Die Auswanderung wird dadurch vollzogen, daß der bisherige Statsgenosse sein Heimatland in der Absicht verläßt, die Statsgenossen- schaft mit demselben aufzugeben und von einem andern State in dessen Statsverband aufgenommen wird.
Es kann Jemand sein Vaterland in der Absicht verlassen, anderwärts ein Etablissement zu gründen oder irgend einen Beruf zu treiben, ohne daß er die Ab- sicht hat, sein Statsbürgerrecht aufzugeben. Das ist nicht Auswanderung. Aber auch die Absicht allein genügt nicht zur Lösung des Bandes. Abgesehen von der in manchen Staten geforderten Entlassung aus dem Statsverband, ist als entscheidend die Aufnahme in eine neue Statsgenossenschaft anzusehn. Denn es besteht ein allgemeines völkerrechtliches Interesse, keine neue Heimatlosigkeit aufkom- men zu lassen. Daher dauert die alte Statsgenossenschaft in völkerrechtlichem Sinne dennoch fort, bis die neue an ihre Stelle getreten ist; aber auch nicht darüber hinaus, gegen den Willen des Betheiligten, weil sonst leicht Conflicte zwischen den beiden Staten entstehen, die im Interesse des friedlichen Verkehrs zu vermeiden sind. Der neue Statsverband verdient deßhalb den Vorzug vor dem ältern, weil dieser nicht mehr, wohl aber jener mit dem Willen des Auswanderers und mit den that- sächlichen Verhältnissen desselben zusammen stimmt. Die französische Gesetzgebung (Cod. civ. § 17) spricht das richtige Princip aus: "La qualite de Francais se perdra par la naturalisation en pays etranger."
372.
Wenn der Auswanderer die Pflichten verletzt, welche er nach dem Gesetze seines Landes zu erfüllen hat, bevor er auswandern darf, so kann er von dem verlassenen State auch dann noch innerhalb dessen Gerichts- barkeit zur Rechenschaft und Strafe gezogen werden, wenn er eine neue Statsgenossenschaft erworben hat, aber er hat trotzdem Anspruch auf den Schutz seines neuen Heimatstats dafür, daß nicht durch jene Bestrafung sein gegenwärtiger Rechtsverband mißachtet werde.
Nach Preußischem Rechte wurden so Preußische Auswanderer, welche sich der gesetzlichen Militärpflicht entzogen hatten, wenn sie später wieder nach Preußen zurückkamen, vor Gericht gestellt und gestraft. Darüber kam es mit den Vereinigten Staten von Amerika wiederholt zu Erörterungen, indem sich diese ihrer Einwanderer und neuen Bürger annahmen. Der Conflict der beiden Staten läßt sich, abgesehen von besonderen Verträgen, nur dadurch lösen, daß jedem State sein Recht wird, dem vormaligen Heimatstate sein Recht, die Fahnenflüchtigen wegen der unbestreitbaren Pflichtverletzung zu strafen, aber auch dem neuen Heimat- state sein Recht, nunmehr seinerseits den Neubürger als solchen zu schützen und dessen militärische Dienste vorzugsweise in Anspruch zu nehmen.
Die Statshoheit im Verhältniß zu den Perſonen.
Die Auswanderung wird dadurch vollzogen, daß der bisherige Statsgenoſſe ſein Heimatland in der Abſicht verläßt, die Statsgenoſſen- ſchaft mit demſelben aufzugeben und von einem andern State in deſſen Statsverband aufgenommen wird.
Es kann Jemand ſein Vaterland in der Abſicht verlaſſen, anderwärts ein Etabliſſement zu gründen oder irgend einen Beruf zu treiben, ohne daß er die Ab- ſicht hat, ſein Statsbürgerrecht aufzugeben. Das iſt nicht Auswanderung. Aber auch die Abſicht allein genügt nicht zur Löſung des Bandes. Abgeſehen von der in manchen Staten geforderten Entlaſſung aus dem Statsverband, iſt als entſcheidend die Aufnahme in eine neue Statsgenoſſenſchaft anzuſehn. Denn es beſteht ein allgemeines völkerrechtliches Intereſſe, keine neue Heimatloſigkeit aufkom- men zu laſſen. Daher dauert die alte Statsgenoſſenſchaft in völkerrechtlichem Sinne dennoch fort, bis die neue an ihre Stelle getreten iſt; aber auch nicht darüber hinaus, gegen den Willen des Betheiligten, weil ſonſt leicht Conflicte zwiſchen den beiden Staten entſtehen, die im Intereſſe des friedlichen Verkehrs zu vermeiden ſind. Der neue Statsverband verdient deßhalb den Vorzug vor dem ältern, weil dieſer nicht mehr, wohl aber jener mit dem Willen des Auswanderers und mit den that- ſächlichen Verhältniſſen desſelben zuſammen ſtimmt. Die franzöſiſche Geſetzgebung (Cod. civ. § 17) ſpricht das richtige Princip aus: „La qualité de Français se perdra par la naturalisation en pays étranger.“
372.
