die Verhandlung des Gerichts, die Aussagen der Zeugen und die Verthei- digung der Angeklagten aufzunehmen.
Die Vertheidigung der Handelsschiffe gegen die Seeräuber ist, wenn irgend eine Aussicht auf Erfolg vorhanden ist, nicht bloß ein Recht, sondern eine Pflicht der Mannschaft. (Vgl. Kaltenborn, Seerecht I. S. 181.) Es ist das ein Fall be- rechtigter Selbsthülfe (oben § 243), in welchem die Gewalt des Capitäns sich bis zur Gerichtsgewalt steigert. "Es geht den Räubern an die Raa", ist die alte Seemannsdrohung. Aber wenn hier der Selbsthülfe eine so eingreifende Wirksamkeit verstattet wird, so ist es auch eine Rechtspflicht derer, welche sie üben, den Aus- nahmefall genau und sorgfältig zu constatiren, und zugleich eine Garantie gegen den möglichen Mißbrauch jenes Nothrechts zu ungerechter Gewaltthat.
349.
Da kein Stat im Frieden berechtigt ist, Seebeute zu machen, so darf auch kein Stat im Frieden Schiffe ermächtigen, auf Beute auszu- fahren. Geschieht es dennoch, so macht sich der Stat der Piraterie schul- dig. Alle civilisirten Staten sind in diesem Falle berechtigt, den Piraten- stat als einen gemeinsamen Feind zu bekämpfen, und denselben zu zwin- gen, daß er für den verübten Schaden Ersatz leiste, Genugthuung und Garantien für künftige Beachtung des Völkerrechts gebe.
1. Während langer Zeit erniedrigten sich die europäischen Staten dazu, an die Piratenstaten der nordafrikanischen Seeküste Tribut zu bezahlen, um da- durch für ihre Handelsschiffe Sicherheit gegen den Seeraub zu erkaufen. Erst in unserer Zeit ist endlich das Mittelländische Meer von dieser Gefahr befreit und hat die unwürdige Duldung von Piratenstaten nun aufgehört.
2. Auch in diesen Fällen sind die Kriegsschiffe aller Staten veranlaßt und er- mächtigt, solche Piratenschiffe auf offener See anzugreisen und wegzunehmen. Die Mannschaft derselben kann aber in diesem Falle, weil sie die Erlaubniß ihres States für sich hat, nicht wegen Piraterie gerichtet werden, sondern ist in der Regel als kriegsgefangen zu behandeln. So wurde von dem englischen Admiralitäts- gerichtshof (Richter Sir Jenkins) im Jahr 1668 entschieden, als Algierische Pi- raten an der Irischen Küste gefangen wurden. PhillimoreI. 355. Wildman I. S. 202.
3. In dem großen amerikanischen Bürgerkriege erklärte der Präsident Lincoln (19. April 1861) alle südstatliche Kaperschiffe als Piratenschiffe und bedrohte dieselben mit der Strafe der Seeräuber. Indessen erklärte sich das englische Oberhaus gegen diese Ausdehnung des Begriffs als nicht im Völkerrecht begründet; und thatsächlich wurden auch in den Nordstaten gefangene Seeleute solcher Kaperschiffe als Kriegsgefangene behandelt. WheatonIntern. Law. § 125. Anm.
Viertes Buch.
die Verhandlung des Gerichts, die Ausſagen der Zeugen und die Verthei- digung der Angeklagten aufzunehmen.
Die Vertheidigung der Handelsſchiffe gegen die Seeräuber iſt, wenn irgend eine Ausſicht auf Erfolg vorhanden iſt, nicht bloß ein Recht, ſondern eine Pflicht der Mannſchaft. (Vgl. Kaltenborn, Seerecht I. S. 181.) Es iſt das ein Fall be- rechtigter Selbſthülfe (oben § 243), in welchem die Gewalt des Capitäns ſich bis zur Gerichtsgewalt ſteigert. „Es geht den Räubern an die Raa“, iſt die alte Seemannsdrohung. Aber wenn hier der Selbſthülfe eine ſo eingreifende Wirkſamkeit verſtattet wird, ſo iſt es auch eine Rechtspflicht derer, welche ſie üben, den Aus- nahmefall genau und ſorgfältig zu conſtatiren, und zugleich eine Garantie gegen den möglichen Mißbrauch jenes Nothrechts zu ungerechter Gewaltthat.
349.
Da kein Stat im Frieden berechtigt iſt, Seebeute zu machen, ſo darf auch kein Stat im Frieden Schiffe ermächtigen, auf Beute auszu- fahren. Geſchieht es dennoch, ſo macht ſich der Stat der Piraterie ſchul- dig. Alle civiliſirten Staten ſind in dieſem Falle berechtigt, den Piraten- ſtat als einen gemeinſamen Feind zu bekämpfen, und denſelben zu zwin- gen, daß er für den verübten Schaden Erſatz leiſte, Genugthuung und Garantien für künftige Beachtung des Völkerrechts gebe.
1. Während langer Zeit erniedrigten ſich die europäiſchen Staten dazu, an die Piratenſtaten der nordafrikaniſchen Seeküſte Tribut zu bezahlen, um da- durch für ihre Handelsſchiffe Sicherheit gegen den Seeraub zu erkaufen. Erſt in unſerer Zeit iſt endlich das Mittelländiſche Meer von dieſer Gefahr befreit und hat die unwürdige Duldung von Piratenſtaten nun aufgehört.
