Man nehme den guten Glauben weg in die Wahrhaftigkeit der völkerrechtlichen Er- klärung und die Wirkſamkeit der ertheilten Zuſage und alle Rechtsſicherheit ſtürzt in dem Widerſtreit der wechſelnden Meinungen und Intereſſen rettungslos zuſammen. Die Willenserklärung noch iſt eine Aeußerung der Freiheit, das Halten des Worts aber iſt eine Forderung der Treue, welche bewahrt, was die rechtmäßige Freiheit ſchafft. 411. Dem anerkannten Menſchenrecht zuwider und daher ungültig ſind insbeſondere Verträge, welche a) die Sclaverei einführen oder verbreiten und ſchützen (§ 360 f.), b) die Fremden als rechtlos erklären (§ 381 f.), c) die freie Schiffahrt auf offener See verhindern (§ 307 f.), d) Verfolgungen des Glaubens wegen anordnen. Von den Fällen a—c war oben ſchon die Rede. Der vierte gehört erſt der modernen Rechtsbildung an. Die gereifte Menſchheit legt mit Recht auf die religiöſe

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868, S. 235. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_voelkerrecht_1868/257>, abgerufen am 21.11.2024.