Landesfremde sind im Inland nicht militärpflichtig. Vorbehalten bleiben Nothfälle zur Vertheidigung eines Ortes wider Räuber oder Wilde.
Die Militärpflicht ist wesentlich politische Pflicht und daher von der Statsgenossenschaft nicht zu trennen. Wie den Fremden in der Regel nicht politische Rechte eingeräumt werden, so dürfen ihnen auch nicht so schwere politische Pflichten auferlegt werden. Würden die Fremden genöthigt, Militärdienste in fremdem Lande zu thun, so würden sie unter Umständen genöthigt, für ihnen fremde Statsinteressen und gegen die politischen Interessen ihres Vaterlandes ihr Leben einzusetzen, was offenbar unnatürlich wäre. Selbst wenn die Fremden ansässig im Lande sind, so dürfen sie höchstens zu solchen Militärdiensten herbeigezogen werden, welche den Zweck haben, Personen und Eigenthum durch locale Kraftentwicklung zu schützen, also zur Vertheidigung des Orts, aber nicht zu politischer Kriegsführung.
392.
Den Fremden muß der freie Wegzug jederzeit offen stehn.
Im Mittelalter war dieses Recht auch in den europäischen Staten keineswegs anerkannt. Heute wird es nur in barbarischen Ländern noch bestritten. Es folgt aus dem natürlichen Recht des menschlich-freien Verkehrs.
393.
Auch der Wegzug des Vermögens oder der Verlassenschaft von Fremden darf in der Regel nicht verwehrt, noch mit besondern Steuern oder Abzügen belästigt werden.
Bis in unser Jahrhundert hinein galten in den meisten europäischen Ländern noch andere Grundsätze. Der Wegzug insbesondere von Capitalvermögen wurde noch vielfältig mit Abzugssteuern beschwert und noch mehr der Wegzug von Verlassenschaften. Die mittelalterlichen Landesherrn behaupteten öfter ein ausschließliches Recht auf die Verlassenschaft der Fremden zu haben, welche sich in ihrem Territorium vorfand, selbst mit Ausschluß der ausländischen Erben. Man nannte das jus albinagii, droit d'aubaine. War es nicht mehr möglich, den Fremden selbst als ein rechtloses Wesen zu behandeln, so behandelte man doch seine Verlassenschaft als ein herrenloses Gut. Unsere heutige Rechtsbildung erkennt darin eine widerrechtliche Barbarei und gibt auch die ermäßigte Form der Abzugs- steuern nicht mehr zu. In einer sehr großen Anzahl von Statenverträgen sind diese Abzugsgelder vertragsmäßig während unsers Jahrhunderts abgeschafft worden. All- mählich ist aber aus diesem Vertrags- und Gesetzesrecht allgemeines interna-
Fünftes Buch.
391.
Landesfremde ſind im Inland nicht militärpflichtig. Vorbehalten bleiben Nothfälle zur Vertheidigung eines Ortes wider Räuber oder Wilde.
Die Militärpflicht iſt weſentlich politiſche Pflicht und daher von der Statsgenoſſenſchaft nicht zu trennen. Wie den Fremden in der Regel nicht politiſche Rechte eingeräumt werden, ſo dürfen ihnen auch nicht ſo ſchwere politiſche Pflichten auferlegt werden. Würden die Fremden genöthigt, Militärdienſte in fremdem Lande zu thun, ſo würden ſie unter Umſtänden genöthigt, für ihnen fremde Statsintereſſen und gegen die politiſchen Intereſſen ihres Vaterlandes ihr Leben einzuſetzen, was offenbar unnatürlich wäre. Selbſt wenn die Fremden anſäſſig im Lande ſind, ſo dürfen ſie höchſtens zu ſolchen Militärdienſten herbeigezogen werden, welche den Zweck haben, Perſonen und Eigenthum durch locale Kraftentwicklung zu ſchützen, alſo zur Vertheidigung des Orts, aber nicht zu politiſcher Kriegsführung.
392.
Den Fremden muß der freie Wegzug jederzeit offen ſtehn.
Im Mittelalter war dieſes Recht auch in den europäiſchen Staten keineswegs anerkannt. Heute wird es nur in barbariſchen Ländern noch beſtritten. Es folgt aus dem natürlichen Recht des menſchlich-freien Verkehrs.
393.