2. Auch in dieſen Fällen ſind die Kriegsſchiffe aller Staten veranlaßt und er- mächtigt, ſolche Piratenſchiffe auf offener See anzugreiſen und wegzunehmen. Die Mannſchaft derſelben kann aber in dieſem Falle, weil ſie die Erlaubniß ihres States für ſich hat, nicht wegen Piraterie gerichtet werden, ſondern iſt in der Regel als kriegsgefangen zu behandeln. So wurde von dem engliſchen Admiralitäts- gerichtshof (Richter Sir Jenkins) im Jahr 1668 entſchieden, als Algieriſche Pi- raten an der Iriſchen Küſte gefangen wurden. PhillimoreI. 355. Wildman I. S. 202.
3. In dem großen amerikaniſchen Bürgerkriege erklärte der Präſident Lincoln (19. April 1861) alle ſüdſtatliche Kaperſchiffe als Piratenſchiffe und bedrohte dieſelben mit der Strafe der Seeräuber. Indeſſen erklärte ſich das engliſche Oberhaus gegen dieſe Ausdehnung des Begriffs als nicht im Völkerrecht begründet; und thatſächlich wurden auch in den Nordſtaten gefangene Seeleute ſolcher Kaperſchiffe als Kriegsgefangene behandelt. WheatonIntern. Law. § 125. Anm.
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Viertes Buch.
die Verhandlung des Gerichts, die Ausſagen der Zeugen und die Verthei-
digung der Angeklagten aufzunehmen.
Die Vertheidigung der Handelsſchiffe gegen die Seeräuber iſt, wenn irgend
eine Ausſicht auf Erfolg vorhanden iſt, nicht bloß ein Recht, ſondern eine Pflicht der
Mannſchaft. (Vgl. Kaltenborn, Seerecht I. S. 181.) Es iſt das ein Fall be-
rechtigter Selbſthülfe (oben § 243), in welchem die Gewalt des Capitäns ſich
bis zur Gerichtsgewalt ſteigert. „Es geht den Räubern an die Raa“, iſt die alte
Seemannsdrohung. Aber wenn hier der Selbſthülfe eine ſo eingreifende Wirkſamkeit
verſtattet wird, ſo iſt es auch eine Rechtspflicht derer, welche ſie üben, den Aus-
nahmefall genau und ſorgfältig zu conſtatiren, und zugleich eine Garantie gegen den
möglichen Mißbrauch jenes Nothrechts zu ungerechter Gewaltthat.
349.
Da kein Stat im Frieden berechtigt iſt, Seebeute zu machen, ſo
darf auch kein Stat im Frieden Schiffe ermächtigen, auf Beute auszu-
fahren. Geſchieht es dennoch, ſo macht ſich der Stat der Piraterie ſchul-
dig. Alle civiliſirten Staten ſind in dieſem Falle berechtigt, den Piraten-
ſtat als einen gemeinſamen Feind zu bekämpfen, und denſelben zu zwin-
gen, daß er für den verübten Schaden Erſatz leiſte, Genugthuung und
Garantien für künftige Beachtung des Völkerrechts gebe.
1. Während langer Zeit erniedrigten ſich die europäiſchen Staten dazu, an die
Piratenſtaten der nordafrikaniſchen Seeküſte Tribut zu bezahlen, um da-
durch für ihre Handelsſchiffe Sicherheit gegen den Seeraub zu erkaufen. Erſt in
unſerer Zeit iſt endlich das Mittelländiſche Meer von dieſer Gefahr befreit und hat
die unwürdige Duldung von Piratenſtaten nun aufgehört.
2. Auch in dieſen Fällen ſind die Kriegsſchiffe aller Staten veranlaßt und er-
mächtigt, ſolche Piratenſchiffe auf offener See anzugreiſen und wegzunehmen. Die
Mannſchaft derſelben kann aber in dieſem Falle, weil ſie die Erlaubniß ihres States
für ſich hat, nicht wegen Piraterie gerichtet werden, ſondern iſt in der Regel als
kriegsgefangen zu behandeln. So wurde von dem engliſchen Admiralitäts-
gerichtshof (Richter Sir Jenkins) im Jahr 1668 entſchieden, als Algieriſche Pi-
raten an der Iriſchen Küſte gefangen wurden. Phillimore I. 355. Wildman
I. S. 202.
3. In dem großen amerikaniſchen Bürgerkriege erklärte der Präſident
Lincoln (19. April 1861) alle ſüdſtatliche Kaperſchiffe als Piratenſchiffe
und bedrohte dieſelben mit der Strafe der Seeräuber. Indeſſen erklärte ſich das
engliſche Oberhaus gegen dieſe Ausdehnung des Begriffs als nicht im Völkerrecht
begründet; und thatſächlich wurden auch in den Nordſtaten gefangene Seeleute ſolcher
Kaperſchiffe als Kriegsgefangene behandelt. Wheaton Intern. Law. § 125. Anm.
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Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868, S. 200. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_voelkerrecht_1868/222>, abgerufen am 21.11.2024.
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