Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868.Viertes Buch. gegengesetzten Uferstaten vermuthet, wenn nicht durch Verträge oder Uebungeine andere Grenze bestimmt ist. Daneben wird die freie Schiffahrt auf dem See für beiderlei Uferbewohner als Regel anerkannt. Hier muß die Mitte von beiden Ufern ausgemessen werden, da es einen Thal- 302. Bildet das freie Meer die Grenze des Statsgebiets, so wird ange- Eine genauere oder engere Grenze, wie insbesondere die von drei 1. Diese Ausdehnung der Gebietshoheit über das feste Land hinaus in den 2. Die Seegrenze von 3 Seemeilen ist z. B. in den Verträgen zwischen 303. Wenn zwei Staten, welche an das freie Meer grenzen, einander so Das Verhältniß der beiden Uferstaten wird hier ähnlich wie in den Fällen Viertes Buch. gegengeſetzten Uferſtaten vermuthet, wenn nicht durch Verträge oder Uebungeine andere Grenze beſtimmt iſt. Daneben wird die freie Schiffahrt auf dem See für beiderlei Uferbewohner als Regel anerkannt. Hier muß die Mitte von beiden Ufern ausgemeſſen werden, da es einen Thal- 302. Bildet das freie Meer die Grenze des Statsgebiets, ſo wird ange- Eine genauere oder engere Grenze, wie insbeſondere die von drei 1. Dieſe Ausdehnung der Gebietshoheit über das feſte Land hinaus in den 2. Die Seegrenze von 3 Seemeilen iſt z. B. in den Verträgen zwiſchen 303. Wenn zwei Staten, welche an das freie Meer grenzen, einander ſo Das Verhältniß der beiden Uferſtaten wird hier ähnlich wie in den Fällen <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0200" n="178"/><fw place="top" type="header">Viertes Buch.</fw><lb/> gegengeſetzten Uferſtaten vermuthet, wenn nicht durch Verträge oder Uebung<lb/> eine andere Grenze beſtimmt iſt. Daneben wird die freie Schiffahrt auf<lb/> dem See für beiderlei Uferbewohner als Regel anerkannt.</p><lb/> <p>Hier muß die Mitte von beiden Ufern ausgemeſſen werden, da es einen Thal-<lb/> weg nicht gibt, oder wenigſtens derſelbe nicht ebenſo deutlich iſt, wie bei Flüſſen.</p> </div><lb/> <div n="4"> <head>302.</head><lb/> <p>Bildet das freie Meer die Grenze des Statsgebiets, ſo wird ange-<lb/> nommen, der naſſe Küſtenſaum ſei noch ſo weit der Statshoheit unter-<lb/> worfen, als die Statsmacht vom Ufer her ſich darüber erſtreckt, alſo auf<lb/> Kanonenſchußweite.</p><lb/> <p>Eine genauere oder engere Grenze, wie insbeſondere die von drei<lb/> Seemeilen von der Küſte — zur Zeit der Ebbe — kann vertragsmäßig<lb/> oder ſtatsrechtlich beſtimmt werden.</p><lb/> <p>1. Dieſe Ausdehnung der Gebietshoheit über das feſte Land hinaus in den<lb/> Bereich des ſeiner Natur nach ſtatenloſen Meeres iſt freilich nur eine beſchränkte,<lb/> keine vollſtändige. Vgl. darüber unten § 310. 322 ff. Das Maß der Ausdehnung<lb/> iſt überdem ſeit Erfindung der weittragenden gezogenen Geſchütze erheblich größer ge-<lb/> worden; indeſſen iſt dieſe Erweiterung nur die natürliche Wirkung der geſteigerten Stats-<lb/> macht. Anfangs mochte der <hi rendition="#g">Hammerwurf</hi>, dann der <hi rendition="#g">Pfeilſchuß</hi> die engere<lb/> Grenze bezeichnen, dann kam die Erfindung und der große Fortſchritt der <hi rendition="#g">Feuer-<lb/> waffen</hi> in einer Reihe von Abſtufungen von den unſichern und nur in kurzer<lb/> Flugbahn wirkenden erſten <hi rendition="#g">Geſchützen</hi> bis zu der ſcharf und weittreffenden <hi rendition="#g">gezo-<lb/> genen Kanone</hi> der Gegenwart. Immer iſt der leitende Gedanke der: <hi rendition="#aq">„Terrae<lb/> dominium finitur, ubi finitur armorum vis“.