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Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875.

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Viertes Capitel. Entwicklungsgeschichte der Statsidee. II. Das Mittelalter.

In einigen andern Beziehungen hatte die Statsidee auch
Rückschritte gemacht, und nicht blosz, weil der kirchliche
Glaube sie entwürdigte.

Man konnte auch den mittelalterlichen Stat einen Rechts-
stat
nennen; aber in einem andern als in dem Sinne der
Römer. Er war nicht die reine Ordnung des öffentlichen
Rechts. Vielmehr wurden alle seine Institutionen mit privat-
rechtlichen
Elementen versetzt und gemischt. Wie ein
Familiengut, wie ein Stammeseigenthum, wurde die Landes-
herrschaft betrachtet, und die öffentlichen Pflichten wurden wie
Reallasten behandelt. Das ganze Lehensrecht und alle Er-
scheinungen des Patrimonialstates leiden an dieser Mi-
schung. Das Statsrecht der Römer war nur eine Grundlage,
von der aus die öffentliche Wohlfahrt erstrebt wurde. Das
mittelalterliche Recht schien auch das wesentliche Ziel des
mittelalterlichen States zu sein. Die Volkswohlfahrt wurde
darob vernachlässigt.

Der Gedanke des Volksstats war nicht mehr lebendig.
Die Spaltung und Zerbröckelung der Volks- und Statseinheit
durch das Lehenswesen, durch den Gegensatz der Territorien,
der Stände, der Dynastien hatte ihn zerstört, und was endlich
von dem alten römischen Weltstat noch übrig geblieben war,
das war mehr eine ideale völkerrechtliche als eine stats-
rechtliche Verbindung der abendländischen Christenländer,
welche mehr noch durch die Autorität des Papstes und den
römischen Klerus als durch das Kaiserthum zusammengehalten
wurden.

Im Groszen und Ganzen waren die Saaten zu einer freieren
und richtigeren Statsentwicklung ausgestreut worden, aber die
Staatsidee selbst hatte im Mittelalter viel von der römischen
Klarheit und Energie verloren.

C. Der Einflusz der Renaissance.

Auch während des Mittelalters war die Erinnerung
an den antiken Stat nie völlig erloschen. Rom war die

Viertes Capitel. Entwicklungsgeschichte der Statsidee. II. Das Mittelalter.

In einigen andern Beziehungen hatte die Statsidee auch
Rückschritte gemacht, und nicht blosz, weil der kirchliche
Glaube sie entwürdigte.

Man konnte auch den mittelalterlichen Stat einen Rechts-
stat
nennen; aber in einem andern als in dem Sinne der
Römer. Er war nicht die reine Ordnung des öffentlichen
Rechts. Vielmehr wurden alle seine Institutionen mit privat-
rechtlichen
Elementen versetzt und gemischt. Wie ein
Familiengut, wie ein Stammeseigenthum, wurde die Landes-
herrschaft betrachtet, und die öffentlichen Pflichten wurden wie
Reallasten behandelt. Das ganze Lehensrecht und alle Er-
scheinungen des Patrimonialstates leiden an dieser Mi-
schung. Das Statsrecht der Römer war nur eine Grundlage,
von der aus die öffentliche Wohlfahrt erstrebt wurde. Das
mittelalterliche Recht schien auch das wesentliche Ziel des
mittelalterlichen States zu sein. Die Volkswohlfahrt wurde
darob vernachlässigt.

Der Gedanke des Volksstats war nicht mehr lebendig.
Die Spaltung und Zerbröckelung der Volks- und Statseinheit
durch das Lehenswesen, durch den Gegensatz der Territorien,
der Stände, der Dynastien hatte ihn zerstört, und was endlich
von dem alten römischen Weltstat noch übrig geblieben war,
das war mehr eine ideale völkerrechtliche als eine stats-
rechtliche Verbindung der abendländischen Christenländer,
welche mehr noch durch die Autorität des Papstes und den
römischen Klerus als durch das Kaiserthum zusammengehalten
wurden.

Im Groszen und Ganzen waren die Saaten zu einer freieren
und richtigeren Statsentwicklung ausgestreut worden, aber die
Staatsidee selbst hatte im Mittelalter viel von der römischen
Klarheit und Energie verloren.

C. Der Einflusz der Renaissance.

Auch während des Mittelalters war die Erinnerung
an den antiken Stat nie völlig erloschen. Rom war die

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[47/0065] Viertes Capitel. Entwicklungsgeschichte der Statsidee. II. Das Mittelalter. In einigen andern Beziehungen hatte die Statsidee auch Rückschritte gemacht, und nicht blosz, weil der kirchliche Glaube sie entwürdigte. Man konnte auch den mittelalterlichen Stat einen Rechts- stat nennen; aber in einem andern als in dem Sinne der Römer. Er war nicht die reine Ordnung des öffentlichen Rechts. Vielmehr wurden alle seine Institutionen mit privat- rechtlichen Elementen versetzt und gemischt. Wie ein Familiengut, wie ein Stammeseigenthum, wurde die Landes- herrschaft betrachtet, und die öffentlichen Pflichten wurden wie Reallasten behandelt. Das ganze Lehensrecht und alle Er- scheinungen des Patrimonialstates leiden an dieser Mi- schung. Das Statsrecht der Römer war nur eine Grundlage, von der aus die öffentliche Wohlfahrt erstrebt wurde. Das mittelalterliche Recht schien auch das wesentliche Ziel des mittelalterlichen States zu sein. Die Volkswohlfahrt wurde darob vernachlässigt. Der Gedanke des Volksstats war nicht mehr lebendig. Die Spaltung und Zerbröckelung der Volks- und Statseinheit durch das Lehenswesen, durch den Gegensatz der Territorien, der Stände, der Dynastien hatte ihn zerstört, und was endlich von dem alten römischen Weltstat noch übrig geblieben war, das war mehr eine ideale völkerrechtliche als eine stats- rechtliche Verbindung der abendländischen Christenländer, welche mehr noch durch die Autorität des Papstes und den römischen Klerus als durch das Kaiserthum zusammengehalten wurden. Im Groszen und Ganzen waren die Saaten zu einer freieren und richtigeren Statsentwicklung ausgestreut worden, aber die Staatsidee selbst hatte im Mittelalter viel von der römischen Klarheit und Energie verloren. C. Der Einflusz der Renaissance. Auch während des Mittelalters war die Erinnerung an den antiken Stat nie völlig erloschen. Rom war die

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875, S. 47. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/65>, abgerufen am 21.11.2024.