Wenn der Auswanderer die Pflichten verletzt, welche er nach dem Geſetze ſeines Landes zu erfüllen hat, bevor er auswandern darf, ſo kann er von dem verlaſſenen State auch dann noch innerhalb deſſen Gerichts- barkeit zur Rechenſchaft und Strafe gezogen werden, wenn er eine neue Statsgenoſſenſchaft erworben hat, aber er hat trotzdem Anſpruch auf den Schutz ſeines neuen Heimatſtats dafür, daß nicht durch jene Beſtrafung ſein gegenwärtiger Rechtsverband mißachtet werde.
Nach Preußiſchem Rechte wurden ſo Preußiſche Auswanderer, welche ſich der geſetzlichen Militärpflicht entzogen hatten, wenn ſie ſpäter wieder nach Preußen zurückkamen, vor Gericht geſtellt und geſtraft. Darüber kam es mit den Vereinigten Staten von Amerika wiederholt zu Erörterungen, indem ſich dieſe ihrer Einwanderer und neuen Bürger annahmen. Der Conflict der beiden Staten läßt ſich, abgeſehen von beſonderen Verträgen, nur dadurch löſen, daß jedem State ſein Recht wird, dem vormaligen Heimatſtate ſein Recht, die Fahnenflüchtigen wegen der unbeſtreitbaren Pflichtverletzung zu ſtrafen, aber auch dem neuen Heimat- ſtate ſein Recht, nunmehr ſeinerſeits den Neubürger als ſolchen zu ſchützen und deſſen militäriſche Dienſte vorzugsweiſe in Anſpruch zu nehmen.
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Die Statshoheit im Verhältniß zu den Perſonen.
Die Auswanderung wird dadurch vollzogen, daß der bisherige
Statsgenoſſe ſein Heimatland in der Abſicht verläßt, die Statsgenoſſen-
ſchaft mit demſelben aufzugeben und von einem andern State in deſſen
Statsverband aufgenommen wird.
Es kann Jemand ſein Vaterland in der Abſicht verlaſſen, anderwärts ein
Etabliſſement zu gründen oder irgend einen Beruf zu treiben, ohne daß er die Ab-
ſicht hat, ſein Statsbürgerrecht aufzugeben. Das iſt nicht Auswanderung. Aber
auch die Abſicht allein genügt nicht zur Löſung des Bandes. Abgeſehen von der in
manchen Staten geforderten Entlaſſung aus dem Statsverband, iſt als entſcheidend
die Aufnahme in eine neue Statsgenoſſenſchaft anzuſehn. Denn es
beſteht ein allgemeines völkerrechtliches Intereſſe, keine neue Heimatloſigkeit aufkom-
men zu laſſen. Daher dauert die alte Statsgenoſſenſchaft in völkerrechtlichem Sinne
dennoch fort, bis die neue an ihre Stelle getreten iſt; aber auch nicht darüber
hinaus, gegen den Willen des Betheiligten, weil ſonſt leicht Conflicte zwiſchen den
beiden Staten entſtehen, die im Intereſſe des friedlichen Verkehrs zu vermeiden ſind.
Der neue Statsverband verdient deßhalb den Vorzug vor dem ältern, weil dieſer
nicht mehr, wohl aber jener mit dem Willen des Auswanderers und mit den that-
ſächlichen Verhältniſſen desſelben zuſammen ſtimmt. Die franzöſiſche Geſetzgebung
(Cod. civ. § 17) ſpricht das richtige Princip aus: „La qualité de Français se
perdra par la naturalisation en pays étranger.“
372.
Wenn der Auswanderer die Pflichten verletzt, welche er nach dem
Geſetze ſeines Landes zu erfüllen hat, bevor er auswandern darf, ſo kann
er von dem verlaſſenen State auch dann noch innerhalb deſſen Gerichts-
barkeit zur Rechenſchaft und Strafe gezogen werden, wenn er eine neue
Statsgenoſſenſchaft erworben hat, aber er hat trotzdem Anſpruch auf den
Schutz ſeines neuen Heimatſtats dafür, daß nicht durch jene Beſtrafung
ſein gegenwärtiger Rechtsverband mißachtet werde.
Nach Preußiſchem Rechte wurden ſo Preußiſche Auswanderer, welche ſich der
geſetzlichen Militärpflicht entzogen hatten, wenn ſie ſpäter wieder nach Preußen
zurückkamen, vor Gericht geſtellt und geſtraft. Darüber kam es mit den Vereinigten
Staten von Amerika wiederholt zu Erörterungen, indem ſich dieſe ihrer Einwanderer
und neuen Bürger annahmen. Der Conflict der beiden Staten läßt ſich, abgeſehen
von beſonderen Verträgen, nur dadurch löſen, daß jedem State ſein Recht
wird, dem vormaligen Heimatſtate ſein Recht, die Fahnenflüchtigen wegen
der unbeſtreitbaren Pflichtverletzung zu ſtrafen, aber auch dem neuen Heimat-
ſtate ſein Recht, nunmehr ſeinerſeits den Neubürger als ſolchen zu ſchützen und
deſſen militäriſche Dienſte vorzugsweiſe in Anſpruch zu nehmen.
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Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868, S. 215. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_voelkerrecht_1868/237>, abgerufen am 21.11.2024.
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