Auch der Wegzug des Vermögens oder der Verlaſſenſchaft von Fremden darf in der Regel nicht verwehrt, noch mit beſondern Steuern oder Abzügen beläſtigt werden.
Bis in unſer Jahrhundert hinein galten in den meiſten europäiſchen Ländern noch andere Grundſätze. Der Wegzug insbeſondere von Capitalvermögen wurde noch vielfältig mit Abzugsſteuern beſchwert und noch mehr der Wegzug von Verlaſſenſchaften. Die mittelalterlichen Landesherrn behaupteten öfter ein ausſchließliches Recht auf die Verlaſſenſchaft der Fremden zu haben, welche ſich in ihrem Territorium vorfand, ſelbſt mit Ausſchluß der ausländiſchen Erben. Man nannte das jus albinagii, droit d’aubaine. War es nicht mehr möglich, den Fremden ſelbſt als ein rechtloſes Weſen zu behandeln, ſo behandelte man doch ſeine Verlaſſenſchaft als ein herrenloſes Gut. Unſere heutige Rechtsbildung erkennt darin eine widerrechtliche Barbarei und gibt auch die ermäßigte Form der Abzugs- ſteuern nicht mehr zu. In einer ſehr großen Anzahl von Statenverträgen ſind dieſe Abzugsgelder vertragsmäßig während unſers Jahrhunderts abgeſchafft worden. All- mählich iſt aber aus dieſem Vertrags- und Geſetzesrecht allgemeines interna-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><pbfacs="#f0246"n="224"/><fwplace="top"type="header">Fünftes Buch.</fw><lb/><divn="4"><head>391.</head><lb/><p>Landesfremde ſind im Inland nicht militärpflichtig. Vorbehalten<lb/>
bleiben Nothfälle zur Vertheidigung eines Ortes wider Räuber oder<lb/>
Wilde.</p><lb/><p>Die Militärpflicht iſt weſentlich <hirendition="#g">politiſche Pflicht</hi> und daher von der<lb/>
Statsgenoſſenſchaft nicht zu trennen. Wie den Fremden in der Regel nicht politiſche<lb/>
Rechte eingeräumt werden, ſo dürfen ihnen auch nicht ſo ſchwere politiſche Pflichten<lb/>
auferlegt werden. Würden die Fremden genöthigt, Militärdienſte in fremdem Lande<lb/>
zu thun, ſo würden ſie unter Umſtänden genöthigt, für ihnen fremde Statsintereſſen<lb/>
und gegen die politiſchen Intereſſen ihres Vaterlandes ihr Leben einzuſetzen, was<lb/>
offenbar unnatürlich wäre. Selbſt wenn die Fremden <hirendition="#g">anſäſſig</hi> im Lande ſind, ſo<lb/>
dürfen ſie höchſtens zu ſolchen Militärdienſten herbeigezogen werden, welche den Zweck<lb/>
haben, Perſonen und Eigenthum durch <hirendition="#g">locale Kraftentwicklung</hi> zu ſchützen,<lb/>
alſo zur Vertheidigung des Orts, aber <hirendition="#g">nicht</hi> zu <hirendition="#g">politiſcher Kriegsführung</hi>.</p></div><lb/><divn="4"><head>392.</head><lb/><p>Den Fremden muß der freie Wegzug jederzeit offen ſtehn.</p><lb/><p>Im Mittelalter war dieſes Recht auch in den europäiſchen Staten keineswegs<lb/>
anerkannt. Heute wird es nur in barbariſchen Ländern noch beſtritten. Es folgt<lb/>
aus dem natürlichen Recht des menſchlich-freien Verkehrs.</p></div><lb/><divn="4"><head>393.</head><lb/><p>Auch der Wegzug des Vermögens oder der Verlaſſenſchaft von<lb/>
Fremden darf in der Regel nicht verwehrt, noch mit beſondern Steuern<lb/>
oder Abzügen beläſtigt werden.</p><lb/><p>Bis in unſer Jahrhundert hinein galten in den meiſten europäiſchen Ländern<lb/>
noch andere Grundſätze. Der Wegzug insbeſondere von <hirendition="#g">Capitalvermögen</hi><lb/>
wurde noch vielfältig mit <hirendition="#g">Abzugsſteuern</hi> beſchwert und noch mehr der Wegzug<lb/>
von <hirendition="#g">Verlaſſenſchaften</hi>. Die mittelalterlichen Landesherrn behaupteten öfter ein<lb/>
ausſchließliches Recht auf die Verlaſſenſchaft der Fremden zu haben, welche ſich in<lb/>
ihrem Territorium vorfand, ſelbſt mit Ausſchluß der ausländiſchen Erben. Man<lb/>
nannte das <hirendition="#g"><hirendition="#aq">jus albinagii, droit d’aubaine</hi></hi>. War es nicht mehr möglich,<lb/>
den Fremden ſelbſt als ein rechtloſes Weſen zu behandeln, ſo behandelte man doch<lb/>ſeine Verlaſſenſchaft als ein herrenloſes Gut. Unſere heutige Rechtsbildung erkennt<lb/>
darin eine widerrechtliche Barbarei und gibt auch die ermäßigte Form der Abzugs-<lb/>ſteuern nicht mehr zu. In einer ſehr großen Anzahl von Statenverträgen ſind dieſe<lb/>
Abzugsgelder vertragsmäßig während unſers Jahrhunderts abgeſchafft worden. All-<lb/>
mählich iſt aber aus dieſem Vertrags- und Geſetzesrecht <hirendition="#g">allgemeines interna-</hi><lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[224/0246]
Fünftes Buch.