</hi></p><lb/> <p>2. Die Seegrenze von 3 Seemeilen iſt z. B. in den Verträgen zwiſchen<lb/><hi rendition="#g">England</hi> und den <hi rendition="#g">Vereinigten Staten</hi> von Amerika vom 28. Oct. 1818<lb/> (Art. 1) und von <hi rendition="#g">Frankreich</hi> und <hi rendition="#g">England</hi> in dem Vertrag vom 2. Aug.<lb/> 1839 (Art. 9 und 10) anerkannt. Vgl. <hi rendition="#g">Oppenheim</hi> Völkerrecht <hi rendition="#aq">III.</hi> § 6.<lb/><hi rendition="#g">Phillimore</hi> <hi rendition="#aq">I.</hi> 240.</p> </div><lb/> <div n="4"> <head>303.</head><lb/> <p>Wenn zwei Staten, welche an das freie Meer grenzen, einander ſo<lb/> nahe ſind, daß der Küſtenſaum je des einen Stats in den Küſtenſaum<lb/> des andern hinüberreicht, ſo ſind ſie verpflichtet, einander in dem gemein-<lb/> ſamen Gebiet wechſelſeitig den Küſtenſchutz zuzugeſtehen, oder über eine<lb/> Scheidelinie ſich zu vereinbaren.</p><lb/> <p>Das Verhältniß der beiden Uferſtaten wird hier ähnlich wie in den Fällen<lb/> der Fluß- oder Seegrenze. Es tritt eine <hi rendition="#g">concurrirende Gebietshoheit</hi> ein.</p> </div> </div><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [178/0200]
Viertes Buch.
gegengeſetzten Uferſtaten vermuthet, wenn nicht durch Verträge oder Uebung
eine andere Grenze beſtimmt iſt. Daneben wird die freie Schiffahrt auf
dem See für beiderlei Uferbewohner als Regel anerkannt.
Hier muß die Mitte von beiden Ufern ausgemeſſen werden, da es einen Thal-
weg nicht gibt, oder wenigſtens derſelbe nicht ebenſo deutlich iſt, wie bei Flüſſen.
302.
Bildet das freie Meer die Grenze des Statsgebiets, ſo wird ange-
nommen, der naſſe Küſtenſaum ſei noch ſo weit der Statshoheit unter-
worfen, als die Statsmacht vom Ufer her ſich darüber erſtreckt, alſo auf
Kanonenſchußweite.
Eine genauere oder engere Grenze, wie insbeſondere die von drei
Seemeilen von der Küſte — zur Zeit der Ebbe — kann vertragsmäßig
oder ſtatsrechtlich beſtimmt werden.
1. Dieſe Ausdehnung der Gebietshoheit über das feſte Land hinaus in den
Bereich des ſeiner Natur nach ſtatenloſen Meeres iſt freilich nur eine beſchränkte,
keine vollſtändige. Vgl. darüber unten § 310. 322 ff. Das Maß der Ausdehnung
iſt überdem ſeit Erfindung der weittragenden gezogenen Geſchütze erheblich größer ge-
worden; indeſſen iſt dieſe Erweiterung nur die natürliche Wirkung der geſteigerten Stats-
macht. Anfangs mochte der Hammerwurf, dann der Pfeilſchuß die engere
Grenze bezeichnen, dann kam die Erfindung und der große Fortſchritt der Feuer-
waffen in einer Reihe von Abſtufungen von den unſichern und nur in kurzer
Flugbahn wirkenden erſten Geſchützen bis zu der ſcharf und weittreffenden gezo-
genen Kanone der Gegenwart. Immer iſt der leitende Gedanke der: „Terrae
dominium finitur, ubi finitur armorum vis“.
2. Die Seegrenze von 3 Seemeilen iſt z. B. in den Verträgen zwiſchen
England und den Vereinigten Staten von Amerika vom 28. Oct. 1818
(Art. 1) und von Frankreich und England in dem Vertrag vom 2. Aug.
1839 (Art. 9 und 10) anerkannt. Vgl. Oppenheim Völkerrecht III. § 6.
Phillimore I. 240.
303.
Wenn zwei Staten, welche an das freie Meer grenzen, einander ſo
nahe ſind, daß der Küſtenſaum je des einen Stats in den Küſtenſaum
des andern hinüberreicht, ſo ſind ſie verpflichtet, einander in dem gemein-
ſamen Gebiet wechſelſeitig den Küſtenſchutz zuzugeſtehen, oder über eine
Scheidelinie ſich zu vereinbaren.
Das Verhältniß der beiden Uferſtaten wird hier ähnlich wie in den Fällen
der Fluß- oder Seegrenze. Es tritt eine concurrirende Gebietshoheit ein.
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