391.
Landesfremde ſind im Inland nicht militärpflichtig. Vorbehalten
bleiben Nothfälle zur Vertheidigung eines Ortes wider Räuber oder
Wilde.
Die Militärpflicht iſt weſentlich politiſche Pflicht und daher von der
Statsgenoſſenſchaft nicht zu trennen. Wie den Fremden in der Regel nicht politiſche
Rechte eingeräumt werden, ſo dürfen ihnen auch nicht ſo ſchwere politiſche Pflichten
auferlegt werden. Würden die Fremden genöthigt, Militärdienſte in fremdem Lande
zu thun, ſo würden ſie unter Umſtänden genöthigt, für ihnen fremde Statsintereſſen
und gegen die politiſchen Intereſſen ihres Vaterlandes ihr Leben einzuſetzen, was
offenbar unnatürlich wäre. Selbſt wenn die Fremden anſäſſig im Lande ſind, ſo
dürfen ſie höchſtens zu ſolchen Militärdienſten herbeigezogen werden, welche den Zweck
haben, Perſonen und Eigenthum durch locale Kraftentwicklung zu ſchützen,
alſo zur Vertheidigung des Orts, aber nicht zu politiſcher Kriegsführung.
392.
Den Fremden muß der freie Wegzug jederzeit offen ſtehn.
Im Mittelalter war dieſes Recht auch in den europäiſchen Staten keineswegs
anerkannt. Heute wird es nur in barbariſchen Ländern noch beſtritten. Es folgt
aus dem natürlichen Recht des menſchlich-freien Verkehrs.
393.
Auch der Wegzug des Vermögens oder der Verlaſſenſchaft von
Fremden darf in der Regel nicht verwehrt, noch mit beſondern Steuern
oder Abzügen beläſtigt werden.
Bis in unſer Jahrhundert hinein galten in den meiſten europäiſchen Ländern
noch andere Grundſätze. Der Wegzug insbeſondere von Capitalvermögen
wurde noch vielfältig mit Abzugsſteuern beſchwert und noch mehr der Wegzug
von Verlaſſenſchaften. Die mittelalterlichen Landesherrn behaupteten öfter ein
ausſchließliches Recht auf die Verlaſſenſchaft der Fremden zu haben, welche ſich in
ihrem Territorium vorfand, ſelbſt mit Ausſchluß der ausländiſchen Erben. Man
nannte das jus albinagii, droit d’aubaine. War es nicht mehr möglich,
den Fremden ſelbſt als ein rechtloſes Weſen zu behandeln, ſo behandelte man doch
ſeine Verlaſſenſchaft als ein herrenloſes Gut. Unſere heutige Rechtsbildung erkennt
darin eine widerrechtliche Barbarei und gibt auch die ermäßigte Form der Abzugs-
ſteuern nicht mehr zu. In einer ſehr großen Anzahl von Statenverträgen ſind dieſe
Abzugsgelder vertragsmäßig während unſers Jahrhunderts abgeſchafft worden. All-
mählich iſt aber aus dieſem Vertrags- und Geſetzesrecht allgemeines interna-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868, S. 224. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_voelkerrecht_1868/246>, abgerufen am 03.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.